# taz.de -- Movimento 5 Stelle in Italien: „Das Parteiensystem ist ein Virus“
       
       > Der italienische Veränderungsglaube inmitten schwerer politischer Krisen:
       > Ein Treffen mit einem Aktivisten von Beppe Grillos Movimento 5 Stelle.
       
 (IMG) Bild: Gegen das Establishment. Ein Aktivist der Movimento 5 S während einer Demo in Rom.
       
       ROM taz | Italienische Politiker? Die einen nennen sich links. Gianni
       Ventola Danese hebt einen Salzstreuer. Und die anderen rechts. Er hebt den
       Pfefferstreuer. Und jetzt sind sie zusammen. Die beiden Streuer klacken
       aneinander. „Die PD hat ihre linke Identität verkauft, um an der Macht zu
       bleiben“, sagt er. „Das Parteiensystem ist ein Virus, es ändert sein
       Aussehen, es verwandelt sich, es verbündet sich, um zu überleben.“
       
       Wir sitzen in einer Pizzeria im römischen Viertel San Lorenzo, ein karger,
       aber mit Gästen gut gefüllter Raum, die Pizza kostet hier fünf, der halbe
       Liter Wein drei Euro. An einer langen Tafel hat eine Gruppe Platz genommen,
       die immer größer wird, mehrmals müssen wir unseren Tisch wechseln, bis wir
       schließlich, in eine Nische gedrängt, in Ruhe gelassen werden.
       
       Gianni kenne ich seit drei Jahren. Er ist Ende vierzig, genauso alt wie der
       italienische Ministerpräsident Enrico Letta, doch sein Leben könnte jenem
       seines Altersgenossen kaum ferner sein. Weder kann Gianni auf eine lange
       Parteikarriere zurückblicken, noch ist er Hoffnungsträger der Partito
       Democratico (PD). Sein Onkel ist keine mächtige Person in Berlusconis
       Popolo della Libertà (PdL) und seine Frau keine Journalistin beim Corriere
       della Sera, genau genommen ist Gianni nicht einmal verheiratet.
       
       Er verdient sein Geld als Musiklehrer, er unterrichtet in einem kleinen
       Studio in der Via Prenestina, wo er unter der Woche wohnt, für mehr reicht
       es im Moment nicht aus. Was es dort gibt? Hässliche Häuser, hässliche
       Cafés, hässliche Supermärkte. Er will umziehen, so bald wie möglich, und
       hofft, dass durch die Wirtschaftskrise die Mietpreise in Rom sinken, damit
       er sich eine bessere Bleibe leisten kann.
       
       Dennoch, abgesehen vom Alter gibt es eine weitere Parallele zwischen Gianni
       und Enrico Letta: Beide haben bei den diesjährigen italienischen
       Parlamentswahlen kandidiert, Letta für die PD, Gianni für Beppe Grillos
       Movimento 5 Stelle (M5S). Es ist Monate her, dass die Wahlen stattfanden,
       doch die Parteien, die sich wochenlang in verschiedenen Pattsituationen
       ausprobiert haben, richten sich erst langsam in ihrer neuen Koalition ein,
       die keinem so recht zu passen scheint.
       
       Der M5S hat aus dem Stand 25 Prozent geholt und damit wohl vor allem die
       linke PD geschwächt. Enrico Letta muss es nun richten, vor allem aber muss
       er immer wieder erklären, weshalb der Teufelspakt mit Berlusconis PdL nicht
       zu umgehen war.
       
       ## Ein historischer Kompromiss
       
       Die Koalitionsverhandlungen zwischen PD und M5S verliefen zügig und
       erfolglos. Im Wahlkampf hatte die PD dem PdL noch eine klare Absage
       erteilt. Bei diesem Versprechen wäre man auch gerne geblieben, ist von
       Seiten der PD zu vernehmen, doch dafür hätte sich Grillo kompromissbereiter
       zeigen müssen. Wäre. Hätte.
       
       Am Ende hat man eine Regierung zusammengeschustert, die so niemand wollte
       und die dennoch möglichst halten soll, bis die wichtigsten Reformen
       durchgepeitscht sind, um das Land aus der ökonomischen Talfahrt
       herauszuholen.
       
