# taz.de -- Alter Summit in Athen: Ein Keim in den Trümmern
       
       > Soli-Märkte, kostenloser Schulunterricht und Kliniken für
       > Nichtversicherte: Griechische Aktivisten haben alternative
       > Basisstrukturen aufgebaut.
       
 (IMG) Bild: Auf solidarischen Märkten werden Lebensmittel direkt von den Bauern geliefert.
       
       ATHEN taz | Ein schmaler, enger Flur, auf einem Plastikstuhl wartet Wasilis
       Papamakarios. Der 53-Jährige, blaues T-Shirt, weiße Haare, hat chronische
       Diabetes und Herzprobleme. Aber die 150 Euro im Monat für Medikamente hat
       Papamakarios nicht mehr, seit seine Herrenschneiderei der Krise zum Opfer
       gefallen ist – einer Krise, die Griechenland im fünften Jahr ohne Aussicht
       auf Besserung im Griff hat.
       
       „Ich bin an den Rand gedrückt worden, wie so viele“, sagt Papamakarios.
       „Ich war ein optimistischer Mensch. Heute nicht mehr, heute ist alles
       anders.“ Arbeitslosengeld, das nur ein Jahr lang ausgezahlt wird, bekam er
       als Selbstständiger nicht. Sein Bruder bringt ihn jetzt mit durch.
       
       Wenn sich die Tür hinter Papamakarios öffnet, sieht man ein
       Behandlungszimmer: eine Arztliege, Medikamente, die sich auf Schreibtischen
       stapeln. Doch es ist keine normale Praxis, hier, in der Kaningosstraße 33
       im Zentrum Athens. Man sieht es an dem Poster an der Eingangstür:
       „Solidarische Klinik“.
       
       „Wir behandeln Menschen, die keine Krankenversicherung mehr haben.
       Griechische Bürger, aber auch viele Migranten. Die Kürzungspolitik, die die
       Troika Griechenland aufzwingt, führt dazu, dass die Menschen sterben, wenn
       sie keine Krankenversicherung oder kein Geld haben. Dagegen organisieren
       wir uns“, sagt Alexandra Pavlou.
       
       ## Lebenswichtige Behandlungen verweigert
       
       Sie kennt Patienten, die ihre Medikamente gegen Krebs nicht mehr bezahlen
       können, denen lebenswichtige Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern
       verweigert werden. Die Tuberkulose ist nach Griechenland zurückgekehrt,
       Kinder werden nicht mehr geimpft. Offiziellen Angaben zufolge haben 37
       Prozent der Griechen keine Krankenversicherung mehr, Schätzungen gehen von
       noch höheren Zahlen aus.
       
       Um zu helfen, haben sich im ganzen Land 35 solidarische Kliniken gegründet.
       Im September 2012 waren es gerade mal vier. Die Not ist groß, der Wille,
       Dinge in die Hand zu nehmen, auch. Es gibt große Kliniken wie die in
       Elliniko, einem Vorort von Athen. Die Klinik ist auf dem Gelände einer
       ehemaligen US-Militärbasis untergebracht, rund 200 Freiwillige arbeiten
       dort. Oder kleine Praxen wie die in der Kaningosstraße, wo sich Alexandra
       Pavlou engagiert. Die Praxis passt in eine 4-Zimmer-Wohnung. Trotzdem
       packen auch hier 110 Menschen mit an.
       
       Es gibt Ärzte fast aller Fachrichtungen, rund 800 Menschen wurden seit der
       Eröffnung Ende Januar behandelt. „Wir haben sogar einen Zahnarzt, der uns
       einen Stuhl und Gerätschaften geschenkt hat. Er arbeitet hier einmal die
       Woche“, sagt Pavlou. Sie selbst organisiert die Arzttermine. Früher war sie
       in der Umweltbewegung aktiv. „Seit drei Jahren bin ich auf der Straße, wie
       so viele andere Griechen, deren Leben auf den Kopf gestellt wurde.“
       
       Die Ärzte der solidarischen Kliniken erhalten kein Geld. Sie kommen, wenn
       sie es einrichten können, neben ihren normalen Diensten. Und manchmal
       gelingt es Alexandra, jemanden für eine kostenlose Operation in ein
       öffentliches Krankenhaus zu schmuggeln oder eine Laboruntersuchung zu
       ergattern. Sie hat viel Zeit, sich darum zu kümmern, seit ihr Verlag, für
       den sie deutsche Literatur ins Griechische übersetzte, pleitegegangen ist.
       Die 48-Jährige lebt seit zwei Jahren mit von der Rente ihrer Mutter.
       
       ## Spendenpostkarten und Selbstorganisierung
       
       Nur ein paar Straßenzüge weiter schaut Eleni Chatzimichali aus dem Fenster.
       An der Wand vor ihr hängt ein Flyer aus Österreich, der um Solidarität mit
       den solidarischen Kliniken wirbt, daneben Spendenpostkarten für die
       Kliniken vom Sozialforum München.
       
