# taz.de -- Gehörloser Barmann macht Drinks: Den Lufteuter melken
       
       > Alltag in einer Berliner Bar: Statt mit Worten wird bei Slawo Szewczyk
       > mit Gebärden bestellt. Seit 17 Jahren arbeitet er in der Gastronomie.
       
 (IMG) Bild: „Wenn jemand nicht mit mir sprechen will, dann gibt's auch nichts zu trinken.“ – Slawo Szewczyk
       
       Freitag, früher Abend, seichtes Sonnenlicht am Schlachtensee in Berlin.
       Zwischen restaurierten Häusern an einer Straßenecke steht das Restaurant
       Gabana. Slawo Szewczyks Schicht beginnt dort um 16 Uhr. Schwarzes Hemd,
       schwarze Schürze, die aschblonden Locken zum Zopf gebunden. Hinter der
       goldenen Tresenstange mit Löwenköpfen ist sein Bereich. Bunte Fächer wedeln
       am Eingang, die Wände grün und orange, die Musik leise, vielleicht Café del
       Mar. Aber Slawo Szewczyk hört das nicht.
       
       In fünfter Generation lebt er in einer gehörlosen Familie. Gebärdensprache
       ist seine Muttersprache. Aber in Deutschland wurde sie erst im Jahr 2002
       gesetzlich anerkannt. Da war Szewczyk 26 Jahre alt. 1975 in Warschau
       geboren, kam er mit sechs Jahren nach Deutschland. Im Gegensatz zu ihm
       hatten seine Mitschüler hörende Eltern. Ihm war es verboten,
       Gebärdensprache zu sprechen. „Nur Oralismus“, schreibt er auf einen Zettel.
       Er lernte Lippen lesen, weil er musste. Heute tut der Barmann das auch noch
       – wenn er will.
       
       An der imaginären Kaffeetasse genippt, ein Lufteuter gemolken – so
       kommuniziert die Kellnerin mit ihm. Dann macht Szewczyk einen Kaffee mit
       Milch.
       
       Viele Gäste des Gabana wohnen in der Gegend, sie kennen Szewczyk, sie
       wissen, wie sie bestellen können. Und er weiß, was sie gern trinken. Ein
       Stammgast kommt rein, auf die eine Hand hat er „hate“, auf die andere
       „love“ tätowiert. Er grüßt – Daumen hoch, alles gut? Szewczyk nickt. Daumen
       hoch, alles gut! Dann zählt der Gast mit den Fingern: 1, 2, 3. Das ist
       keine Gebärdensprache. Aber Szewczyk versteht: ein Chardonnay, ein
       Mineralwasser, ein Espresso. Flink macht er sich an die Arbeit, noch bevor
       die Kellnerin die Bestellung in die Kasse getippt hat.
       
       ## Manche Gebärden versteht jeder
       
       Szewczyk lebt mit seiner Familie in Prenzlauer Berg, fünfter Stock Altbau.
       Geschliffene Dielen, hohe Decken, viele Bilder an den Wänden. Eins ist vom
       Pop-Art-Künstler Roy Lichtenstein. „Ich mag seine Bilder, ich interessiere
       mich sehr für Kunst“, erzählt er und zeigt seine Wohnung. An der Wand im
       Kinderzimmer – er hat drei Söhne – hängen Bilder mit Tieren: eine Giraffe,
       ein Elefant, ein Krokodil. Dann sind da noch Hände zu sehen, die das Wort
       in Gebärdensprache zeigen. Es ist eine gerade Bewegung, die den Hals der
       Giraffe nachzeichnet.
       
       „Ich beherrsche die polnische, die deutsche, die amerikanische,
       französische, russische und internationale Gebärdensprache“, schreibt er
       auf, das sei vielleicht mit Dialekten vergleichbar, Deutsch und Englisch
       könne er auch in Schrift, fügt er hinzu. „Nonverbale Kommunikation“,
       schreibt er als Stichwort auf. Manche Gebärden versteht jedoch jeder: Baby,
       essen, trinken, schlafen.
       
       Szewczyks ältester Sohn ist auch gehörlos, die anderen beiden nicht. Sie
       sind sogenannte Coda-Kinder, hörende Kinder von gehörlosen Eltern. Ihre
       Muttersprache ist Gebärdensprache, aber in der Kita haben sie auch orales
       Sprechen gelernt. Perfekt. Nicht Integration, Inklusion sei der richtige
       Weg, sagt er. Mit seinen Kindern unternimmt er viel: Er geht mit ihnen
       Inlineskaten, auf den Spielplatz, bringt sie in die Kita, zur Schule.
       