       Die Koalition zwischen PD und PdL scheint wie der historische Kompromiss im
       neuen Gewand zu sein, wie eine Neuauflage jener bis dahin undenkbaren
       Koalition zwischen den Christdemokraten und der italienischen KP, die 1978
       nach nur wenigen Tagen mit der Entführung und Ermordung des
       Christdemokraten Aldo Moro ausgeträumt war, der seither Symbolfigur ist für
       den Versuch, ideologische Grenzen zu überwinden. Und daran zu scheitern.
       
       Auch Beppe Grillo ist innerhalb des letzten Jahres zu einer Symbolfigur
       geworden, allerdings weniger für die Überwindung von Grenzen als vielmehr
       für die Überwindung eines ganzen Systems. Mit zynischer Rhetorik ist es ihm
       gelungen, all jene zu einen, die ihre Wut auf das Establishment bislang
       eher paralysierte als stärkte.
       
       ## Enttäuscht von den Eliten
       
       Gianni hat sich beim M5S beteiligt, weil er sich nicht damit zufriedengeben
       wollte, einen Zettel in eine Wahlurne zu werfen und sich so an einem Spiel
       zu beteiligen, das er nur noch in Anführungszeichen als demokratisch
       bezeichnen kann und das aus seiner Sicht in den Händen der Parteieliten
       liegt – was im Übrigen nicht allein ein italienisches Problem sei.
       
       „Die europäische Politik ist in der Krise“, meint er. „Die Parteien haben
       sich in Eliten verwandelt, die ökonomische und mediale Macht benutzen, um
       die demokratischen Prozesse zu steuern. Die Bürger sind ausgeschlossen von
       den Entscheidungen.“ Gianni aber glaubt an die Bürger und daran, dass sie
       alles ändern können. Ohne Geld, ohne Parteien, ohne Machtzentren. Einfach
       dadurch, dass sie sich bei den Entscheidungsfindungen beteiligen.
       
       Wenn man sie denn lässt. In unserer Nische jedenfalls werden wir weiterhin
       übersehen. Die Bedienung trägt Platten mit Vorspeisen an uns vorbei,
       gewaltige Mengen frittierter fiori di zuccha und Reiskroketten. Die
       Tafelrunde beherrscht den Raum.
       
       ## Der berühmte Handschlag
       
       „Die große Schwäche unseres Landes“, sagt Gianni, „ist der Handschlag
       zwischen Mafia und den politischen Parteien. Er reicht zurück ans Ende des
       Zweiten Weltkriegs. Es ist ein Handschlag, der die Parteien verändert hat.
       Die einzige Rettung besteht darin, die Parteien zu isolieren und uns, die
       Bürger, zurück zur Politik zu bringen.“
       
       Während Gianni spricht, kann man den Eindruck gewinnen, als bezeichne das
       Wort „Partei“ für ihn die Wurzel allen Übels, die man erst einmal ausreißen
       muss, ehe es weitergehen kann. Dass der M5S eben keine Partei sei, das ist
       ihm wichtig und er betont es mehrmals. Es ist eine Bewegung, sagt er, als
       sei das ein Zauberwort.
       
       Gerade dieses Zauberwort allerdings bietet nun eine neue Angriffsfläche. Im
       Rahmen der Parlamentsreform soll ein Gesetz verabschiedet werden, das
       Bewegungen künftig von den Wahlen ausschließt. Natürlich sei das kein
       Gesetz gegen den M5S, heißt es von Seiten der PD. Man wolle lediglich
       innerhalb der Gruppierungen formaljuristische Klarheit schaffen, etwa
       darüber, wer welche Funktion innehabe.
       
       Unsinn, man wolle dem M5S an den Kragen, sagen viele seiner Anhänger. Und
       warum habe der M5S ein so schlechtes Bild in den italienischen Medien?,
       fragt Gianni. Weil die sich in der Hand der großen Parteien oder ihrer
       mächtigen Vertreter wie Berlusconi befänden, und die hätten kein Interesse,
       ein gutes Haar an der Bewegung zu lassen.
       
