# taz.de -- Die Wahrheit: Vom Felsen gepustet
       
       > Teil 8 der großen Wahrheit-Sommerserie „Ympäri Suomen – Rund um
       > Finnland“. Heute: Fischen in Lappland und Baden im eiskalten Ivalojoki
       
 (IMG) Bild: Der Philosophensitz lässt Finnen nachdenklich werden.
       
       Im vergangenen Jahr erschien das Buch „Finne dich selbst“ von Bernd
       Gieseking. Ein Jahr später will der Wahrheit-Autor überprüfen, ob auch
       alles noch seine Richtigkeit hat, was er seinerzeit über das seltsame Suomi
       geschrieben hat. Deshalb umrundet er nun einen Sommer lang für die
       Wahrheit, die sonst strikt Umrundungen aller Art ablehnt, Finnland. 
       
       Ich übernachte am Lemmenjoki. Ich miete ein Mökki im „Café Ahkun Tupa“, das
       ist Samisch und heißt Großmutters Stube. So gemütlich ist es hier auch.
       Chefin Margetta und Schwester Joanna erzählen von den sechziger und
       siebziger Jahren, als es den Samen verboten war, ihre Sprache zu sprechen,
       als sie ihre traditionelle Kleidung in der Schule nicht tragen durften. Ich
       als Finnen-Fan bin irritiert. An dieser Stelle war und ist zum Teil der
       Finne zu seinen Ureinwohnern auch nicht besser, als man es aus anderen
       Regionen der Welt kennt. Bis heute ist es schwierig, Unterricht in
       samischer Sprache zu organisieren. Joanna ist entsetzt über die Schulen in
       der Hauptstadt Helsinki.
       
       Am nächsten Morgen steige ich ins Taxi. Das ist hier ein Boot. 25 Kilometer
       den Fluss hinauf ist tatsächlich ein Goldgräbercamp. Immer noch buddeln da
       einige Unentwegte, wie unsereiner Lotto spielt. Mit ähnlichen Chancen.
       Manche bleiben ganzjährig. Aber der Spaß hat ein Ende, bis 2018 muss alles
       gefunden sein, ab dann soll jegliches Goldsuchen, egal ob waschen oder mit
       schwerem Gerät, hier in Lappland beendet sein.
       
       Weiter geht’s Richtung Norden. Seit Tagen kommen mir mehr Rentiere entgegen
       als Autos. Heute noch keine zehn Fahrzeuge, und es ist schon Nachmittag,
       aber die Zahl der Rentiere ist fast dreistellig.
       
       Ich fahre über Inari nach Utsjoki, Grenzort zu Norwegen und dann rechts ab
       nach Nuorgam, entlang des Tenojoki. Der nördlichste Punkt meiner Reise. Der
       nördlichste Ort der Europäischen Union. Hier gibt es den nördlichsten
       Zeltplatz und den nördlichsten Baumarkt sowie den zweitnördlichsten
       Baumarkt und natürlich auch zwei Supermärkte. Erstaunlich für ein Dorf mit
       250 Einwohnern. Aber hier kauft der Norweger, weil es bei ihm noch teurer
       ist. Meine finnischen Gummistiefel, die in Rovaniemi 35 Euro kosteten und
       in Kilpisjärvi schon 55 Euro, werden hier für 75 Euro angeboten.
       
       Ich fahre einen kleinen Bogen auf der norwegischen Küstenstraße Richtung
       Osten und biege bei Neiden wieder Richtung Finnland ab. Im Näätämöjoki sehe
       ich zum ersten Mal Lachse springen. Das will ich fotografieren. Aber ich
       habe nie an einer Konsole gespielt. Mein Daumen ist zu langsam. Ich
       trainiere auf einem Felsblock im Näätamöjoki. Der Wind frischt auf, die
       Lachse springen. Nach anderthalb Stunden bin ich so weit, inzwischen steif
       geweht und mehrfach fast vom Felsblock gepustet. Ich sehe den Fisch
       springen, drücke ab und hab ihn! Ich bin jetzt auch Fischfotograf. Lachse
       habe ich nun jede Menge gesehen, der Elch lässt weiter auf sich warten. Bis
       Helsinki hat er noch Zeit.
       
       Ab hier beginnt die Rückreise. Ich fahre am Inarisee entlang. Ich trinke
       Kaffee im „Hotelli Inari“ und denke an den schönsten deutschen
       Finnlandfilm: „Zugvögel … Einmal nach Inari“. Ein wunderbar philosophischer
       Liebesfilm mit Joachim Król.
       
       Ich besuche eine Freundin in Ivalo. Lilja. 82 Jahre alt. Jeden Morgen geht
       sie im Ivalojoki schwimmen. Ich stehe auf dem Steg und schaue ihr zu. Im
       Winter, wenn der Fluss zufriert, schlägt sie noch ein paar Tage lang das
       dünne Eis kaputt. Der Fluss hat jetzt, im August, eine Temperatur, dass ich
       glaube, sie muss morgen damit beginnen. „Und du?“, reißt mich Lilja aus
       meinen Gedanken. Was bleibt mir übrig? Zwei Minuten später pruste ich im
       Ivalojoki und fühle mich finnisch getauft.
       
       Nachmittags spaziere ich durch den Ort und entdecke Erstaunliches. Der
       Finne ist ein findiger Erfinder. Ich sehe einen finnischen Rollator. In
       Landessprache: Rollaattori. Der sieht aus wie zwei aneinandergeschweißte
       Tretroller. Damit stapft der Finne seine oft leicht hügeligen Wege empor,
       und wenn es bergab geht, steigt er auf.
       
       Ich sehe Rentner mit höchstem Tempo. Die letzten Haare flatterten im Wind.
       Senioren auf Speed. Der Rollaattori ist eine Variante des im Winter immer
       noch üblichen Tretschlittens, Potkukelkka, oder auch Kick-Schlitten. Eine
       andere großartige finnische Erfindung ist die Teleskopbratwurstgabel, zwei
       Zinken an einer etwa 80 Zentimeter langen Teleskopstange, die man nach
       Gebrauch zum Transport und für die Sicherheit wieder komplett im Holzgriff
       versenken kann. Erwähnt werden müssen hier auch die Supi-Sockenklammern,
       ein Patent, natürlich aus Finnland, um Sockenpaare vor dem Waschen
       zusammenzuklammern.
       
       Ich nehme ab jetzt nur noch geteerte Straßen. Sodankylä, Kemijärvi, dann
       Richtung Kuusamo. Ich überquere den Polarkreis, diesmal in südlicher
       Richtung. Ich bin auf dem Rückweg. Zum Glück habe ich die Mücken abgehängt,
       seit Inari haben sie meine Verfolgung aufgegeben.
       
       ## (Fortsetzung folgt)
       
       19 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Gieseking
       
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