# taz.de -- Festival „Infektion!“ in Berlin: Männer mit nervösen Frauen
       
       > Mit zwei Uraufführungen und zwei Altmeistern der Moderne herausfinden,
       > was das neue Musiktheater sein könnte – in der Berliner Staatsoper.
       
 (IMG) Bild: Die Geisha aus Toshio Hosokawas „Hanjo“.
       
       Das Beste war die Zugabe. Wer eine Eintrittskarte für Toshio Hosokawas
       "Hanjo" vorweisen konnte, durfte Samstags spät am Abend in die Werkstatt
       des Schillertheaters umziehen, und dort die Nummern 3 und 4 des
       fünfteiligen Zyklus „Europeras“ von John Cage anhören.
       
       Die Belohnung war wohlverdient. Hosokawa möchte das japanische No-Theater
       in die Gegenwart übersetzen. Vor zwei Jahren war an der Staatsoper
       „Matsukaze“ zu sehen, choreographiert von Sahsa Waltz, diesmal „Hanjo“,
       eine „Oper in sechs Szenen“ aus dem Jahr 2004 in der Inszenierung der
       Ruhrtriennale 2011 von Calixto Bieto. Zwei Frauen leben auf einem
       Eisenbahngleis, die eine ist eine verbitterte alte Jungfer, die andere eine
       wahnsinnige Geisha, die seit Jahren auf ihren Geliebten wartet.
       
       Die literarische Quelle ist ein Schauspiel aus den 50er Jahren, das einen
       Stoff aus dem 14. Jahrhundert aufgreift. Hosokawas Musik beschränkt sich
       darauf, die endzeitliche Stimmung dieser vereinsamten Seelen zu
       illustrieren. Als der Geliebte dann doch endlich kommt und ein wirklicher
       Mann ist, wird er bekämpft und weggeschickt.
       
       ## Allerlei Glöckchen und Flöten
       
       Was eine japanische Spielart des Existenzialismus sein könnte, verschwimmt
       leider im einem flauschigen Gewebe tremolierender Glissandi der Streicher,
       das mit allerlei Glöckchen und Flöten aufgehübscht ist. Die sehr guten
       Stimmen von Ingela Bohlin, Ursula Hesse von den Steinen und Georg Nigel
       konnten dagegen nicht viel ausrichten, und so war danach John Cage eine
       wirkliche Erholung.
       
       Sechs Singstimmen, zwei Klaviere und zwölf Plattenspieler entfalten das
       gesamte Universum der europäischen Oper des 18. und 19. Jahrhunderts,
       fragmentiert und neu zusammengesetzt nach den Zufalls-Regeln des I Ging.
       Hochkonzentriert und wunderbar gesungen stand am Ende der Maßstab all
       dessen, was „Musiktheater“ heute sein könnte, dann doch noch fest.
       
       Schon recht nahe kam dieser Idee dramatischer Musik, die sich radikal und
       endgültig von Handlung und Einfühlung verabschiedet hat, Falk Richter an
       der Schaubühne mit „For the Disconnected Child“, seiner neusten Exkursion
       in die Katastrophen des postmodernen Alltags. In Kooperation mit der
       Staatsoper schrieben sechs (deutsche) Komponisten und ein isländischer
       Singer/Songwriter Musik, die sich lose und ebenfalls eher zufällig mit der
       Zentralfigur „Tatjana“ aus Tschaikowskis Oper „Eugen Onjegin“ beschäftigen.
       
       ## Die Verbindung ist so schlecht
       
       Die Songs und Instrumentalstücke vollkommen disparater Machart schieben
       sich kontrapunktisch zwischen Richters close lectures der verqueren, von
       Psychotherapeuten präformierten Sprache innerer Monologe von Frauen am
       Rande des Nervenzusammenbruchs. Überragend gespielt von Ursina Lardi und
       Luise Wolfram, und unterstützt von akrobatischen Tanzeinlagen, entsteht
       daraus ein schwebend leichtes, ironisches Panorama der Seelenlandschaften
       im Zeitalter der technischen Kommunizierbarkeit: „Mama, die Verbindung ist
       so schlecht“.
       
       Damit hatte das Festival großartig begonnen. Zwei Tage später ging es
       wieder um die Nerven einer Frau, aber gründlich daneben mit „AscheMOND“.
       Wieder eine Uraufführung. Am Anfang stand Jürgen Flimms Frage an Claus
       Guth, ob es möglich sei, Henry Purcells „The Fairy Queen“ zu inszenieren.
       
       Das sei nicht möglich, befand der Regisseur, und braute stattdessen eine
       bedeutungstriefende Mischung aus Originaltönen von Purcell und
       bombastischen Variationen dieses Materials von Helmut Oehring.
       Zusammengehalten wird das Tableau von Tagebuchaufzeichnungen der
       depressiven Dichterin Sylvia Plath, vorgetragen mit telegen einfühlsamem
       Pathos von Ulrich Matthes.
       
       Der fabelhafte Countertenor Bejun Metha durfte in diesem trüben
       Symboltheater wenigstens ein paar Mal echten Purcell singen und stellte
       damit die Zeit auf den Kopf: Nicht Oehrings Resterampe obsoleter Muster der
       Nachkriegsavantgarde klangen modern, sondern Purcells Melodien. Sie fummeln
       nicht in fremden Gefühlen herum, sie sprechen klar, abstrakt und
       minimalistisch für sich.
       
       ## 14 kurze Stücke für eine Sängerin
       
       Von hier aus war der Weg überraschend kurz zu den „Recitations“ von Georges
       Asperghis aus dem Jahr 1978. Das sind 14 kurze Stücke für eine Sängerin
       alleine. Sie soll nicht ihre Seele öffnen, sondern ihre Stimme. Sparsam,
       aber wirkungsvoll inszeniert von Elisabeth Stöppler in der kahlen Werkstatt
       des Schillertheaters, lässt sich Uta Buchheister auf dieses Wagnis ein.
       
       Sie singt, atmet, spricht, haucht, pfeift und flüstert sich so virtuos
       durch die extremen Vorschriften der Partitur hindurch, das daraus sehr wohl
       auch eine dramatische Person entsteht. Wieder eine Frau mit Nerven, diesmal
       aber gespannt wie die Saiten eines Instruments, das eine Musik hören lässt,
       die so noch nie zu hören war.
       
       Na bitte, hier gehts lang zum neuen Musiktheater. Asperghis, zweifellos ein
       Schüler in Geiste von Cage, ist zwar auch schon 68 Jahre alt, aber er lebt
       noch munter in Paris.
       
       23 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Niklaus Hablützel
       
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