# taz.de -- Vorgezogener Erntemonat: Harmonisches Knarzen
       
       > Unter dem Titel „Vom Hier und Jetzt“ zeigt der Kunstverein Hannover
       > zeitgenössische Kunst aus Niedersachsen und Bremen in einer
       > Übersichtsausstellung.
       
 (IMG) Bild: Auf einen roten Faden verzichtet die Herbstausstellung.
       
       Der Versuch, die künstlerische Kreativität im Nordwesten in Form einer
       Überblicksausstellung in den Blick zu nehmen, hat einige Tradition: 1907
       veranstaltete der Kunstverein Hannover die erste dieser sogenannten
       „Herbstausstellungen“. Seither wird über die Sinnhaftigkeit dieser
       Unternehmung diskutiert, aber gerüttelt wird an ihr nicht.
       
       Für die diesjährige Ausgabe wählte die Jury den neutralen Titel „Vom Hier
       und Jetzt“. Präsentiert werden fast ausschließlich neue Arbeiten von
       insgesamt 48 KünstlerInnen. Einen roten Faden oder in verdichtendes Resümee
       gibt es nicht, stattdessen setzte die Jury auf den immanenten
       künstlerischen Dialog.
       
       Gut die Hälfte der Positionen stammt von Künstlerinnen, zudem ist die
       Hälfte der Beteiligten unter 40 Jahre alt. Die vier Ausstellungsorte geben
       sowohl stillen als auch offensiven künstlerischen Temperamenten Raum: Neben
       dem Kunstverein sind wieder die Galerie „Vom Zufall und vom Glück“, die
       städtische Galerie Kubus und die Nord/LB Art Gallery sowohl als Gastgeber
       als auch als Sponsoren mit von der Partie.
       
       Im Kunstverein treffen gleich im ersten Saal zwei Installationen und eine
       kontemplative Fotoarbeit exemplarisch aufeinander. Der Bremer Hanswerner
       Kirschmann stellt strenge, rohe Volumen aus Spanplatten, die indifferent
       zwischen Zwei und Dreidimensionalität verharren, gegen eine
       Materialschlacht aus Glitzerfolie, Teppich und anderem Textil von Gilta
       Jansen. Sie beschwört darin die Schönheit im Versehrten.
       
       ## Gefrorene Carrerabahn
       
       Auf die Flächenkombination des ehemaligen HBK-Professors Lienhard von
       Monkiewitsch aus Braunschweig antwortet Christian Dootz. Seine lange
       Montage aus analogem und digitalem Fotomaterial hält Spielzeugboliden und
       ihre Lichtspuren auf einer Carrerabahn fest. Die Zeit ist eingefroren, das
       dynamische Geschehen ad absurdum geführt.
       
       Eine paradoxe Maschinerie gesellt sich dazu. Sie stammt von Oliver Blomeier
       aus Braunschweig, er hat vor seinem Kunststudium Automechaniker gelernt.
       Auf einem Fahrrad kann der Besucher seine Runden um eine übergroße
       Schallplatte drehen, ein Tonabnehmer mit archaischem Trommelverstärker und
       Lautsprechertrichter gibt einen leichten Klang wieder. Im Laufe der
       Benutzung wird die Plattenrille zur tiefen Furche werden, statt „Into the
       Groove“, so der Titel, führt letzten Endes alles ins harmonische Knarzen.
       
       Den weiteren Weg durch die insgesamt neun Räume des Kunstvereins prägt ein
       Aufprall der Generationen. Raimund Kummer, in Braunschweig Bildhauerei
       lehrend, hat ein imaginäres Archiv aus einheitlich braunen Pizza-Schachteln
       aufgeschichtet, das wohl nur durch ihn selbst, vor Ort vertreten durch sein
       angelehntes Fahrrad, einer Deutung unterzogen werden könnte. Während Jochen
       Isensee, junger Absolvent aus Braunschweig und preisgekrönter
       Computerspiel-Designer, ganz unbekümmert am Monitor zum interaktiven
       Rundgang durch die animierten Räume des Kunstvereins einlädt.
       
       Die Schaufenster der Galerie „Vom Zufall und vom Glück“ zieren textile
       Arbeiten. Die gebürtige Hannoveranerin Jana Engel – sie hat an der
       Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert – zeigt eine
       Kollektion schwarzer Stofftaschen, bedruckt mit den Namen von Schiffen, die
       Ziele weltweiter Piraterie wurden. Sie entlarvt und verschlüsselt die
       Strategien der Mode, sich tagespolitische Ereignisse einzuverleiben.
       
       Einen konsumkritischen Ansatz verfolgt der Japaner Shige Fujishiro aus
       Hannover. Er hat Plastiktüten von Discountern oder teuren Modemarken in
       aufwendige Perlenstickereien überführt. Mit diesen Einzelstücken, die nun
       den üblichen Rückschluss auf den sozialen Status des Benutzers verwehren,
       inszeniert er sich anschließend als obdachloser Flaschensammler oder satter
       Konsument, der achtlos an einem Haufen Nobelmüll vorbeizieht.
       
       In der Städtischen Galerie Kubus hat Katrin Bertram aus Hannover das
       Repertoire der klassischen Musik um ineffiziente Tonhöhen, Dynamiken und
       Tempi bereinigt. Sie hat vor ihrem derzeitigen Kunststudium in München zehn
       Jahre in der Prozessoptimierung gearbeitet. Dabei brauchte sie von den
       Inhalten der zu entschlackenden Vorgänge nicht Bescheid zu wissen, so
       Bertram, folglich ging sie ohne musikalische Vorbildung zu Werke.
       
       Spektakulärer Endpunkt der Herbstausstellung ist wohl das sechs Meter
       lange, wenngleich fahruntüchtige Automobil des in Braunschweig arbeitenden
       Kolumbianers Felipe Cortés Salinas. Mehrere BMW und Golf-Hälften hat der
       Schwitters-Fan notdürftig mit Gurten zusammengehalten, Bandagen aus
       Frischhaltefolie konservieren seine vergangene Antriebsgewalt. So steht nun
       ein groteskes Vanitas-Symbol im Schaufenster der Nord/LB Art Gallery, von
       welkem Buchenlaub umflort.
       
       2 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kunst
       
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