# taz.de -- Interview Organspende: „Ein furchtbarer Moment“
       
       > Sybille Neubert hat ihrer Tochter Lara eine Niere gespendet. Eine schwere
       > Entscheidung, die die beiden aber noch enger zusammengebracht hat.
       
 (IMG) Bild: Geben und nehmen: Sybille Neubert (l.) hat ihrer Tochter Lara einen Niere gespendet.
       
       taz: Frau Neubert, vor zwei Monaten haben Sie Ihrer Tochter eine Niere
       gespendet. Fiel Ihnen die Entscheidung schwer? 
       
       Sybille Neubert: Nein, gar nicht. Ich bin sehr widerstandsfähig, falle
       immer wieder auf die Füße. Viel schwerer war es, mit ansehen zu müssen, wie
       sich Laras Gesundheitszustand verschlechtert. Vorbehalte gegen die
       Transplantation hatte eher meine Tochter selbst.
       
       Wieso das? 
       
       Lara Neubert: Beim Gedanken, dass sich meine Mutter für mich auf den
       OP-Tisch legt, hatte ich ein sehr mulmiges Gefühl. Eine Dialyse-Therapie
       als Alternative erschien mir nicht so schlimm.
       
       Sybille: Lara war sehr furchtlos und hat sich viel weniger Sorgen gemacht
       als ich.
       
       Warum haben Sie sich trotzdem für die Transplantation entschieden? 
       
       Lara: Ich gehe noch zur Schule, bald lerne ich fürs Abitur. Eine Dialyse
       nimmt aber viel Zeit in Anspruch, dreimal die Woche wäre ich fünf Stunden
       lang ans Gerät angeschlossen gewesen. Das Argument hat mich dann doch
       überzeugt.
       
       Warum brauchte Lara ein neues Organ? 
       
       Sybille: Lara hat eine Zystenniere, das wussten wir seit ihrer Geburt.
       Dabei ist das Organ mit tausenden kleinen Bläschen belegt, das gesunde
       Gewebe wird verdrängt und die Niere verliert ihre Filterfunktion. Anfangs
       hieß es noch, Lara würde das erste Jahr nicht überleben.
       
       Lara: Gespürt habe ich lange Zeit gar nichts – doch nach einer
       Harnwegsinfektion vor zwei Jahren wurden meine Werte immer schlechter, ich
       war nur noch müde und schlapp.
       
       Wie würden Sie Ihr Mutter-Tochter-Verhältnis beschreiben? 
       
       Sybille: Wir standen uns schon immer sehr nah. Ich bin alleinerziehend,
       Lara ist meine älteste Tochter und wegen ihrer Krankheit war ich natürlich
       oft in Sorge um sie. Wir reden über alles, wie Freundinnen. Darum war es
       uns auch diesmal so wichtig, alles gemeinsam zu entscheiden und auch unsere
       Ängste und Sorgen offen miteinander zu teilen. Von Anfang an war klar: Das
       stehen wir nur gemeinsam durch.
       
       Und jetzt? Hat sich Ihr Verhältnis verändert? 
       
       Sybille: Wir sind schon sehr zusammengewachsen. Und es fällt mir deutlich
       schwerer als anderen Eltern, mein Kind loszulassen. Auch nach einer
       Nierentransplantation ist viel zu bedenken – ich bin noch sehr unsicher,
       wie viel ich Lara abnehmen sollte, der beschützende Mutterinstinkt ist sehr
       stark. Doch meine Tochter ist jetzt 18 und wird sich bald von zu Hause
       lösen. Sie muss für sich selbst lernen, mit der Krankheit umzugehen.
       
       Kamen nur Sie als Spenderin in Frage? 
       
       Sybille: Für eine postmortale Spende hätte Lara bereits Dialysepatientin
       sein müssen. Lebendspenden sind nur zwischen Verwandten ersten oder zweiten
       Grades oder sehr nahestehenden Personen erlaubt. Laras Großeltern waren für
       eine Transplantation zu alt, die Schwester zu jung – außerdem waren unsere
       Blutgruppen kompatibel, also habe ich gespendet.
       
       Eine Organspende ist ein großer Schritt – wie haben Sie sich darauf
       vorbereitet? 
       
       Sybille: Ich wurde im Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) in Hamburg
       psychologisch betreut – denn oft kommt es vor, dass Organspender später in
       ein psychisches Loch fallen. Durch einen Selbsthilfeverband habe ich eine
       Frau kennengelernt, die ihrer Tochter auch eine Niere gespendet hat. So
       konnte ich mich informieren, was nach der OP auf uns zukommt, worauf wir
       achten müssen.
       
       Lara: Ich habe an einem Austauschprogramm für chronisch nierenkranke Kinder
       und Jugendliche teilgenommen. Da haben mir Transplantierte in meinem Alter
       von ihren Operationen erzählt. Das hat mir allerdings zunächst eher Angst
       gemacht als mich zu beruhigen – man hört schon so einige
       Schauergeschichten.
       
       Wie haben Sie den Tag der Operation empfunden? 
       
       Sybille: Als ich mich von meiner Tochter vor der Transplantation ein
       letztes Mal verabschieden musste, war das ein furchtbarer Moment. Ich habe
       sehr geweint – weniger aus Angst um mich, sondern um meine Tochter und
       wegen der Unwissenheit, wie das Leben nach der OP für uns verlaufen würde.
       
