# taz.de -- Winzer in Ungarn: Reife Kirschen, pralle Feigen
       
       > Die Donauschwaben in Südungarn als Traditionswinzer. Nirgendwo ist die
       > wechselvolle Geschichte Südungarns so präsent wie in Pécs.
       
 (IMG) Bild: Promenadenfest vor dem Dom in Pécs mit Weinausschank.
       
       Wenn die Nachmittagssonne durch die Glaswand in sein Atelier hoch über der
       ungarischen Stadt Pécs fällt, sieht Gábor Illa seine Skulpturen in mildes
       Licht getaucht. Die Steinplastiken zeichnen sich durch ihre runden Formen
       aus, die Bronzen sind gegenständlich und exotisch, etwa der Aztekengott
       Quetzalcóatl.
       
       Mitten im Wohnzimmer steht ein überlebensgroßes Modell des heiligen
       Wendelin: aus Gips und Styropor geformt. Die Statue, die von
       Ungarndeutschen in Auftrag gegeben wurde, soll im Dorf Bezedek, unweit der
       Stadt Mohács, stehen. Heiligenbilder gehören sonst nicht in sein
       Repertoire, sagt der junge Künstler fast entschuldigend. Aber einen gut
       bezahlten Auftrag schlage man nicht gerne aus.
       
       Denn der Sohn eines Steinmetzes kann von der freien Kunst allein nicht
       leben. Immer wieder werde er für eher handwerkliche Restaurierungsarbeiten
       angefragt. Zu Restaurieren gibt es in Pécs viel: von den frühchristlichen
       Grabstätten der Römersiedlung Sopianae über die barocken Gebäude und
       Jugendstilfassaden im Zentrum bis zum Areal der ehemaligen Keramikfabrik
       der Industriellenfamilie Zsolnay.
       
       ## Der Habsburger Geist
       
       Das Stadtzentrum von Pécs rund um die Fußgängerzone in der Király Utca
       strahlt die gediegene Aura einer k. u. k Provinzstadt aus. Die Amtsgebäude
       und Schulen entsprechen dem Modell, das überall in der Habsburger Monarchie
       kopiert wurde. Denkmäler ungarischer Helden und Künstler erinnern daran,
       dass man sich nicht in Österreich befindet.
       
       Das wird auch durch die Gebäude aus der osmanischen Zeit unterstrichen. Das
       größte ist die im Auftrag von Pascha Gasi Kassim 1543 aus den Überresten
       der Bartholomäuskirche erbaute Moschee, gleichzeitig das größte islamische
       Bauwerk Ungarns. Heute dient das Gotteshaus wieder als Kirche. Das am
       besten erhaltene islamische Bauwerk ist die Moschee des Paschas Jakowali
       Hassan, in der heute ein Museum untergebracht ist.
       
       Nirgendwo ist die wechselvolle Geschichte Südungarns so präsent wie in
       Pécs. Als die Habsburger nach der zweiten Wiener Türkenbelagerung von 1683
       begannen, die Osmanen schrittweise zurückzudrängen, wurde ihre Herrschaft
       über ganz Ungarn besiegelt. Das frei gewordene Land gab man armen Bauern
       aus Deutschland. Aus Hessen, der Pfalz, dem Sudetenland und Bayern.
       Donauschwaben nennt man sie wahrscheinlich, weil sie von Ulm aus über die
       Donau angereist kamen.
       
       Die Stadt Fünfkirchen (Pécs) wurde zum Zentrum der deutsch-ungarischen
       Kultur und blieb es bis zum Zweiten Weltkrieg. Die Vertreibung der
       Deutschstämmigen wurde aber nicht mit derselben Gründlichkeit vollzogen wie
       im Sudetenland oder in Ostpreußen. Viele konnten sich der Vertreibung
       entziehen. So gibt es heute noch eine deutsche Schule, und die
       Nikolaus-Lenau-Stiftung sorgt dafür, dass die deutsche Kultur lebendig
       bleibt. Mehr als die Hälfte der deutschsprachigen Bevölkerung Ungarns lebt
       in und um Pécs.
       
       ## Besuch der Weinstraße
       
       In Pécs hatte der Weinbau Tradition. Die Weinberge im Norden der Stadt sind
       aber in den letzten Jahrzehnten kleinen Wochenendhäusern oder Villen
       gewichen. Die Weinproduktion konzentriert sich heute auf die ungarische
       Weinstraße zwischen den Städtchen Siklós und Villány, etwa 40 Kilometer
       südlich von Pécs. Dort wurde schon zur Römerzeit Wein gekeltert. József
       Bock kann die Winzertradition zumindest bis 1850 zurückverfolgen.
       
