# taz.de -- Abschiebehaft: Haft ohne Tat
       
       > In Rendsburg sind bis zu 40 Männer inhaftiert, die aus Schleswig-Holstein
       > abgeschoben werden sollen. Ein ungeliebter Ort - aber wie man ihn
       > schließen kann, weiß so recht niemand.
       
 (IMG) Bild: "Viel Gerede, aber kein Streit": Dewonta Ammon sagt nichts Schlechtes über die Abschiebehaft - und steht damit ziemlich alleine da.
       
       RENDSBURG taz | Die Abschiebehaft in Rendsburg ist ein ungeliebter Ort: Die
       Landesregierung will sie am liebsten schließen, Hilfsorganisationen
       kritisieren lange Haftzeiten und den Umgang mit traumatisierten
       Flüchtlingen. Der Besuchsraum der Abschiebehaftanstalt in Rendsburg ist ein
       Ort, an dem die meisten Geschichten gemurmelte Hilfeschreie sind. Die
       Geschichte von Dewonta Ammon gehört nicht dazu.
       
       Er sitzt in lässiger Haltung an einem der hellen Tische, sein rotes
       Sweatshirt leuchtet vor den gelben Wänden. Seine Rasta-Locken fliegen, wenn
       er lacht. Sein Englisch klingt weich, lässig und geübt: In seiner Heimat
       Guinea sei er Fremdenführer, sagt er. Mit seiner deutschen Freundin sei er
       in Skandinavien gewesen, irgendwann lief sein Visum ab, aber Deutschland
       lockte. In Hamburg feierten sie Party, alle Leute waren nett: „Ich war der
       einzige Schwarze dort, aber ich fühlte mich wie zuhause“, sagt Ammon
       vergnügt. „Deutschland ist echt das beste Land.“ Und nun gibt’s noch ein
       paar Tage Urlaub in den freundlichen Räumen der Abschiebehaft. Tee und
       Kaffee kriege man den ganzen Tag, das Essen sei in Ordnung und duschen
       könne man auch, wann man wolle. Er schaue fern, sagt der 42-Jährige, Stress
       gebe es nicht: „Viel Gerede, aber keinen Streit und keine Gewalt.“
       
       Er scheint eine andere Einrichtung zu meinen als die, die Solveig
       Deutschmann seit Jahren regelmäßig besucht. Die blonde Frau sitzt am
       Nebentisch des Besuchsraums mit einem Mann, er ist blass unter dem dunklen
       Bart, hektisch, die dunklen Augen sind zu groß und halten nichts fest. Ein
       schwieriger Fall, sagt Deutschmann später, nicht mehr – sie redet nicht
       über ihre Klienten, Datenschutz. Alle Fälle sind schwierig, um viele
       Schicksale macht sie sich Gedanken.
       
       ## Knapp und schwierig
       
       Auch im Sonnenschein in einem Café einige hundert Meter weit weg von den
       Ziegelmauern der Hafteinrichtung kann Deutschmann nicht richtig abschalten,
       sondern macht Listen: den Anwalt anrufen, ein Fax mit einem Dokument
       abschicken, eine Frist einhalten. Solveig Deutschmann ist 1991 in die
       Flüchtlingshilfe eingestiegen, damals ging es um Menschen, die vor dem
       Krieg in Bosnien flohen. Die Gruppen wechseln, die Schicksale bleiben, und
       es ist immer eng, immer schwierig.
       
