# taz.de -- Rechtsrock: Brauntöne in der Grauzone
       
       > In der Disko „Sinners“ in der Überseestadt haben Oi!-Konzerte ein
       > Neonazi-Publikum angelockt. Der Inhaber gibt sich ahnungslos – und
       > verspricht ein Ende.
       
 (IMG) Bild: Das "Sinners". Hier springen öfters mal Neonazis rum.
       
       Typen mit Glatzen, Bomberjacken und Springerstiefeln, die mit Bier zu
       „Oi!“-Musik grölen: In der relativ jungen Diskothek „Sinners“ in der
       Überseestadt finden Skinheads einen Ort für ihre Pogo-Tänze. Seit Februar
       gibt es den Laden im Speicher XI, in unmittelbarer Nachbarschaft zur
       Hochschule für Künste.
       
       Skinhead-Kultur und „Oi!“-Musik sind nicht per se mit Neonazismus
       gleichzusetzen. Allerdings: Allein im Juni gab’s zwei Konzerte im
       „Sinners“, bei denen die Bands sich nicht klar vom Rechtsextremismus
       abgrenzen lassen. Und die lockten auch ein offen neonazistisches Publikum
       an: Auf Partyfotos aus der Disko sind bekannte Rechtsradikale zu erkennen.
       
       „Dort hat offensichtlich niemand ein Problem, mit Neonazis zu feiern“, sagt
       Carsten Neumann vom Verein [1][„Standpunkt – Antifaschismus und Kultur]“,
       der in Bremen Bildungsarbeit macht. „Von den Musikern werden rassistische
       Parolen in Interviews verbreitet“, so Neumann weiter. „Man schimpft auf
       Multikulti und Gutmenschen und verachtet alles, was als links definiert
       wird.“ Die Bands gehörten zu einer „Subkultur, die Heimatliebe oder
       Nationalismus als angeblichen Tabubruch inszeniert“.
       
       So ist Jens B. regelmäßig Gast im „Sinners“, Sänger und Gitarrist der vom
       Verfassungsschutz als rechtsextrem gelabelten Bremer Band „Endstufe“.
       
       Auch andere Anhänger der einschlägigen Szene zeigen im „Sinners“ ihre
       Gesinnung, etwa durch T-Shirts von Rechtsrock-Bands oder Tätowierungen,
       etwa von Triskelen, dem dreiarmigen Hakenkreuz-Ersatzsymbol. Angezogen
       werden sie durch Auftritte von Bands wie „Razorblade“, „Schusterjungs“,
       „London Diehards“ oder „Franky Flame“ – Bands, die alle von sich behaupten
       „unpolitisch“ zu sein. Diese Szene wird gemeinhin als „Grauzone“
       bezeichnet.
       
       Der Sozialpädagoge Jan Raabe, [2][Mitverfasser des Standardwerkes]
       „Rechtsrock“, erklärt es so: „Es gibt einen Randbereich, eine Schnittmenge
       zwischen klassischem Rechtsrock, der sich durch inhaltliche Äußerungen
       auszeichnet, und dem Bereich, der durch die Bandgeschichte, das Publikum
       und die Labels die rechte Szene berührt.“
       
       Probleme fingen aber nicht erst dort an, wo Hakenkreuze zu sehen sind: „Es
       entstehen Erlebnisräume, die weit entfernt sind von allem, was emanzipativ
       ist“, so Raabe. Sexismus, Gewaltverherrlichung, Männer-Hierarchien, all
       dies finde sich innerhalb dieser Musikszene. Für Neonazis sei das natürlich
       durchaus attraktiv. „Es entsteht ein Rückzugsraum“, so Raabe. „In
       bestimmten Wertfragen ist man sich einig.“
       
       Ein typisches Beispiel ist Frank Marshall. Der Sänger der englischen Band
       „Franky Flame“, die im März im „Sinners“ auftrat, sagt in einem Interview
       mit dem rechten Fanzine „Feindkontakt“: „Unsere Shows sind keine
       politischen Versammlungen.“ An anderer Stelle beklagt er indes als
       „Englands Problem“ eine „große Zahl an Wirtschaftsflüchtlingen“ und die
       aufkommenden „Rassenkonflikte“: „Alle wirken überrascht, wenn die Leute
       ihre eigene Gerechtigkeit suchen und zurückschlagen“, so Marshall.
       
