# taz.de -- Heime der Haasenburg GmbH: „Die haben meine Psyche gefickt“
       
       > Mit 12 Jahren kommt Jonas ins umstrittene Jugendheim der Haasenburg. Als
       > seine Mutter ihn leiden sieht, kämpft sie um ihren Sohn.
       
 (IMG) Bild: Um das Sorgerecht nicht zu verlieren, willigt die Mutter von Jonas in die Heimunterbringung ein. Diese Entscheidung bereut sie später zutiefst.
       
       HAMBURG taz | Jonas macht Kniebeugen, Hampelmann, Liegestütze, wieder
       Kniebeugen. Es ist spät an diesem Tag, draußen schon dunkel. Jonas will
       nicht weitermachen. Die Haasenburg GmbH setzt manchmal eine Art
       Sportprogramm ein, wenn die Kinder von dem vorgeschrieben Verhalten
       abweichen. Jonas sagt, er habe geschrien, später sei er „begrenzt“ worden.
       
       So nennen sie es in diesem geschlossenen Heim, wenn mehrere Betreuer Kinder
       und Jugendliche an den Armen packen und mitunter brutal zu Boden bringen.
       Nach Ansicht der Haasenburg GmbH geschieht dies, um die Kinder vor sich
       selbst oder um andere vor ihnen zu schützen. Viele der Kinder und
       Jugendlichen, die mit der taz sprachen, beurteilen das anders.
       
       Manche kommen bei solchen Aktionen in den Antiaggressionsraum – so wie
       Jonas an diesem Tag. Dort stand damals noch die Fixierliege, die 2010 mit
       einer Auflage des Landesjugendamtes verboten wurde. Jonas hatte panische
       Angst, auf dieser Liege festgeschnallt zu werden.
       
       Die Haasenburg GmbH betreibt in Brandenburg Heime für Kinder und
       Jugendliche, die zum eigenen Schutz und zum Schutz anderer hier geschlossen
       untergebracht werden. Recherchen der taz zu diesem Betreiber deckten
       erhebliche Missstände auf. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft in
       zahlreichen Fällen. Für die Einrichtung wurde bis Ende August ein
       Belegungsstopp durch das zuständige Bildungsministerium in Brandenburg
       erlassen. Erschüttert reagieren befragte Experten auf die Fixierung der
       Jugendlichen.
       
       ## Folgenreiche Beschwerde
       
       Als Jonas’ Mutter, Eva L., von dieser Fixierliege erfuhr, begann sie, um
       ihr Kind zu kämpfen. Ihre und die Geschichte ihres Sohnes spielt eine
       wichtige Rolle. Vermutlich war ihre Beschwerde einer der Gründe dafür, dass
       das Landesjugendamt nach Jahren die Fixierliegen 2010 verboten hat. „Mein
       Sohn war in panischer Angst wegen dieser Liege“, sagt Eva L. Das habe ihr
       Jonas bei einem Besuch gesagt. Der ist erst 12 Jahre alt, als er in das
       Heim in Müncheberg kommt.
       
       Er muss dorthin, weil er nach Ansicht des Jugendamtes in einer offenen
       Einrichtung „den Rahmen sprengen“ würde.
       
       Was sagt das Amt zu seinen Vorwürfen? Es ist schwierig, über Fälle wie den
       von Jonas zu berichten. Denn die Jugendämter wie hier in Hamburg dürfen
       sich aus Gründen des Datenschutzes nicht äußern. Das dient dem Schutz der
       Betroffenen. Was sagt die Haasenburg GmbH? Die taz gab auch dem Betreiber
       die Gelegenheit zur Stellungnahme. Doch die Firma beantwortet Anfragen der
       taz seit Wochen nicht mehr.
       
       Wir erzählen Jonas’ Geschichte, weil sich sein Bericht in großen Teilen mit
       denen anderer Jugendlicher deckt, die der taz von ihren Erfahrungen
       erzählten. Nur eine gegenteilige Äußerung erreicht die taz. Eine Mail,
       vorgeblich von einem Mädchen geschrieben, dem es gut gegangen sei in der
       Heimfirma. Auf Anfrage der taz, ob sie zu einem Gespräch bereit sei, folgte
       keine Reaktion.
       
