# taz.de -- Afghanistan vor dem Nato-Abzug: Menschenrechtler fürchten Frieden
       
       > Zivilgesellschaftliche Organisationen am Hindukusch fühlen sich vom
       > Westen bei der Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen alleingelassen.
       
 (IMG) Bild: Anhänger des für seine Brutalität bekannten Warlords Abdul Rashid Dostum im Jahr 2007.
       
       KABUL taz | Die Ausstiegsformel der internationalen Gemeinschaft aus
       Afghanistan ist einfach: Weniger Militär, mehr Zivilgesellschaft. Doch was
       genau der Westen unter Zivilgesellschaft versteht, daran haben vor allem
       afghanische Menschenrechtler immer mehr Zweifel. Sie befürchten die
       Hauptverlierer eines möglichen Friedens zu werden.
       
       „Mit der aktuellen Verhandlungsstrategie wird am Ende ein Frieden
       herauskommen, der eine Vereinbarung zwischen Kriegsverbrechern sein wird“,
       sagt der Aktivist Azaryoun Matin. Sie werden sich untereinander aussöhnen,
       aber nicht mit den Opfern des Krieges.“
       
       Matin leitet die Organisation Focus, die Menschenrechtsaktivisten in den
       Provinzen zu koordinieren versucht. Sie sollten mit am Tisch sitzen,
       fordert Matin, wenn in Afghanistan über Frieden verhandelt wird. Ohne
       Aufarbeitung der Vergangenheit werde es keinen echten Frieden geben, glaubt
       er.
       
       Auch Ismail Qasemyar, Mitglied des von Präsident Hamid Karsai eingesetzten
       Hohen Friedensrates, ist pessimistisch. Auch er glaubt, dass es ohne
       Zivilgesellschaft keine Demokratie geben kann. Zugleich weiß er, dass sich
       etliche Mitglieder der heutigen Regierung einer Aufarbeitung der
       Kriegsverbrechen in Afghanistan verweigern.
       
       ## Verhandlungen ohne Menschenrechtler
       
       Friedensverhandlungen mit Beteiligung von Menschenrechtlern kann sich
       Qasemyar deshalb nicht vorstellen. Die Aktivisten sollten ihre Forderungen
       einer Kommission des Friedensrates unterbreiten, schlägt er vor. Dann ließe
       sich eventuell das bestehende Amnestiegesetz verändern und die Aufarbeitung
       dem Internationalen Strafgericht übertragen.
       
       „Alternativ könnte Afghanistans Menschenrechtskommission ihren Bericht
       veröffentlichen, in dem sie die Kriegsverbrechen katalogisiert hat“, sagt
       Qasemyar und lacht. Er weiß natürlich, dass der Bericht seit zwei Jahren
       unter Verschluss gehalten wird, weil er einen „politisch explosiven Inhalt“
       hat.
       
       Afghanische Menschenrechtler wollen nun ihre Kräfte im Alleingang bündeln,
       um den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Auf Unterstützung der
       internationalen Gemeinschaft zählen sie nicht mehr. „Der Westen will raus
       aus Afghanistan“, sagt Matin. Deshalb unterstütze er nur noch Forderungen,
       die politisch genehm seien: „Aufarbeitung der Kriegsverbrechen gehört nicht
       dazu.“
       
       ## 
       
       Das führt bei Matin und anderen Aktivisten längst zur Ablehnung
       finanzieller Hilfen aus dem Westen. „Wenn sie uns Geld geben, wollen sie
       auch die Inhalte unserer Arbeit bestimmen“, resümiert er.
       
       Die Arbeit von Focus wird daher konsequent von den Mitgliedern selbst
       finanziert, die alle in internationalen Organisationen gut verdienen,
       erklärt Matin. Nicht alle afghanischen Organisationen aber können auf
       eigenen finanziellen Beinen stehen.
       
       Bei der Forensic Science Organisation (FSO) etwa mangelt es an Geld im
       Gegensatz zum Engagement. Die Forensik-Aktivisten analysieren die
       Massengräber der verschiedenen Kriege im Land. „Unser Ziel ist es,
       Angehörigen wenigstens Überreste ihrer Vermissten zurückgeben“, sagt
       FSO-Leiter Sayed Jawid. Auch werden Beweise für mögliche Gerichtsprozesse
       gesichert.
       
       Jawid und seine Mitstreiter fahren meist im Schutz der Dunkelheit aufs
       Land, damit sie nicht den örtlichen Kriegsverbrechern in die Hände fallen.
       „Wir haben versucht, von der EU und den Niederlanden Hilfe zu bekommen,
       aber sie fürchten die politischen Folgen unserer Arbeit“, sagt er. Ein
       Beamter der EU-Vertretung in Kabul bestätigt, dass es nicht möglich sei,
       solche Projekte finanziell zu unterstützen, begründet dies aber
       diplomatischer: „Der bürokratische Aufwand wäre genauso hoch wie für ein
       Millionenprojekt, wir können daher nur Großprojekte fördern.“
       
       4 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cem Sey
       
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