       „Die offiziellen Medien arbeiten rund um die Uhr gegen die Bewegung, aber
       es gelingt ihnen nicht, sie zu zerstören. Die Bürger haben einen neuen Weg
       der Politik gefunden“, sagt Gianni und meint damit das Internet, den aus
       seiner Sicht letzten großen Freiraum in der italienischen Medienlandschaft.
       Die Bewegung sei eine Bedrohung für die etablierten Parteien geworden,
       deshalb setzten diese jetzt alles daran, den M5S und seine Anhänger ins
       Abseits zu drängen.
       
       ## Der heroische Gestus
       
       In unserem Abseits sind endlich zwei Gläser Bier angekommen, und während
       ich an meinem Peroni nippe, lasse ich mich von dem heroischen Gestus
       mitreißen und stelle mir vor, wie aus der M5S eine so machtvolle und
       erbittert bekämpfte Oppositionsmacht werden könnte, wie sie während der
       ersten Republik die KPI war.
       
       Jene Periode, die von 1945 bis in die frühen neunziger Jahre andauerte, war
       geprägt von einer Vorherrschaft der Christdemokraten, die mit Unterstützung
       der USA und der Nato alles daransetzten, die in Italien zu jener Zeit sehr
       starken Kommunisten von der Regierungsbeteiligung abzuhalten. Der
       historische Kompromiss von 1978 kostete die Westmächte mindestens so viele
       Nerven, wie die KPI in den Folgejahren an Stimmen einbüßte, und er wird
       mitunter als Anfang vom Ende der ersten Republik in Italien gesehen.
       
       Ob der Kompromiss von 2013 ähnlich Bedeutendes einläutet, wird sich zeigen.
       Spekulationen vom Ende der zweiten Republik sind bereits laut geworden und
       auch wieder leiser. Sogar von einer Revolution war die Rede. Beppe Grillo
       etwa glaubt sie bereits in vollem Gang und Gianni sieht die Aufstände in
       den südlichen Mittelmeerländern als Zeichen dafür, dass die Unruhen bald
       auch Kontinentaleuropa erreichen könnten. „Italien ist kein Land der
       Revolution, aber wenn sich die ökonomische Krise weiter zuspitzt, kann man
       nichts ausschließen“, sagt er.
       
       ## Revolution – ein großes Wort
       
       Revolution freilich ist ein großes Wort, und ob die Zustände in Italien
       tatsächlich genügend Übereinstimmung mit jenen in Ägypten oder auch der
       Türkei haben, um hier eine ähnliche Entwicklung in Gang zu setzen, darf man
       bislang noch in Zweifel ziehen.
       
       Als Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem Roman „Der Leopard“ den
       Niedergang eines sizilianischen Adelsgeschlecht nachzeichnete, schrieb er
       den vielleicht berühmtesten Satz über gesellschaftlichen Wandel in Italien:
       „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass
       sich alles verändert.“
       
       Bei Gianni jedenfalls ist am Ende alles so geblieben, wie es war. Er ist
       nicht ins Parlament eingezogen. Aus Umbrien, wo er kandidiert hat, ist nur
       ein Kandidat der M5S gewählt worden. „Aber stell dir vor, es hätte
       geklappt.“ Es ist eine fast kindliche Freude, mit der Gianni das sagt, und
       auch ein wenig Stolz schwingt mit, Stolz auf etwas, das er nie erreicht
       hat. „Stell dir vor! Dann könnte ich dir jetzt eine Führung durchs
       Parlament geben.“
       
       ## Klare Hierarchien
       
       Ich muss lachen, während Gianni sich ausmalt, was alles hätte sein können.
       Dies macht mir deutlich, wie weit das Parlament von Giannis
       Lebenswirklichkeit entfernt ist und wie klar am Ende doch die Hierarchien
       sind, auch in seinem Kopf.
       
       Gianni, mit dem ich durch San Lorenzo laufe, das Studentenviertel, in dem
       das Bier bezahlbar ist, stellt sich das Leben als Senator vor, und die
       Senatoren, die in ihren gepflegten Anzügen von Termin zu Termin eilen,
       haben weder Zeit noch Muße für Imaginationen dieser Art. Ob der M5S
       tatsächlich eine Wandlung der italienischen Politik herbeiführt, bleibt
       abzuwarten. Vielleicht hat er auch nur eben genug verändert, damit alles so
       bleiben kann, wie es ist.
       
       3 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nora Bossong
       
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