# taz.de -- Fremdenhass vs. Engagement: Angst vor Provokationen
       
       > Die Leiterin des Flüchtlingsheims in der Johann-Lange-Straße in Vegesack
       > macht sich nach dem rassistischen Ausbruch auf der Beiratssitzung Sorgen.
       
 (IMG) Bild: Mageda Abou-Khalil leitet das Flüchtlingsheim in der Vegesacker Johann-Lange-Straße.
       
       „Was kommt jetzt auf uns zu?“ Diese Frage stellt sich Mageda Abou-Khalil,
       Leiterin des Flüchtlingsheims in der Johann-Lange-Straße in Vegesack. Seit
       20 Jahren leitet sie die 1990 eröffnete Einrichtung. Nie, sagt sie, habe es
       in dieser Zeit Probleme mit Nachbarn gegeben, außer ab und an Beschwerden,
       weil Kinder zu laut waren oder Blumen in einem Vorgarten gepflückt haben.
       Doch am Freitag warnte sie die 61 BewohnerInnen des Heims – darunter 19
       Kinder – sie sollten auf Provokationen achten.
       
       Der Grund: Abou-Khalil war Augen- und Ohrenzeugin der Sitzung des Beirats
       Vegesack am Donnerstagabend. Auf dieser hatten AnwohnerInnen alle
       niedergebrüllt, die sich dafür einsetzten, dass Wohncontainer für 120
       Flüchtlinge auf einem ehemaligen Sportplatz aufgestellt werden. Abou-Khalil
       war nicht alleine zu der Sitzung gekommen, sondern hatte BewohnerInnen
       eines Flüchtlingsheims im Viertel mitgenommen: Einen syrischen Arzt, einen
       afghanischen Politik-Professor und seine Frau, eine Journalistin aus dem
       Iran, einen Krankenpfleger aus dem Irak und – mit ihrer vierjährigen
       Tochter – eine Frau aus Syrien, die englische Literatur studiert hat. Ihr
       Mann wurde vor einem Jahr erschossen. Abou-Khalil hatte gehofft, dass die
       fünf zu Wort kämen, dem Begriff „Flüchtling“ ein Gesicht geben könnten –
       auch um Ängste zu nehmen. „Aber das wollte niemand dort hören“, sagt
       Abou-Khalil, der auch vier Tage später noch anzumerken ist, wie sehr sie
       das Verhalten der Leute schockiert hat, „da war nur Hass.“
       
       Dabei hat sie im Viertel erlebt, dass es anders geht. Seit seiner Eröffnung
       im April leitet sie zusätzlich das Flüchtlingsheim in der
       Eduard-Grunow-Straße. „Das Engagement hier ist überwältigend, so viel
       Herzlichkeit hatte ich nicht erwartet“, sagt Abou-Khalil. Regelmäßig kämen
       Nachbarn mit Sachspenden vorbei, es wird gemeinsam gekocht, das
       Frauenzentrum Belladonna wird von der Stadt dafür bezahlt, dass es einen
       Frauen-Sprachkurs anbietet. Dabei hatten auch dort Nachbarn diffuse Ängste
       vor Lärm und Kriminalität, die sie auf einer Beiratssitzung im vergangenen
       November zum Ausdruck gebracht hatten. Darunter der emeritierte
       Uni-Professor Johannes Beck und Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums. Beide
       haben direkt gegenüber dem Wohnheim ihr Wohn- beziehungsweise Vereinshaus
       und waren sehr skeptisch. Doch sie lernten dazu und forderten per Brief
       vergangene Woche den Vegesacker Beirat und die BesucherInnen der Sitzung
       dazu auf, sich ihre guten Erfahrungen zum Vorbild zu nehmen.
       
       Ähnlich die Entwicklung in Schwachhausen. Dort protestierten AnwohnerInnen
       im Dezember auf einer Beiratssitzung gegen das Vorhaben, in einer
       ehemaligen Schule in der Thomas-Mann-Straße eine Notunterkunft
       einzurichten. Zur Eröffnung im Januar hätten Nachbarn sogar einen privaten
       Wachdienst engagiert, erzählt Heimleiterin Gisela Böhme. „Den haben die
       aber schnell wieder abbestellt.“ Einer dieser Nachbarn habe ihr kürzlich
       gesagt, dass nichts von seinen Befürchtungen eingetreten wäre. Er spendete
       sogar einen Sandkasten und eine Schaukel – damit die Kinder nicht mehr
       direkt vor seiner Terrasse spielen. Für Böhme geht das in Ordnung. „30
       Kinder sind einfach laut.“
       
       Anders als bei den anderen Flüchtlingsheimen handelt es sich bei der
       Thomas-Mann-Straße nur um eine Notlösung, deshalb sollen die Kinder – die
       von Ehrenamtlichen vier Stunden am Tag betreut werden – nicht zur Schule
       gehen. Gemeinsam drückten Heimleitung und Beirat gegenüber den Behörden
       durch, dass für die Kinder eine Klasse in der nahen Grundschule
       eingerichtet wird. Regulär beschult werden sie erst, wenn Wohnungen für die
       Familien – derzeit vor allem Roma und Tschetschenen – gefunden worden sind.
       Das ist schon für deutsche Familien schwer, für Flüchtlinge bleiben
       Wohnblocks. Immerhin zwei Mal hätten Unterstützer an Privateigentümer
       vermitteln können, sagt Böhme.
       
       Warum die Vegesacker sich nicht auf die Flüchtlinge einlassen können,
       verstehen beide Heimleiterinnen nicht. „In manchen Stadtteilen haben die
       Leute selbst genug mit Überleben zu tun, da sind sie gegenüber Flüchtlingen
       im besten Fall gleichgültig“, hat Böhme erlebt. Doch von Gleichgültigkeit
       kann in Vegesack keine Rede sein.
       
       Die CDU im Beirat Vegesack, die zur Sitzung mit Flugblättern mobilisiert
       hatte, schrieb noch gestern auf ihrer Homepage, dass es in Vegesack bereits
       ein Flüchtlingsheim gebe. Und: „Es stellt sich die Frage, warum wieder
       Vegesack.“ „Vegesack wäre dann der einzige Standort, außer Stadtmitte, mit
       zwei Quartieren für Flüchtlinge.“ Gleichwohl will Fraktionssprecher Detlef
       Scharf das nicht als Veto gegen ein zweites Flüchtlingsheim verstanden
       wissen, wie er der taz sagte. Dieses solle dann aber kleiner als geplant
       sein und an einem anderen Standort liegen. Zum Beispiel neben der Jacobs
       University. Dies hätte den Vorteil, so Scharf, dass die Flüchtlinge auf dem
       Campus Leute finden würden, die ihre Sprache sprechen. „Wir können ja gar
       nicht mit denen kommunizieren.“
       
       In der Johann-Lange-Straße sei er lange nicht mehr gewesen. „Aber wir sind
       auch an anderen Brennpunkten wie dem Drogentreff.“ Auf Nachfrage räumt er
       ein, dass die Johann-Lange-Straße kein Brennpunkt ist.
       
       9 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eiken Bruhn
       
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