       Die 36-Jährige sitzt im Büro von „solidarity4all“, einem
       „Netzwerkknotenpunkt“, wie sie sagt, für die Selbstorganisierung von unten,
       die in Griechenland stattfindet. Chatzimichali ist für den
       Gesundheitsbereich zuständig. „Solidarity4all“ will auch international auf
       das aufmerksam machen, was im Land passiert, und eine Solidaritätskampagne
       ins Rollen bringen.
       
       Gegründet haben sie das Büro im November 2012, als etliche selbst
       organisierte Projekte bereits existierten: von Nachbarn organisierte
       Lebensmittelverteilung, mal an 300, mal an 1.000 Menschen; Märkte, die
       Mittelsmänner ausgeschaltet haben und Produkte direkt von den Bauern
       beziehen; selbst organisierte Schulen, in denen Kinder von MigrantInnen,
       die durch alle Netze fallen, kostenlos unterrichtet werden. Auch die
       Klinikbewegung hat einst als Projekt der Solidarität mit papierlosen
       MigrantInnen begonnen.
       
       ## Vorm Fenster die Akropolis
       
       Von der Terrasse der großen, hellen Wohnung, die „solidarity4all“ gemietet
       hat, sieht man die Akropolis. Die Wiege der Demokratie. Einer Demokratie,
       von der in Griechenland nur noch eine Farce übrig ist. Obwohl die Menschen
       in Massen auf die Straße gingen, schnüren Gläubiger und die Troika aus
       Internationalem Währungsfonds, Europäischer Kommission und Europäischer
       Zentralbank den Griechen die Luft ab.
       
       Gerettet werden Banken, Gläubiger und die Doktrin des sanierten
       Staatshaushalts. Ein Großteil der griechischen Bevölkerung zahlt den Preis
       mit Arbeitslosigkeit und gekürzten Renten, etliche auch mit Hunger,
       Obdachlosigkeit oder Krankheit – sehr viele mit einer geraubten Zukunft.
       
       „Es ist keine Philanthropie, keine Caritas, die wir hier machen. Es ist
       Widerstand, wir bringen die Leute zusammen, um zu kämpfen“, sagt Eleni
       Chatzimichali. Es gehe darum, Perspektiven aufzuzeigen, solidarisch den
       Alltag in neuen Formen zu organisieren – und daran zu arbeiten, das Joch
       der Troika abzuschütteln. Immer wieder engagierten sich Patienten nach
       einer Behandlung in einer solidarischen Klinik oder demonstrierten gegen
       Kürzungen in der Gesundheitspolitik, erzählt Chatzimichali.
       
       Hier, bei „solidarity4all“, laufen die Fäden eines großen Teils der selbst
       organisierten Strukturen zusammen, 300 Projekte sind es bereits. Allein
       über 3.500 Bauern, die meisten kleine Produzenten, bringen ihre Produkte
       direkt zu solidarischen Märkten. 22 Prozent der griechischen Bevölkerung,
       sagt Christos Giovanopoulos von „solidarity4all“, kauften bereits auf
       solchen Märkten, die sowohl Bauern höhere Erlöse als auch den Käufern
       niedrigere Preise brächten.
       
       Fragt man Giovanopoulos nach der Beziehung zwischen „solidarity4all“ und
       der Linksparteiallianz Syriza, die bei den letzten Parlamentswahlen 27
       Prozent holte, nickt der 44-Jährige mit den halblangen, verwuschelten
       Haaren. Ja, das sei erklärungsbedürftig.
       
       ## Abgeordnete bezahlen
       
       Syriza bezahlt nicht nur die rund 350 Euro Miete für die Arztpraxis in der
       Kaningosstraße. Die Partei leitet auch Geld an viele andere Projekte
       weiter. Die 71 Abgeordneten von Syriza im Parlament geben dafür 20 Prozent
       von ihren Diäten ab. „Aber das Geld ist nur ein winziger Teil dessen, was
       wir als gegenseitige Hilfe in den Selbstorganisierungsprozessen bewegen.
       Und Syriza dominiert den Prozess nicht. Bei ’solidarity4all‘ sind Gruppen
       und Menschen organisiert, die sich der Partei nicht unbedingt zuordnen. Es
       ist eine neue Form, in der sich eine Partei mit solidarischen
       Basisstrukturen in Beziehung setzt“, sagt Giovanopoulos.
       
       Dann muss er wieder ans Telefon – am Freitag beginnt der „Alter Summit“,
       der Alternativgipfel, zu dem ein breites Bündnis aus griechischen
       Bewegungen nach Athen eingeladen hat. Mehrere tausend Aktivisten aus
       Basisbewegungen, NGOs und Gewerkschaften aus ganz Europa werden erwartet.
       Sie wollen über die Erfahrungen der Selbstorganisation diskutieren und die
       Frage, wie man europaweit die Forderung nach einem Schuldenmoratorium für
       die Krisenländer voranbringt.
       
       Ein Thema wird auch sein, wie man die Kampagne für internationale
       Solidarität stärken kann. „Solidarity4all“ braucht Geld und Sachspenden,
       Medikamente etwa, die sich zu erschöpfen beginnen. Aber es brauche auch
       Hilfe anderer Art, heißt es. Welche? „Stürzt in Deutschland endlich diese
       Regierung!“, lautet eine Antwort, die man oft hört.
       
       7 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Völpel
       
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