       Es ist gar nicht leicht, den 65-jährigen Pionier in Ruhe zu sprechen. Wenn
       er nicht gerade verreist ist, plaudert er gern mit den Gästen oder muss auf
       seinen 70 Hektar großen Weingärten nach dem Rechten sehen. Seine Geschichte
       hat er schon unzählige Male zum Besten gegeben: Zur Zeit des
       sozialistischen Regimes war Privateigentum nur sehr begrenzt möglich. Um
       den Weinbau kümmerte sich ein Staatsbetrieb. Die Familie Bock konnte lange
       Zeit nur einen halben Hektar selbst bewirtschaften. Doch noch vor der
       politischen Wende nützte Bock die sich öffnenden Freiräume und erwarb auf
       den Namen von Familienmitgliedern kleine Parzellen, die es ihm erlaubten,
       mehrere Rebsorten anzubauen.
       
       Ab 1987 füllte er unabhängig vom Staatsbetrieb Flaschen ab und verkaufte an
       Hotels in Pécs um die 15.000 Flaschen jährlich. Gemeinsam mit den Kollegen
       Attila Gere und Zoltán Polgár folgte er dem Trend zum Qualitätswein. Dass
       es ihm gelungen ist, belegen die unzähligen Auszeichnungen, mit denen die
       Wände in seinem Hotel gepflastert sind.
       
       Heute kann man Bocks Cabernet Sauvignon und Merlot von Neckartenzlingen bis
       Schanghai bekommen. Der Export ist dem Edelwinzer aber nicht so wichtig:
       „85 Prozent werden in Ungarn getrunken“. Zum Teil direkt in den eigenen
       Kellern. Weinverkostung gehört hier quasi zum Pflichtprogramm. Dass auch
       Promis die Tropfen des Winzers zu schätzen wissen, belegen Fotos von Otto
       Habsburg und Plácido Domingo, die neben József Bock posieren.
       
       ## Beim Blauen Portugieser
       
       Die Region erfreut sich eines mediterranen, teilweise submediterranen
       Klimas. Ende Mai schon sind die Kirschen reif, die Feigen sind bereits
       prall. Auf den Südhängen gedeiht vor allem der Rotwein prächtig. Ein Paar
       Hektar Riesling und Chardonnay auf den eher schattigen Lagen sind ein
       Tribut an die Weißweintrinker.
       
       Den Blauen Portugieser haben schon die Donauschwaben im 18. Jahrhundert
       mitgebracht. József Bocks Vorfahren sind ab 1734 dokumentiert. Sie kamen
       aus der Gegend von Fulda und siedelten im Jammertal, das auch auf
       ungarischen Karten mit diesem Namen verzeichnet ist. Der Name soll auf die
       Vertreibung der Türken zurückgehen. Noch heute hat Bock einen Keller im
       Jammertal, wo Tausende Liter Wein in Eichenfässern reifen.
       
       In den Nischen lagern Flaschen aus der Anfangszeit in den frühen 1990er
       Jahren, denen der zottige Moder, der sich in den feuchten Gewölben
       breitmacht, den Anschein antiker Reliquien verleiht. Etwas Sakrales haftet
       auch dem neuen Keller direkt unter dem Hotel- und Restauranttrakt an. Ein
       107 Meter langes Gewölbe, beidseitig von Eichenfässern gesäumt, endet unter
       einer Kuppel, die an die frühchristlichen Gräberhallen in Pécs erinnert.
       Sie dient aber weit lebendigeren Veranstaltungen, wie Konzerten oder
       Vorträgen.
       
       Entlang der Hauptstraße von Villány reiht sich ein Keller an den anderen.
       Viele der Winzer tragen deutsche Namen, denn trotz der Vertreibung der
       Deutschstämmigen 1945 hat sich eine starke Minderheit von etwa 40 Prozent
       gehalten. Auch die altertümliche Bauernsprache wird noch gesprochen. Die
       Probleme, die es noch vor 50 Jahren zwischen den ethnischen Gruppen gegeben
       habe, sagt József Bock, seien längst verschwunden. Über József Bock weiß
       selbst die Konkurrenz nichts Böses zu berichten. Er ist mehrmals zum
       beliebtesten Winzer gewählt worden.
       
       6 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
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