       Und er geht arbeiten. Anders als er sind viele seiner gehörlosen Freunde
       arbeitslos. Nicht, weil sie es so wollen, sondern weil es schwierig ist,
       eine Arbeit zu finden. Neben den normalen Sozialleistungen erhalten sie
       zusätzlich 125,68 Euro Gehörlosengeld im Monat. Das ist nicht viel.
       Dennoch: „Eine gehörlose Familie ist kein Problem“, schreibt er auf.
       „Früher war es schwerer, es gab nur wenige technische Hilfsmittel. Heute
       gibt es E-Mails und SMS.“ Was er tun würde, wenn sein Herd in Flammen
       steht? Er zuckt mit den Schultern. Eine SMS an den Notruf schreiben, beim
       Nachbarn Hilfe holen?
       
       ## Die Katze stubst ihn an
       
       Seine eigene Klingel hat er ausgestellt. Die Katze kommt zu ihm, wenn es an
       der Tür klopft. Auf sie verlässt er sich. Vieles hat er auch im Gefühl,
       sagt er. Wenn er aufstehen muss, stellt er sein Handy auf Vibrationsalarm
       und legt es in seine Nähe.
       
       Ein älterer Herr kommt an den Tresen im Gabana und bestellt ein kleines
       Warsteiner. Szewczyk schiebt ihm Block und Stift zu. Der Mann ist
       irritiert. „Ein kleines Warsteiner“, wiederholt er. Szewczyk tippt auf den
       Block. Erst als die Kellnerin ihn aufklärt, versteht er, warum. Mit Daumen
       und Zeigefinger macht sie ein Zeichen für klein, dann formt sie mit Zeige-,
       Mittel- und Ringfinger ein W für Warsteiner. Der Barmann nickt.
       Gebärdensprache kann sie nicht, aber auf ein paar Zeichen haben sie sich
       geeinigt. „Und er kann fast alles von den Lippen lesen“, sagt sie.
       „Manchmal unterhalte ich mich mit Gästen, und er weiß, worüber wir reden.
       Das ist verrückt.“
       
       Seit 18 Jahren arbeitet Szewczyk in der Gastronomie. Eine Ausbildung zum
       Elektroinstallateur hat er abgebrochen. „Es war nicht mein Wunschberuf“,
       erzählt er, „das hat mir das Arbeitsamt vorgeschlagen. Viele Vorschläge
       bekam ich nicht.“ Eigentlich hätte er gern Informatik studiert. Das Abitur
       hat er, aber er konnte nicht einfach das machen, was er wollte. „Es war ein
       Papierkrieg mit den Behörden. Wer zahlt einen Tutor, wer zahlt einen
       Dolmetscher?“ Die Schlacht hat er verloren.
       
       Weil das nicht geklappt hat, hat er sich etwas Neues gesucht. Er erinnerte
       sich an einen Mann, den er als Kind im Fernsehen gesehen hatte: einen
       Barkeeper mit weißem Hemd. Das will er auch, hat er gedacht. Nur dass er
       lieber schwarze Hemden trägt.
       
       ## Gebärdensprache ist schön
       
       Den Zeigefinger erhoben und eine Drehbewegung. So kann man bei ihm einen
       Hurricane bestellen: einen fruchtigen Cocktail mit weißem und braunem Rum.
       Mit Melone und Orange dekoriert er den Trinkrand des Glases. „Er macht die
       besten Cocktails“, sagt eine Dame am Tresen.
       
       Szewczyks Hände sind immer in Bewegung. Er macht die Getränke, spült,
       schneidet Limetten, wischt über den Tresen. Nur manchmal, da hört er auf.
       Da sieht er sich um. Und wenn er das macht, hält er seine Hände hinter den
       Rücken.
       
       „Nicht hören und nicht sehen, das wäre schwierig“, sagt Szewczyk. Einmal,
       da sei ihm nämlich eine überkühlte Glasflasche zersprungen. Eine Scherbe
       traf ihn über dem Auge, er musste ins Krankenhaus. Er hatte Glück. „Es gibt
       Momente, da fühle ich mich wie ein Mensch zweiter Klasse.“ Dann lächelt er
       wieder. „Hinter dem Tresen ist es anders.“ Warum? „Da stehe ich. Wenn
       jemand nicht mit mir sprechen will, dann gibt’s auch nichts zu trinken. So
       einfach.“
       
       1 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jasmin Kalarickal
       
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