# taz.de -- Der Fortsetzungsroman: Kapitel 16: Was kostet die Nacht?
       
       > Was bisher geschah: In frisch geklauten Klamotten befördert DIE LUST
       > Leena ins Spielcasino. Leena will kneifen, DIE LUST setzt alles. Auf 17.
       
 (IMG) Bild: Zu laut und bunt und voll in der Bar, um einen Gedanken festzuhalten.
       
       Dreiundzwanzigtausendachthundert Euro!“, wiederholte Leena ungläubig, als
       die Tür zum Casino hinter ihnen zuglitt. „Maximum!“
       
       „Du hast aufgehört! Wie hast du das geschafft? Ich hatte doch die Kontrolle
       über dich!“, stammelte DIE LUST, erschüttert von ihrer unvermittelten
       Niederlage.
       
       „Pure Selbstdisziplin“, vermutete Leena, nicht minder überrascht über ihren
       Sieg.
       
       „Ich scheiß auf deine Selbstdisziplin“, wütete DIE LUST. „Wir hätten reich
       werden können! Jeder normale Mensch hätte –“
       
       „Zweikommasieben Prozent!“, blaffte Leena sie an. „Zweikommasieben
       verdammte Prozent. Das heißt, dass 97,3 Prozent dagegen gesprochen haben.
       Weißt du eigentlich, was du riskiert hast?“
       
       „Ich weiß, was ich tue!“, knurrte DIE LUST. Eine Zeitlang liefen sie
       schweigend. Dann sagte Leena: „Ich glaub, ich werd das Geld spenden.“
       
       DIE LUST gab Würgegeräusche von sich. „Ja, sicher! Und vorher stellst du
       Berechnungen an, wie viel Prozent du welchem Verein zukommen lässt,
       gemessen an was? Bedeutsamkeit für die Welt? Oh!“, äffte sie Leenas Stimme
       nach. „Ist Amnesty wichtiger als die Regenwälder? Die Revolution als die
       Aidshilfe? Darmkrebsforschung als Leukämie? Was mach ich nur, was mach ich
       nur?“
       
       „Halt’s Maul!“, pampte Leena.
       
       „Überhaupt hast du was Wichtiges vergessen.“ DIE LUST grinste bösartig.
       „Ich hab dich gekapert und deine Selbstdisziplin krieg ich auch in den
       Griff. Du wirst dich wundern, wie viel Geld ich in einer Nacht auf den Kopf
       hauen kann!“
       
       Einige der frisch erspielten Scheine gingen für einen Katzentisch in einem
       angesagten, überteuerten und immer ausgebuchten Restaurant am Spreeufer (in
       das DIE LUST Leena fast prügeln musste, weil sie in so einen „peinlichen
       Touristenmagneten“ auf keinen Fall gehen wollte) drauf.
       
       Danach trieb DIE LUST Leena in die angrenzende Bar, in der alle, die sich
       für hip und cool hielten, das „echte Berlin“ schnuppern konnten. Graffitis
       an den bröckelnden Wänden, bärbeißige Türsteherinnen und Türsteher und über
       allem ein leichter Modergeruch.
       
       In ihrem frisch geklauten blauen Designerkleidchen war Leena gnadenlos
       overdressed, was ihr nach einigen Cocktails, die DIE LUST durch ihren Mund
       bestellte und trank, wohltuend wurscht wurde. Genau wie die Frage, wer die
       Stretch-Limousine geordert hatte, die vor der Tür auf sie wartete und wer
       die szenigen, bewusst abgerissenen Menschen waren, die – Champagnerflaschen
       schwenkend – mit ihr in den Wagen drängten.
       
       Ich hab es satt, dachte Leena, als sie in die lederne Sitzgruppe der
       Limousine sank. Ich hab es so satt!, – ohne zu wissen, ob sie damit den
       Kampf gegen DIE LUST, das ständige Überschreiten ihrer Komfortzone oder die
       Anstrengung meinte, täglich die Kontrolle über sich zu behalten.
       
       Musik, Gelächter, Schweiß. Es war zu laut und bunt und voll im Fond, um den
       Gedanken festzuhalten. Leena streifte die Schuhe ab, wackelte genießerisch
       mit den Zehen und sah der Stadt vor dem Fenster beim Vorbeiziehen zu. Ihr
       Kopf leerte sich. Eine letzte aktive Gehirnzelle rang um ihre
       Aufmerksamkeit, indem sie blinkende Großbuchstaben an Leenas
       Augeninnenseite projizierte: FINGER WEG VOM ALKOHOL!
       
       „Hättest du das nicht früher sagen können?“, fragte Leena mit Blick auf das
       Glas in ihrer Hand. Die wohlmeinende Hirnzelle strich beleidigt die Segel
       und hinterließ einen Berg rosiger Watte.
       
       „Keine Sorge!“, schaltete sich DIE LUST ein. „Die Cocktails waren natürlich
       alkoholfrei – schließlich müssen wir die Nacht durchhalten. Was du spürst,
       ist das Ecstasy.“
       
       „Ecstasy?“, nuschelte Leena überrascht.
       
       Waswannwowiesoundohnemichzufragen. Sie spürte keine Wut, sondern nur
       watteweiche Rosawolkenwärme.
       
       „Wie süß!“ Sie presste DIE LUST an ihren hochgepuschten Busen. „E! Wie bist
       du denn darauf gekommen? Das ist so Neunziger! Ich dachte, heute wär
       Crystal das große Ding.“
       
       „Wir können auch Crystal besorgen, wenn du willst.“ Anbiedernd schmiegte
       sich DIE LUST an Leena. „Hasst du mich immer noch?“, fragte sie zaghaft.
       Ihre Stimme kam aus einem anderen Universum, verzerrt wie durch ein
       umgekehrtes Megafon.
       
       „Unsinn.“ Leena gab ihr einen Schmatz auf die Stirn. „Du kannst doch nichts
       dafür.“ Sie spürte die Tränen auf ihren Wangen und das Glück. Die
       verantwortungsbewusste Gehirnzelle kämpfte sich ein letztes Mal durch die
       Watte und drückte DER LUST resigniert den Schlüssel zum Kontrollterminal
       von Leenas Körper in die Hand.
       
       „Verbindlichsten Dank“, sagte DIE LUST. Ihre Augen leuchteten.
       
       16 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tania Witte
       
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       Die Autorin Tania Witte schreibt ab sofort jede Woche den Fortsetzungsroman
       „Lust. Ausgerechnet“. Protagonistin Leena wird mit ihrer Lust konfrontiert.