# taz.de -- Die Wahrheit: Die Spur der Köttel
       
       > Teil 7 der großen Wahrheit-Sommerserie „Ympäri Suomen – Rund um
       > Finnland“. Heute: Wandern bei Kilpisjärvi, erst mit Boot, dann zu Fuß.
       
 (IMG) Bild: An der endlos langen Grenze zu Schweden lauert der Zoll.
       
       Im vergangenen Jahr erschien das Buch „Finne dich selbst“ von Bernd
       Gieseking. Ein Jahr später will der Wahrheit-Autor überprüfen, ob auch
       alles noch seine Richtigkeit hat, was er seinerzeit über das seltsame Suomi
       geschrieben hat. Deshalb umrundet er nun einen Sommer lang für die
       Wahrheit, die sonst strikt Umrundungen aller Art ablehnt, Finnland. 
       
       Ich war gestern wandern. Zum Dreiländereck in Kilpisjärvi. Erst mit dem
       Boot über den See, dann zu Fuß an der schwedischen Grenze entlang. Von so
       einer Grenze hat die DDR geträumt. Ein Grenzchen, maximal. Ein Wanderweg an
       grobmaschigem Maschendrahtzaun entlang. Ganz schnell fühle ich mich als
       einsamer Trecking-Tourist, denn alle anderen sind schneller als ich, auch
       der ältere Schwede mit seinem Golden Retriever.
       
       Ich genieße die Landschaft. Die Ruhe. Rechts See, links Birken und Grenze,
       beide, wie gesagt, absolut mini. Dann sehe ich Tierköttel. Ziemlich große
       Köttel. Meine Ruhe wechselt zu leichter Unruhe. Was war das bloß für ein
       Tier? Ich schreite aus. Rentier? Elch? Wieder Köttel. Beachtlich! Es gibt
       auch Bären in Finnland. Aber hier?
       
       Den Kötteln nach zu urteilen … na ja. Köttel hatten wir nie im
       Biounterricht. Ich habe mir gestern ein Finnenmesser gekauft. Es ist im
       Rucksack. Soll ich mir hier wirklich ein Messer an den Gürtel hängen? Wenn
       das ein Bär wär! Karhu auf Finnisch. Vielleicht nimmt er ja erst die
       schneller Ausschreitenden vor mir. Für die Finnen, die schon wieder vom
       Dreiländereck zurück- und mir entgegenkommen, scheint es normal zu sein,
       dass ich ein Messer am Gürtel trage.
       
       Nützen würde mir das Messer nicht viel. Vor ein paar Tagen, in Rovaniemi im
       Pilke Science Center, bin ich in einem Computerspiel auf Jagd gegangen. Ich
       habe dort auf Elche geschossen. Ich habe getroffen ab dem zweiten Schuss,
       obwohl er in Bewegung war! Mit „Vorhalten“, immer mit dem ersten Schuss!
       Als Kriegsdienstverweigerer! Aber auf meiner digitalen Bärenjagd hatte ich
       den Petz dreimal nur angeschossen und dann hatte er mich niedergemacht.
       Dreimal!
       
       Oder war das vor mir auf dem Boden nur der Haufen des irgendwo vor mir
       laufenden Golden Retriever? Aber so viele Haufen? Das schafft selbst der
       goldigste Retriever nicht. Wenn ich jetzt Daten-Roaming für mein Smartphone
       hätte, könnte ich auf Wikipedia sicher nach dem passenden Tier für die
       Köttel suchen. Aber in der Wildnis ist man nun mal verloren.
       
       Ich überlebe den Trip und besuche auch noch die Grenzstation an der Straße
       nach Norwegen. Sie hat eine eigene Hausnummer, wahrscheinlich die höchste
       Hausnummer der Welt: 14920. Zoll auf Finnisch heißt Tulli, auf Schwedisch
       Tull. Die finnische Sprache ist zwar ein Hammer, aber auch lustig. Die
       Finnen finnischen viele Worte ein, indem sie ein „I“ anhängen. Tomate heißt
       hier Tomaatti. Banaani ist Banane. Beton heißt Betoni, Fasaani ist
       natürlich der Fasan, Salaatti der Salat. Die Liste ließe sich beinah endlos
       fortsetzen.
       
       Schön sind auch Worte mit vielen Vokalen oder besonders vielen „As“ wie
       Aavasaksa, ein Berg kurz unterhalb des Polarkreises mit fünf oder
       Sahatavaraa, Sägeholz, mit sechs „a“.
       
       Ich fahre ein Stück zurück am Grenzfluss entlang. Ich muss einen Bogen
       fahren, ich will jetzt rüber in den Nordosten, nach Nuorgam. Grenznah gibt
       es keine Straßen! Ich habe mein Navigationsgerät programmiert. Ich drücke
       „zulassen“ für eine „unbefestigte Straße“. Das war ein Fehler. Was dann
       kommt, hat mein Auto so noch nicht gesehen. Mich wundert, dass mein Fahrrad
       nicht vor Ärger abspringt. Bei jedem Schlagloch zuckt es zusammen.
       Mintfarbene sind sehr sensibel.
       
       Mein Auto ist für so etwas nicht gemacht. Ein Freund von mir, Jochen, der
       fährt einen Wagen für solche Wege, so einen wie damals in der Fernsehserie
       „Daktari“ Dr. Marsh Tracy und Destrict Officer Hedley fuhren. Hedley hieß
       übrigens im wahren Leben auch Hedley, aber mit Vornamen, Hadley Mattingly.
       Mit so was jedenfalls kann man durch afrikanische Flüsse fahren, neben
       Löwen hergurken, und wahrscheinlich wird der inzwischen sogar mit
       Mähdrescher-App geliefert.
       
       Meine Reifen sind mindestens vier Nummern zu klein für diese Straße ohne
       Namen. Sie hat Schlaglöcher, groß wie der Inari-See. Aber ich werde
       entschädigt. Ständig kreuzen kleine Rentiergruppen mit den Jährlingen aus
       diesem Jahr, also den Halb-, quatsch, den Vierteljährlingen. Sogar ein
       scheuer Auerhahn kommt mit der Dame seines Herzens vorbei. Nicht ganz so
       imposant wie Tiere mit Geweih, dafür aber wirklich selten zu sehen. Also,
       wenn hier der Elch nicht kommt, dann weiß ich auch nicht, wo der Elch noch
       kommen soll!
       
       Der Elch kommt aber nicht. Dafür überholt mich ein Taxifahrer! Mitten im
       Wald und schnell, als wäre er auf der Avus unterwegs. Mein Fahrrad zieht
       unwillkürlich den Lenker ein. Wenn der hier überhaupt mal eine Fahrt
       bekommt, dann lohnt sich die für die nächsten zwei Wochen! Immer wieder
       halte ich an und stiefele in den Wald, ich möchte ein Rentiergeweih finden.
       Ich finde aber nur Pilze! Irgendwann dann habe ich wieder Teer unter den
       Reifen. Und vor mir liegt der Lemmenjoki-Nationalpark. Goldgräberland!
       
       Fortsetzung folgt
       
       12 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Gieseking
       
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