# taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 3: Porno in Mitte
       
       > Was bisher geschah: Zuerst kam die Antwort. Dann kam die Frage und warf
       > weitere auf. Und Leena begab sich auf die Suche nach der Lust.
       
 (IMG) Bild: In der Volksbühne informiert sich Leena über den Porno.
       
       Der Reißverschluss ächzte. Leena und ihre kleine Abendtasche waren bereit
       für die Volksbühne und alle Eventualitäten. In achtzehn Minuten würden ihr
       Exmitbewohner Kay und seine neue Freundin Isabelle sie zu der
       „performativen Führung durch die Geschichte der Pornografie“ abholen.
       Achtzehn Minuten. Genug Zeit für einen Tee.
       
       Ihr Tweet zum Thema #Lust erregte mehr Aufmerksamkeit als all ihre
       bisherigen Nachrichten zusammen. Die Liste mit Antworten auf die Frage, was
       Lust bedeutete, näherte sich den Ausmaßen einer Tigerpython. Die Angebote,
       dem Phänomen auf den Grund zu gehen, ebenso. Porn of Pure Reason. 
       
       „Was hat Porno mit Lust zu tun?“, hatte Leena Kay gefragt, als er sie
       angerufen und zu diesem Event eingeladen hatte.
       
       Ohne nachzudenken hatte er gekontert: „Für viele Menschen sehr viel.“
       
       „Für die vor dem Bildschirm vielleicht!“ Auch ohne ihn zu sehen, hatte
       Leena gewusst, dass er in seinem WG-Zimmer im Friedrichshain genervt die
       Augen verdrehte.
       
       „Was weißt du denn schon?“ Seine Stimme war kurz weggebrochen. Er räusperte
       sich. „Wenn du was über Lust herausfinden willst, spar dir die Bewertungen
       und fang mit dem Offensichtlichen an.“
       
       Pornografie, dachte Leena jetzt. Nun denn.
       
       Sie ließ Wasser in den Kocher laufen. Mit dem Anschalten färbten LEDs das
       Wasser blau. Im Sichtfenster war noch kein einziges Siedebläschen zu sehen,
       als es klingelte.
       
       „Ihr seid zu früh!“, rief sie in den Hörer der Sprechanlage. „Dreizehn
       Minuten zu früh!“
       
       Und erntete schallendes Gelächter. „Hab ich’s dir nicht …“, gluckste Kay,
       und Isabelles bestätigendes Lachen drang bis in den dritten Stock. Empört
       drückte Leena den Summer. Schob den Stahlriegel zur Seite, drehte den
       Schlüssel im Schloss und zog den Hebel, der die Tür im Boden verankerte,
       nach oben. Erst als sie Schritte im Gang hörte, öffnete sie.
       
       „Du bist so ein Blödmann“, rief sie. „Es ist doch nur, weil …“
       
       „Hey Leena“, sagte Isabelle.
       
       „Dreizehn Minuten“, japste Kay. Der Wasserkocher schaltete sich automatisch
       ab.
       
       „Elf“, korrigierte Leena.
       
       Vor der Eingangstür sammelte sich das Publikum. Die Stadt duftete nach
       Lindenblüten. Leena, Kay und Isabelle saßen mit einem Bier auf den Stufen
       und warteten auf den Einlass.
       
       „Wie kommst du eigentlich auf dieses Lust-Ding?“, fragte Isabelle.
       
       Knapp beschrieb Leena, wie ihr Kopf auf die Frage nach ihrer eigenen
       inneren Leere das Wort LUST geboren hatte.
       
       Dass diese unerwünschte Antwort noch immer in ihrer Wohnung herumtollte,
       behielt sie für sich. Stattdessen erzählte sie von der Liste, auf der sie
       die Assoziationen anderer Menschen sammelte. „Kay war der erste, der
       Pornografie gesagt hat.“
       
       „Echt?“, wunderte sich Isabelle. „Wär ich bei Twitter, wäre ich die Erste
       gewesen.“
       
       „Garantiert!“, bestätigte Kay.
       
       Verdutzt sah Leena von Isabelle zu Kay und wieder zu Isabelle. „Wie jetzt?
       Du stehst auf Pornos?“
       
       Isabelle lächelte Leena an. „Ich dreh welche“, antwortete sie. „Wusstest du
       das nicht?“
       
       „Oh“, antwortete Leena. Mehr ging nicht. Woher sollte sie das wissen? Sie
       sah Isabelle heute zum dritten Mal. Kay schwärmte seit Wochen von Isabelles
       Humor – von ihrem Job hatte er nichts gesagt.
       
       Leenas Gehirn fügte Sequenzen zusammen und ließ ein Bild entstehen. Ein
       Bild von der toughen, runden, über und über tätowierten Isabelle, die sich
       mit schmerzlich banalen Dialogen abmühte und sich dabei von einem
       schnauzbärtigen Mann mit starkem Dialekt penetrieren ließ. Vor der Kamera.
       Leena errötete.
       
       „Das muss dir nicht peinlich sein.“ Isabelles Hand lag leicht auf Leenas
       Arm. „Hat dir Kay die Einladung zum feministischen Porn-Film-Festival nicht
       weitergeleitet? Da lief ein Film, bei dem ich mitgemacht hab.“
       
       Dem schnurrbärtigen Mann in Leenas Kopf wuchs ein Dreitagebart und er
       fragte hin und wieder „Are you okay?“, ehe er sich in eine – wie Isabelle
       toughe, tätowierte – Frau verwandelte. Die Dialoge wurden besser, die
       Penetration blieb.
       
       Feministisch. Immerhin.
       
       „Und das macht dir Spaß?“, fragte Leena und verbesserte sich sofort. „Also:
       Lust?“
       
       „Total!“, strahlte Isabelle. „Hast du noch nie von der Post-Porn-Bewegung
       gehört? Von Sexpositivismus? Von PorYes?“
       
       „Nee“, gab Leena zu. Die Falten auf ihrer Stirn taten weh.
       
       Isabelles Erwiderung ging in dem Gelärme der Glocke unter, die den Beginn
       der Performance ankündigte. Das nächste, was Leena hörte, war ihre
       aufgeregte Stimme: „Komm doch einfach mal mit zum Dreh!“
       
       Leena schluckte.
       
       31 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tania Witte
       
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       Die Autorin Tania Witte schreibt ab sofort jede Woche den Fortsetzungsroman
       „Lust. Ausgerechnet“. Protagonistin Leena wird mit ihrer Lust konfrontiert.