# taz.de -- Erneuerung im Vatikan: Kreuz aus Eisen statt eiserne Hand
       
       > Papst Franziskus stellt die Grundpfeiler der katholischen Kirche in
       > Frage. Die Konservativen sind aufgeschreckt, die Folgen nicht abzusehen.
       
 (IMG) Bild: Revolution: Der Papst trägt seine Handtasche selbst.
       
       Papst Franziskus mag Situationen, die seinen Sicherheitsleuten die Haare zu
       Berge stehen lassen. Für seine Tour über die Flüchtlingsinsel Lampedusa und
       durch Rio de Janeiro verschmähte er das gepanzerte Papamobil, er wählte
       stattdessen einen offenen Fiat. Und stieg immer wieder aus. Aber womöglich
       droht ihm eher Gefahr aus den Reihen derer, die ihn gerne weiter umstellen,
       „beschützen“, abschirmen würden: aus der Kurie.
       
       Dieser Papst ist, wenigstens in der Inszenierung, das Gegenteil seines
       Vorgängers. Ratzinger, der dogmatisch sattelfeste „Theologenpapst“, liebte
       die prunkvolle Selbstzurschaustellung in prächtigen Gewändern, kramte
       längst in Vergessenheit geratene Mützchen mit Pelzbesatz wieder raus, die
       seit Jahrzehnten kein Papst mehr getragen hatte.
       
       Zugleich gab sich der Hirte im Umgang mit seinen Schafen schüchtern, fast
       verklemmt, aber entschieden, wenn es um die Verteidigung der Dogmen ging.
       Ohne größere Gegenwehr ließ er zu, dass ihn diverse Vatikan-Seilschaften
       von der Welt abschirmten und ertrug still leidend deren Verschwörungen –
       bis er dann aus dem Käfig ausbrach. Sein einziger revolutionärer Akt, der
       ihm einen Platz in den Papstannalen sichern wird.
       
       ## Unnormale Normalität
       
       Und jetzt Franziskus. Statt „Tradition“ nimmt der ein in Kurienkreisen eher
       gefährliches Wort in den Mund: „Normalität“ – und stellt derweil,
       vatikanisch gesprochen, recht unnormale Sachen an. Der Mann wohnt im
       Gästehaus Santa Marta statt in den Papstgemächern – und erklärt, er würde
       halt „psychiatrische“ Probleme bekommen, wenn er nicht unter Menschen sei.
       
       Er trägt ein Kreuz aus billigem Eisen auf der Brust, keines aus Gold oder
       Silber, er predigt nicht farbenfroh aufgebrezelt, sondern im schlichten
       weißen Talar. Seine schwarze Tasche (Inhalt: Rasierapparat und
       Gebetsbrevier) trägt er selbst ins Flugzeug. Und auf dem Rückflug der
       Brasilienreise redet er ungeschützt mehr als eine Stunde mit Journalisten,
       über Schwule, Frauen, Geschiedene – während Ratzinger auf seinen Reisen
       immer nur für ein paar Minuten zur Medienmeute fand, um dann drei, vier
       vorher eingereichte Fragen mit erwartbaren Sprachregelungen zu beantworten.
       
       Das könnte man als geschicktes Marketing beiseitelegen, als gelungene
       Selbstinszenierung. Schließlich war auch Papst Johannes Paul II. ein
       begnadeter Kommunikator, der so manches neu machte, das fleißige Reisen,
       die Weltjugendtage, dabei der Kirche aber immer wieder eine Rolle rückwärts
       verordnete, wenn es um Schwule und Lesben ging, um Pille oder Kondom, und
       seinen Kurs mit eiserner Hand durchsetzte.
       
       Und eines tat Papst Johannes Paul II. ganz gewiss nicht: aufräumen. Er
       unternahm nichts, um die skandalverdächtige Vatikanbank in Ordnung zu
       bringen. Und kaum etwas, um die in seiner Amtszeit aufkommenden
       Pädophilie-Skandale aufzuklären. Etwaige Affären wurden in der seit
       Jahrhunderten bewährten „diskreten“ Manier lieber vertuscht als verfolgt.
       
       ## Rütteln an den Dogmen
       
       Ausgerechnet an diesen beiden Grundpfeilern aber – überkommene Dogmatik und
       bewährte Diskretion im hausinternen Management – beginnt Franziskus zu
       rütteln, und das macht die Sache für ihn gefährlich.
       
       Statt wie Johannes Paul II. oder Ratzinger ohne Unterlass gegen
       „Relativismus“ oder „Anpassung an die Moderne“ zu wettern, predigt er
       lieber von der „Armen Kirche im Dienst der Armen“, ruft die Katholiken dazu
       auf, sich in die „Peripherien“ aufzumachen, ärgert sich öffentlich über
       Priester, die dem Luxus frönen, sagt so merkwürdige Dinge wie „Jugendliche,
       die nicht protestieren, gefallen mir nicht“, oder klagt auf Lampedusa die
       politisch und ökonomisch Verantwortlichen an, „die mit ihren Entscheidungen
       auf globaler Ebene Situationen geschaffen haben, die zu diesen Dramen
       führen“.
       