       Lara: Am Abend vor der Transplantation war ich sehr ruhig. Ich lag getrennt
       von meiner Mutter in der Kinderklinik, dort kenne ich die Ärzte und habe
       mich aufgehoben gefühlt. Die Wartezeit während der Organentnahme war jedoch
       schlimm, ich hatte Angst um meine Mutter und wollte die OP nur noch hinter
       mich bringen.
       
       Wie haben Sie sich unmittelbar danach gefühlt? 
       
       Sybille: Glücklich, denn kurz nach dem Aufwachen habe ich erfahren, dass
       meine Niere für die Transplantation geeignet ist. Das kann man erst während
       der Operation mit Bestimmtheit sagen. Später wollte ich dann nur noch meine
       Tochter sehen, meine eigene Verfassung war erst einmal zweitrangig.
       Besonders schlecht ging es mir jedoch nicht, nach einer Woche konnte ich
       die Klinik wieder verlassen.
       
       Lara: Überall verkabelt zu sein, war ein seltsames Gefühl. Direkt nach der
       OP war ich sehr schwach, von den hohen Dosen an Schmerzmitteln war mir übel
       und ich konnte während der ersten Tage nichts essen. Ich lag drei Wochen in
       der Klinik, konnte anfangs kaum ohne Schmerzen laufen. Aber ich habe mich
       gut erholt. Heute fühle ich mich schon viel besser und nehme wieder am
       Schulunterricht teil.
       
       Wie haben Sie Ihre Gefühle in dieser Zeit verarbeitet? 
       
       Sybille: Wir haben Tagebuch geführt, jede für sich. Jetzt lesen wir
       einander manchmal aus den Büchern vor, um unsere persönliche Eindrücke zu
       teilen.
       
       Was haben Sie notiert? 
       
       Lara: „Alles schmeckt scharf“ war mein erster Eintrag nach der OP – weil
       ich in den ersten Tagen nichts essen konnte, hatte sich mein Geschmack
       verändert. In der ersten Woche konnte ich nur traurige Smileys zeichnen –
       als Symbol für meinen Zustand, weil ich mich so elend und schwach gefühlt
       habe.
       
       Sybille: Am Tag der OP habe ich alles minutiös festgehalten: „10 Uhr 30:
       Abholung zur OP“ steht da, und später dann „16 Uhr 40: Lara wacht auf –
       kein schönes Bild“. Sie war überall verkabelt.
       
       Worauf müssen Sie jetzt nach der Organspende achten? 
       
       Lara: Ich werde mein Leben lang Medikamente nehmen müssen, die eine
       Abstoßung der Niere verhindern sollen. Jeden Tag daran zu denken, fällt mir
       sehr schwer – besonders weil sich die Dosierung ständig ändert und die
       Medikamente immer zur exakt gleichen Uhrzeit eingenommen werden müssen. In
       den ersten Monaten nach der Transplantation ist mein Immunsystem auch noch
       sehr geschwächt. In der Schule desinfiziere ich täglich meinen Tisch, wenn
       jemand in meiner Nähe erkältet ist, trage ich Mundschutz. Und jetzt kehrt
       bald der Alltag zurück, Schule, Hausaufgaben – ich fühle mich oft
       überfordert, ohne meine Mutter würde ich das alles gar nicht schaffen.
       
       Lara, Sie machen im nächsten Jahr Ihr Abitur – wie geht es dann weiter? 
       
       Lara: Mein großer Traum ist, erst einmal ein halbes Jahr durch Italien zu
       reisen und „Work and Travel“ zu machen. Und dann will ich studieren, am
       liebsten etwas zum Thema Ernährung und Gesundheit. Durch meine Krankheit
       habe ich Interesse für diese Themen entwickelt. Und ich will wegziehen, in
       eine größere Stadt, vielleicht gehe ich nach Süddeutschland. Ich mag die
       Berge.
       
       Dann haben Sie also keine Angst vor der Unabhängigkeit? 
       
       Lara: Ich muss natürlich aufpassen – dass ich regelmäßig meine Werte
       überprüfen lasse und meine Medikamente nehme, dass immer ein Nierenzentrum
       in der Nähe meines Wohnortes ist. Aber Angst vor der Zukunft habe ich
       nicht, im Gegenteil.
       
       Sybille: Wir leben nach dem Motto „Alles ist möglich, nur müssen wir mehr
       bedenken als andere Menschen“. Meine Tochter soll ihr Leben weiter in
       vollen Zügen genießen – darum habe ihr meine Niere gespendet.
       
       Ihre Erfahrung mit der Transplantation ist bisher sehr positiv verlaufen.
       Können Sie Organspende-Gegner verstehen? 
       
       Sybille: Da sollte jeder frei entscheiden – wenn jemand keine Organe
       spenden möchte, ist das völlig in Ordnung. Doch Aufklärung ist wichtig.
       Viele ältere Menschen wissen oft nicht, dass man ihre Organe noch post
       mortem verwenden kann.
       
       Lara: In meinem Alter wird das Thema oft verdrängt – viele junge Leute
       machen sich keine Gedanken darüber, das Thema erscheint so weit weg, wenn
       man nicht selbst betroffen ist.
       
       17 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annika Lasazik
       
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