# taz.de -- Schwerpunkt Polizeigewalt: Korpsgeist und Vertuschung
       
       > Die Polizei wendet Gewalt an - mal in „Ausübung des Gewaltmonopols“, mal
       > „unverhältnismäßig“. Oft wird Polizeigewalt beklagt, selten bestraft.
       
 (IMG) Bild: Produziert bisweilen Opfer: Polizist.
       
       BREMEN taz | Plötzlich ist da dieses Video. Überwachungsbilder zeigen
       Polizisten bei einem Einsatz in der Bremer Disko „Gleis 9“. An einem
       Sonntagmorgen im Juni nehmen sie einen Besucher fest. Vier halten ihn, zwei
       sichern, einer schlägt zu – mit dem Tonfa-Schlagstock in Richtung Knie. Sie
       tragen eine Zahl auf dem Rücken: 221. Der Disko-Besucher wird getreten, zu
       Boden gerungen. Ein Polizist haut ihm mit dem Tonfa ins Genick. Bekannt
       wurde der Fall im Juli, durch die Presse, interne Ermittlungen begannen.
       Der Einsatz sei „völlig korrekt“ gewesen, sagte am vergangenen Dienstag der
       Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD).
       
       Beinahe Genugtuung hatte sich zuvor bei Opfer-Anwälten eingestellt: endlich
       ein Videobeweis für Gewalteinsatz, die Polizisten könnten sich nicht
       gegenseitig decken. „Erschüttert“ war der Bremer SPD-Innenpolitiker Sükrü
       Senkal, den Grünen-Fraktionschef Matthias Güldner erinnerten die Szenen an
       U-Bahn-Schlägereien. Eine „rasche Aufklärung“ forderte sogar die CDU, die
       Linkspartei eine Kontroll-Kommission und einen unabhängigen
       Polizeibeauftragten. Die linke Szene reagierte von Anfang an verhalten:
       „Polizeigewalt. Nichts neues“, schrieb ein Blogger.
       
       Es war nicht der erste Fall. In Bremen berichtete die taz zuletzt im Mai
       über einen Brasilianer, dem ein Polizist das Gesicht zertrümmerte. Der
       Zivilbeamte hatte nach Einbrechern gesucht. Der Brasilianer war keiner,
       stellte die Polizei nachher fest. Der Beamte in Zivil aber habe sogar seine
       Waffe gezogen, sagt die Anwältin des Mannes. Dass es sich um einen
       Polizisten handelte, habe ihr Mandant erst erfahren, als er um Hilfe
       schrie. „Ich bin die Polizei“, soll der Fahnder ihm da gesagt haben. Der
       Beamte hat eine andere Version, der Verprügelte bis heute ein Verfahren
       wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“.
       
       Bei dem Disko-Vorfall spricht Innensenator Mäurer nun von einer „dreisten
       Inszenierung“ der Medien. Der angeblich so friedliche Familienvater sei
       einschlägig bekannt. Die Staatsanwaltschaft ermittele nur gegen einen der
       Polizisten. Und von einer „Unwahrheit“ spricht er gar im Zusammenhang mit
       dem veröffentlichten Video, weil das geschnitten ist. Er verweist auf eine
       längere Version, die taz hat sie gesehen: Keine der herausgeschnittenen
       Szenen entlastet die Beamten – vielmehr zeigen sie noch mehr Gewalt.
       
       Horst Göbel, Bremer Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, kann keine
       „Prügel-Orgie“ erkennen. Die Polizei dürfe Gewalt anwenden, sagt er: „Damit
       gewinnen Sie keinen Schönheitspreis.“ Es blieben Fragen offen, die nun
       durch interne Ermittlungen geklärt würden. Und er sagt, dass die Zahl der
       Straftaten gegenüber Polizisten um elf Prozent angestiegen sei.
       
       2012 gab es laut Innenressort in Bremen 360 Anzeigen von Polizisten, die
       angaben, verletzt worden zu sein. Gegen Polizisten sei 50-mal wegen Gewalt
       ermittelt worden. 2012 wurden 34 Verfahren wegen Polizeigewalt erledigt, 33
       davon wurden eingestellt: Aus Mangel an Beweisen, oder weil keine Straftat
       ermittelt werden konnte.
       
       Nicht immer gibt’s Beweis-Aufnahmen. Beim Disko-Vorfall nahm das Video
       mysteriöse Wege: Der Betreiber des „Gleis 9“ gibt an, einen Mitarbeiter mit
       dem Video noch im Juni zur Wache geschickt zu haben – dort aber, sagen die
       Polizisten nun, sei es nie angekommen. Bereits drei Tage, nachdem deswegen
       der Verdacht auf Vertuschung aufkam, gab der Innensenator Entwarnung: Der
       Briefkasten sei schon seit längerer Zeit zugeschraubt, das Video habe also
       nicht ankommen können. Der Diskobetreiber bleibt bis heute bei seiner
       Version.
       
       Auch in Kevin Schümanns Fall gab es ein Video. Radio Bremen berichtete Ende
       Juni über ihn: Nach schweren Krawallen im Bremer Szene-Viertel war er 2010
       von Polizisten festgenommen worden. Schümann war unbeteiligt, wurde später
       freigesprochen. Ein Video zeigt, wie Polizisten ihm hart ins Gesicht
       schlagen. Blau und geschwollen war sein Auge, Schümann elf Tage krank.
       
       Auch gegen ihn gab’s eine Anzeige – wegen „Widerstands gegen
       Vollstreckungsbeamte“. Laut Schümanns Anwältin schlug die
       Staatsanwaltschaft einen Deal vor: Er zeigt die Polizisten nicht an, das
       Verfahren wird eingestellt. Ihr Mandant schlug das Angebot aus, die
       Staatsanwaltschaft musste gegen die Polizei ermitteln – schleppend, sagt
       die Anwältin. Erst nach einer Beschwerde wurden die Ermittlungen wieder
       aufgenommen.
       
       Richtig tüchtig waren Staatsanwaltschaft und Polizei im „Gleis 9“: Ein paar
       Tage, bevor das Prügel-Video öffentlich wurden, durchsuchte die Polizei
       neben den Privatwohnungen der Betreiber die Räume der Diskothek. Die
       komplette Überwachungsanlage nahm sie mit. Alles wegen eines möglichen
       Datenschutzvergehens: In der Disko seien illegal Tonaufnahmen gemacht
       worden. Diese Durchsuchungen waren zu keinem Zeitpunkt Teil der internen
       Ermittlungen. Dass damit Beweise vertuscht worden sein könnten, hat die
       Staatsanwaltschaft von Anfang an zurückgewiesen.
       
       19 Jul 2013
       
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 (DIR) Jean-Philipp Baeck
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