# taz.de -- Ergenekon-Prozess und Protest: Der Staat bleibt tief und wird fromm
       
       > 200 Personen wurden beim Ergenekon-Prozess in der Türkei verurteilt. Gut
       > möglich, dass die Proteste deswegen bald neuen Auftrieb erhalten.
       
 (IMG) Bild: Dabei soll es nicht bleiben: Protest gegen das Ergenekon-Urteil
       
       Schon beim Klang der Namen schlug man innerlich die Hacken zusammen. Es
       waren angsteinflößende Namen. Und sie waren Programm: Ilker Başbuğ zum
       Beispiel, bis 2010 Chef des türkischen Generalstabes, der „Erster Soldat“
       mit Vornamen und „Führer“ mit Nachnamen hieß – „Başbuğ“ nannten auch die
       Grauen Wölfe ihren Gründer Alparslan Türkeş.
       
       Sein Vorgänger war Yaşar Büyükanıt (“Er lebt“ „Großes Denkmal“). Andere
       ranghohe Militärs der vergangenen 15 Jahre hießen Çevik Bir (“Mobil Eins“,
       fast so wie die Sonderkommandos der Polizei, Çevik Kuvvet, also „Mobile
       Kräfte“) oder Şener Eruygur (“Fröhlicher Soldat“ mit Vor- und „Gesitteter
       Soldat“ mit Nachnamen).
       
       Damals fragte man sich: Wurden diese Typen aufgrund ihrer Namen in die
       Armeeführung berufen oder hießen sie so, weil sie für diese Karrieren
       geboren waren? Normale Menschen hießen so nicht, nicht einmal in der
       Türkei.
       
       (Hier ein Exkurs für alle Stefans und Michaels und Claudias, die keine
       Ahnung haben, was ihre aus dem Griechischen, Hebräischen oder Lateinischen
       stammenden Namen im Wortsinne bedeuten und es darum „total lustig“ finden,
       dass „die türkischen Vornamen immer eine Bedeutung haben“: Im Zuge der
       türkischen Nationenbildung wurden aus der Gegenwartssprache neue Vornamen
       kreiert, weil man sich auch darin von der osmanischen, also
       arabisch-persisch-islamischen Tradition abgrenzen wollte. Deshalb ist Deniz
       identisch mit dem neutürkischen Wort für „das Meer“, während sich Jörg aus
       dem altgriechischen Wort für „der Landwirt“ ableitet, was der eine weiß und
       der andere vielleicht nicht.)
       
       ## „Tiefer Staat“ im neuen Gewand
       
       Vor diesen Führern, Denkmälern und Mobilen Einsen jedenfalls muss sich
       niemand mehr fürchten. Başbuğ und Eruygur wurden am Montag [1][im
       Ergenekon-Prozess] wegen putschistischer Verschwörung zu lebenslanger Haft
       verurteilt. Gegen Bir ist ein anderes Verfahren anhängig, nur Büyükanıt hat
       sich, obwohl für die Putschdrohung vom [2][April 2007 verantwortlich,] mit
       der Erdoğan-Regierung arrangiert.
       
       Unter den verurteilten über 200 Personen finden sich ehemalige
       Armeeoffiziere, Politiker, Journalisten und Professoren. Manche von ihnen,
       der pensionierte Brigadegeneral Veli Küçük etwa, waren zweifelsohne
       wichtige Figuren des „tiefen Staates“. Aber ob eine Verschwörerorganisation
       namens Ergenekon existiert hat, konnte der Prozess nicht beweisen –
       geschweige denn, dass er die Mitwirkung eines Mustafa Balbay, des
       Chefkommentators der Cumhuriyet, hätte belegen können.
       
       Was als Abrechnung mit dem „tiefen Staat“ begann, hat sich zu einer
       Abrechnung mit dem alten Establishment und der nationalistischen Opposition
       entwickelt. (Die Kurden müssen nicht neidisch sein, gegen sie läuft [3][ein
       eigener Massenprozess]). Es geht nicht darum, die Umtriebe einer
       selbstherrlichen Mörderbande juristisch aufzuarbeiten, sondern einen neuen,
       religiösen „tiefen Staat“ zu etablieren. Schon [4][die Art und Weise,] wie
       dieser Schauprozess lief, deutet auf die Fortexistenz des „tiefen Staates“
       im neuen Gewand. An entscheidender Stelle dabei: Anhänger der
       pantürkisch-islamischen Bewegung des Predigers Fethullah [5][Gülen].
       
       ## Alter Zwist zwischen Kemalisten und Islamisten
       
       Diese Gier der AKP-Regierung, alles ihrer Kontrolle zu unterwerfen – nicht
       nur das Militär, sondern auch die Justiz, die Medien, die Universitäten bis
       hin zum [6][Lebensstil des Einzelnen] –, hat im Juni Millionen von Menschen
       [7][auf die Straße getrieben.] Ein guter Teil von ihnen begehrt auf, ohne
       die Herrschaft der Militärs zurückzusehnen.
       
       Es gibt aber auch Teile, die die alte Ordnung wünschen; Mitglieder der
       linkskemalistischen Arbeiterpartei IP etwa, aus deren Reihen ein Dutzend
       Führungsfiguren nun verurteilt wurden. Oder Aktivisten des ihr nahe
       stehenden Türkischen Jugendverbands TGB, [8][die gerade in der Provinz]
       eine wichtige Rolle bei den Protesten spielten.
       
       Es kann gut sein, dass die Proteste im Herbst durch die Urteile neuen
       Auftrieb erhalten. Doch darin steckt auch eine Gefahr: Dass nämlich die
       Gezi-Bewegung im alten Zwist zwischen Kemalisten und Islamisten zerrieben
       wird. Es wäre ein größerer Jammer als die womöglich unbegründete Haftstrafe
       für Ilker Başbuğ.
       
       Dessen gegenwärtiger Nachfolger heißt übrigens Necdet Özel (“Heldenhaft
       Besonders“). Fürchten muss man ihn nicht. Die heutige Bedrohung hört auf
       verhältnismäßig freundliche und nicht unbedingt türkische Namen. „Stattlich
       Gut Soldatgeboren“ etwa – Recep Tayyip Erdoğan.
       
       7 Aug 2013
       
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