       „Für die Leute geht es um ihr Leben“, sagt sie. „Solange sie inhaftiert
       sind, kann man eigentlich nicht helfen, sondern erst, wenn sie draußen
       sind.“ Aber natürlich versucht sie es, in jedem Fall wieder. Helfen liegt
       ihr: Die gelernte Krankenschwester arbeitet als Schulbegleitung für Kinder
       mit Behinderungen, die Flüchtlingsarbeit macht sie ehrenamtlich. Über die
       Lage in der Abschiebehaft sagt sie knapp: „Knast eben.“
       
       Das Gefängnis für Männer, die aus Schleswig-Holstein abgeschoben werden
       sollen, liegt mitten in Rendsburg, nicht weit vom Nord-Ostseekanal. Von der
       Schönheit des Landes sehen die Insassen meist nur Fotos an den Wänden, von
       Meer, Strand und Wald-Bächen, die ein Hobby-Fotograf unter den Wärtern
       gemacht hat.
       
       Die Haftanstalt versteckt sich zwischen hohen Ziegelmauern hinter dem
       Amtsgericht. Es ist kein großes Gebäude, zwei Stockwerke, 30 Räume, in
       denen bis zu 40 Männer untergebracht werden können – weibliche Flüchtlinge
       werden in eine Sammelunterkunft außerhalb von Schleswig-Holstein geschickt.
       Hinter dem Eingangstor liegt ein Gärtchen, hinter dem Haus gibt es einen
       Hof, in dem ein wenig Sport getrieben werden kann, ein verschossener Ball
       hängt als schlappe Hülle im Stacheldraht auf der Mauerkrone.
       
       Die Tage in der Haft sind lang: Man wartet auf einen Anruf, einen
       Beschluss, eine Entscheidung. Die Zeit muss herumgebracht werden,
       abgesessen. Es gibt einen Gemeinschaftsraum am Ende des Zellengangs, dort
       sitzt eine Gruppe von Männern um ein Brettspiel, alle gucken kurz auf, aber
       keiner rührt sich. Die meisten Zellentüren sind geschlossen und ein Mann,
       der den Gang fegt, geht in seine Zelle und zieht die Tür halb zu. Aus einem
       Halbsatz wird klar, dass den Männern gesagt wurde, besser keine Gespräche
       mit den Gästen anzufangen – um Unruhe zu vermeiden. Natürlich sei es
       möglich, mit einem Inhaftierten zu sprechen, ausgeguckt wird Dewonta Ammon,
       der die Beamten lobt: „Sehr höflich und korrekt.“ Und er beteuert: „Hey,
       warum sollte ich lügen? Die schieben mich so oder so ab.“
       
       Dewonta Ammon sieht es cool: Er sei nun mal ohne gültiges Visum eingereist,
       also sei die Strafe angemessen. Mit der Meinung steht er allein, die
       meisten sind geschockt, sich im Gefängnis wiederzufinden, berichtet Solveig
       Deutschmann: „Den Flüchtlingen wird gesagt, sie kämen in eine Unterkunft
       oder ein Camp. Andere gehen freiwillig zur Polizei und wollen Asyl
       beantragen, aber da sie über ein EU-Land eingereist sind, landen auch sie
       hier.“
       
       ## Viel Elend
       
       „Man sieht viel Elend und manchmal will man die Leute anders behandeln“,
       sagt Jan Dose. „Aber es gibt einen gesetzlichen Auftrag, den wir ausführen
       müssen. Und würden wir schließen, wäre es anderswo besser?“ Dose ist der
       Leiter der Abschiebehaft, ein gemütlicher Mann, jovial, kräftig, die
       Krawatte etwas zu kurz, um elegant zu sein; in seinem Büro hängen putzige
       Poster: Tim und Struppi, bunte Papageien und ein bräsig guckender
       verknautschter Hund.
       
       Dose führt durch sein Reich, er spricht von „gutem Vollzug“, von den
       Vorzügen des historischen Gebäudes mit seinen teilweise absurd hohen Decken
       und dem offenen Treppenhaus. Jüngst wurde renoviert, die Wände sind weiß
       gehalten, die Türen grau abgesetzt: Altbaucharme. Das Gefängnis hat einen
       Sportraum mit einer einsamen Sprossenwand bekommen und einen schlicht
       gehaltenen „multi-religiösen Gebetsraum“. Neu ist auch, dass es einen
       Internetzugang geben soll. Für die Hilfsorganisationen sind das alles
       Kleinigkeiten, die die Lage nicht ändern. Ministerin Spoorendonk aber lobt
       die „deutlichen Verbesserungen“.
       