       Als wäre das noch nicht genug, hat er die Botschaft parat: „Wer wäre ich
       denn, um über einen Gay zu urteilen, der auf der Suche nach dem Herrn ist?“
       Eine Klarstellung war das, zu einer Aussage, die Franziskus wenige Wochen
       vorher gemacht hatte, als er unumwunden vom Wirken der „Schwulenlobby“ im
       Vatikan gesprochen hatte. Dieser Tage stellte er klar, dass ihn an denen
       nicht das Schwulsein störte, sondern der Zusammenhalt als verschworener
       Verein, „so wie jede andere Lobby“.
       
       Kein Papst zuvor hatte je von Lobbys in der Kurie gesprochen. Und keiner
       zuvor hatte zugleich erklärt, die Schwulen seien doch auch nur einfache
       Christenmenschen, womöglich mit der einen oder anderen Sünde behaftet – wie
       eigentlich alle. Überhaupt die Sünder: Denen werde ja schon von Gott
       vergeben, und damit sei die Sache gefälligst auch für die Menschen
       vergessen.
       
       ## Erzürnte Konservative
       
       Ein anderes Kaliber dagegen: die Verbrecher. Monsignore Nunzio Scarano zum
       Beispiel, von der italienischen Justiz wegen Geldwäsche, natürlich über die
       Vatikanbank, verhaftet, erfährt keinerlei Rückendeckung: Der sei nun mal
       „keine heilige Imelda“, bemerkt der Papst bloß trocken.
       
       Als „Pop Franziskus“ muss er sich dafür vom rechtskatholischen Publizisten
       Marcello Veneziani schmähen lassen, „Pop wie populär, populistisch,
       pauperistisch“, ätzt Veneziani. Und der nicht einmal katholische, sondern
       bloß konservative Piero Ostellino beschwert sich, der Papst führe sich
       nicht als Jesuit, sondern als Franziskaner auf, unter ihm drohe sich die
       Sancta Romana Ecclesia glatt von einer theokratischen in eine demokratische
       Institution zu verwandeln, in der – oh Graus – der Papst auch noch seine
       Tasche selber trägt.
       
       Für einen Papst völlig ungewohnter Beifall kommt dagegen von der
       Basisbewegung „Wir sind Kirche“ genauso wie von dem Befreiungstheologen
       Leonardo Boff, der von Johannes Paul II. und Ratzinger aus dem
       Franziskanerorden geekelt worden war.
       
       Schlimmer noch: Der Heilige Vater sendet Signale aus, dass er mit seinen
       Ansagen – Reform? Revolution? – Ernst machen will. Gleich mehrere
       Kommissionen hat er eingesetzt, zur Neuausrichtung von Organisation und
       Arbeit der Kurie, vor allem aber zur Aufklärung des eher unseligen Wirkens
       der Vatikanbank. Ob sie überlebt, steht mittlerweile in Frage. Schließlich
       wünscht sich Franziskus für das Institut „Transparenz und Ehrlichkeit“, das
       Gegenteil der bisherigen Geschäftsprinzipien. Alteingesessene Machtkartelle
       in der Kurie dürften sich da bedroht fühlen.
       
       ## Ein plötzlicher Tod
       
       Bedroht wie vielleicht zum letzten Mal im Jahr 1978. Damals regierte, für
       bloß 33 Tage, Johannes Paul I. Der „lächelnde Papst“ war – ganz wie
       Franziskus – zunächst mit dem Abschneiden alter Zöpfe, mit einer damals
       ganz neuen Bescheidenheit aufgefallen. „Ich“ sagte er plötzlich, nicht
       „wir“ wie alle seine Vorgänger, er schaffte die Krönung mit der Tiara ab,
       genauso wie den Kniefall der Schweizer Garden, wenn er an ihnen
       vorüberschritt.
       
       Er ging selbst ans Telefon. Und, es hieß, er wolle die mächtigsten
       Kurienkardinäle entmachten, er wollte in der Vatikanbank aufräumen, in den
       Jahren, als dort Paul Marcinkus alle Fäden in der Hand hielt und rege
       Geschäfte mit den Mafia-Bankiers Michele Sindona und Roberto Calvi tätigte.
       Doch am Ende blieb Marcinkus noch einige Jahre, Johannes Paul I. dagegen
       starb eines plötzlichen Todes. Herzversagen, hieß es, doch eine Autopsie
       erfolgte nicht.
       
       3 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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