       Er sei sich der Geschichte seiner Vorfahren bewusst – deshalb trage er
       einen „Thorshammer“ als Anhänger, ein germanisches Runen-Symbol. Im
       „Sinners“ war am selben Abend mit ihm die niederländische Band „Razorblade“
       auf der Bühne. Deren Mitglieder bezeichnen sich selbst als „holländische
       Patrioten“ und wirkten 2009 beim Rechts-Rock-Label „Pure-Impact“ auf einem
       Sampler mit, 2004 spielten sie unter anderem mit der rechten Band
       „Blitzkrieg“.
       
       Bei Grauzonen-Bands müsse man „relativ genau schauen“, sagt Publizist
       Raabe. Aber „unpolitisch“ zu sein sei eine Schutzbehauptung. „Natürlich ist
       es politisch, nur meint Politik in der Szene immer nur die NPD.“
       
       Die „Oi!“-Konzerte im „Sinners“ werden mit dem Hinweis beworben, es handele
       sich um „just an Oi!-fest“, bloß eine Oi!-Party. Die Politik solle vor der
       Tür gelassen werden. Blanker Hohn für Carsten Neumann: „Das Schlagwort
       ’unpolitisch‘ dient nur dazu, nicht einmal offensichtlichen Neonazis den
       Zutritt verweigern zu müssen – und sie sogar auf die Bühne zu lassen.“
       
       Im Sinner zeigten sich Probleme etwa am 8. Juni: Zusammen mit den
       „Schusterjungs“ aus Sachsen-Anhalt spielten die „London Diehards“ aus
       Großbritannien – „eine Band mit einer eindeutig rechten Geschichte“, so
       Raabe. Beide traten schon im „De Kastelein“ in Brügge auf, einem Laden mit
       Verbindungen zur in Deutschland verbotenen rechtsextremen Vereinigung
       „Blood&Honour“.
       
       In Bremen zog das Konzert im Juni fast 150 Fans aus ganz Deutschland an –
       „ein großer Haufen chauvinistischer Skinheads“, sagt ein Beobachter. Einige
       ausländische Studierende der Hochschule für Künste, die spätabends noch aus
       den Ateliers kamen, hätten einen Umweg nehmen müssen.
       
       Tom Peter, Geschäftsführer der Diskothek „Sinners“ sagte zur taz, er würde
       niemals Neonazi-Bands auftreten lassen. Angesichts der Vorwürfe sei er
       „schockiert“. In seinem Laden fänden auch Reggae- oder Rockabilly-Konzerte
       statt. Dass die genannten Bands als „Grauzonen“-Bands bekannt sind, wisse
       er durchaus. Damit umzugehen sei für ihn indes „schwierig“: „Ich empfinde
       diese Bands nicht als rechtsoffen“, sagt er.
       
       „Es ist ein schmaler Grat, der da gefahren wird.“ Im Oi!-Bereich gebe es
       kaum eine Band, die nicht zur „Grauzone“ gezählt werde: „Man muss es nicht
       machen, aber es gibt eine Fangemeinde“, so Peter. Die fraglichen Konzerte
       habe jemand anderes für ihn gebucht, auf den er sich verlassen habe.
       
       Gerüchte über rechte Bands in seinem Laden habe er selbst schon gehört.
       „Scheinbar treffen wir einen Nerv, der nicht so gern gesehen wird“, sagt
       Peter. Jetzt will er Konsequenzen ziehen: „Ich habe mich entschieden, keine
       Oi!-Konzerte mehr zu machen. Definitiv nicht“, sagt er.
       
       Und die Neonazis im Publikum? „Ich bin mir sicher, dass auch Rechte unter
       meinem Publikum sind“, so Peter. Neonazis würde er nicht reinlassen, aber:
       „Man kann niemandem in den Kopf gucken und da ist es schwierig, eine klare
       Linie zu ziehen.“
       
       In wenigen Läden, sagt der Publizist Raabe, gebe es einen eindeutigen
       Umgang mit dem rechten Publikum: „Viele Veranstalter schauen weg oder
       zumindest nicht hin.“ Das sei zu bequem. Sie müssten „sich positionieren“,
       fordert Raabe. Nur der Hinweis, die Politik außen vor zu lassen, reiche
       nicht: „Das ist immer der Versuch, vorweg zu sagen, es gehe nur um Spaß –
       in einer Szene, die es hochgradig nötig hätte, sich politisch
       auseinanderzusetzen“, so Raabe.
       
       30 Jun 2013
       
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