       ## Haft trotz Folter
       
       Die Unterbringung solle „so humanitär und sozial gerecht und in der
       medizinischen Betreuung so gut wie möglich“ gestaltet werden, „bis die
       angestrebte bundesgesetzliche Abschaffung der Abschiebehaft erreicht“ sei,
       sagte Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) kürzlich nach einem Besuch in
       Rendsburg. Das klingt hilflos, vor allem angesichts der Vorwürfe, die der
       Beirat der Abschiebehaftanstalt Jahr für Jahr erhebt: „Flüchtlinge mit zum
       Teil dramatischen Erlebnissen von Erschießungen und selbst erlittener
       Folter wurden im vergangenen Jahr bis zu 97 Tage inhaftiert, im
       Durchschnitt 27 Tage“, heißt es im diesjährigen Bericht des Landesbeirats,
       in dem Hilfsorganisationen wie Diakonie und Flüchtlingsrat vertreten sind.
       
       Etwa jeder vierte Flüchtling sei traumatisiert, schätzt der Psychologe Hajo
       Engbers, der seit Jahren mit Flüchtlingen arbeitet. Eine Diagnose hilft
       manchmal, die Abschiebung zu verhindern, aber nicht immer, wenn es in einen
       anderen EU-Staat geht. Und ob der Psychologe alle Betroffenen sieht, ist
       nicht gewährleistet. Flüchtlingsorganisationen fordern daher eine
       Begutachtung für alle, die ins Land kommen.
       
       ## Jugendliche in Haft
       
       Ein zweiter, harscher Kritikpunkt ist, dass immer noch Jugendliche in der
       Haft landen statt, wie gesetzlich vorgesehen, in einem Heim für
       Jugendliche. Auch unter der jetzigen Landesregierung gab es diese Fälle.
       Dabei ist es gar keine Frage: Die Abschiebehaft hat kaum Freunde. Nicht nur
       die Hilfsorganisationen und Freiwilligen, die sich um die Insassen kümmern,
       sondern auch die jetzige Landesregierung aus SPD, Grünen und der
       Minderheitenpartei SSW würden sie am liebsten schließen.
       
       Aber das ist leichter gesagt als getan: Die meisten Häftlinge werden von
       der Bundespolizei gebracht, Bundes- und EU-Gesetze regeln ihre
       Unterbringung. Aber die Abschiebehaft bedeutet eine Ungerechtigkeit, eine
       Verletzung deutscher Normen: Wer hier einsitzt, soll daran gehindert
       werden, unterzutauchen und sich so der Abschiebung zu entziehen – ein
       vermutetes Fehlverhalten, das bestraft wird wie ein begangenes Verbrechen.
       
       Zurzeit tagt eine Arbeitsgruppe der Ministerien für Inneres und Justiz, um
       die Zukunft der Abschiebehaft auszuloten. Norbert Scharbach,
       Abteilungsleiter im Innenministerium, zählt die Fragen auf: „Will man das
       Instrument überhaupt noch oder gibt es Alternativen wie elektronische
       Überwachung oder Meldepflicht? Solange es die Haft gibt, wie wird sie
       ausgestattet? Und wenn Rendsburg schließt, was wäre die Alternative?“
       
       Im Herbst, nach der Bundestagswahl, will die Landesregierung im Bundesrat
       versuchen, Abschiebehaft grundsätzlich verbieten zu lassen. Bis dahin geht
       es in Rendsburg weiter, in diesem Zwitter-Gefängnis mit verschlossenen
       Türen nach draußen und offenen Zellen drinnen.
       
       4 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geisslinger
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bundespolizei
 (DIR) Flüchtlinge
       
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