       ## Keine Stellungnahme
       
       Jonas sagt heute zu der Zeit im Heim in Brandenburg: „Die haben meine
       Psyche gefickt.“
       
       Vom Drill und den harschen Regeln sei der 12-Jährige nicht ausgenommen
       worden. In den ersten Wochen habe er sich mit den anderen Jugendlichen
       nicht austauschen dürfen, sagt er. „Nur ab und zu kam ein Erzieher, um
       Arbeitsblätter reinzureichen oder Tee nachzufüllen“, sagt der heute
       17-Jährige.
       
       Auf den Pausenhof hätten sie ihn einmal in Boxershorts und Unterhemd
       geschickt, „trotz Minusgraden“. Auch zu diesem Vorwurf nimmt die Haasenburg
       GmbH keine Stellung.
       
       Zu seiner Mutter hätte er in den ersten sechs Wochen keinen Kontakt haben
       dürfen. Die Anfangszeit sei so hart gewesen, meint Jonas, da hätten viele
       über Suizid nachgedacht, glaubt er.
       
       ## In der Kinderpsychiatrie
       
       Die Mutter, eine gelernte Bürohandelskauffrau aus Dänemark, wohnt in
       Hamburg. Sie lebt getrennt von ihrem Mann und versorgt ihre vier Kinder
       allein. Jonas ist der Zweitälteste. Bereits mit vier Jahren versucht er,
       seine Mutter vor dem alkoholkranken Vater zu beschützen.
       
       In der Schule wird er später Probleme bekommen, gilt als Zappelphilipp. Der
       Junge wird schließlich auch aggressiv gegenüber seiner Mutter. Sie bittet
       das Jugendamt um Hilfe. Ein Sozialarbeiter betreut die Familie. Aber auch
       in seiner Schule rastet er aus und wird mehrfach nach Hause geschickt. Eine
       Psychologin empfiehlt schließlich die Kinderpsychiatrie.
       
       Im Oktober 2008 eskaliert ein Streit. Jonas will von seiner Mutter
       Zigaretten erpressen und entzündet in der Wohnung ein Feuer. Der Junge
       kommt nun in die geschlossene Abteilung der Uni-Klinik Eppendorf (UKE).
       Dort bleibt er fast fünf Monate lang.
       
       ## Folgenreicher Antrag
       
       „Jonas ist in seiner Persönlichkeitsentwicklung und in seinem sozialen
       Verhalten erheblich gestört“, schreibt das Jugendamt in einer Stellungnahme
       zum Antrag auf geschlossene Unterbringung. „Er kann sich nicht an Regeln
       und Absprachen halten, weicht sofort aus und nutzt die Zeit, um zu rauchen,
       zu stehlen und andere Verbündete zu finden.“ Das Kind gehöre in
       therapeutische Behandlung, sei aber „im Rahmen der Kinderstation der UKE
       nicht tragbar“. Er müsse in ein geschlossenes Heim. Jonas sagt: „An Regeln
       konnte ich mich schon halten. Nur nicht immer an das, was die Erwachsenen
       wollten.“ Seine Mutter sagt: „Jonas war krank. Er hätte niemals in dieses
       Heim gehört.“
       
       Die Psychiatrie aber muss er verlassen. Nun soll er in die Haasenburg. Die
       Mutter willigt ein, um nicht das Sorgerecht zu verlieren. Sie muss viele
       Einverständniserklärungen unterschreiben – vermutlich auch jene für
       Antiaggressionmaßnahmen und Fixerung. „Das war so viel Papier, ich wusste
       gar nicht, was ich alles unterschreibe“, sagt sie. Das Jugendamt hätte von
       Musiktherapie, Pferden und Urlaubsreisen in der Haasenburg GmbH erzählt.
       Als sie ihr Kind sechs Wochen später zum ersten Mal besucht, will sie es
       sofort wieder mitnehmen.
       
       Dünn war Jonas geworden, geschwächt kam er ihr vor, mit Ausschlag im
       Gesicht: „Er fragte an der Tür, ob er durchgehen dürfe. Der Betreuer aber
       schwieg. Jonas fragte wieder: Darf ich durch? Erst dann wurde es ihm
       gestattet. Ich dachte mir: Was sind das für Stasi-Methoden?“
       
       Eine Matratze, einen Plastiktisch, einen Stuhl: Mehr sah sie nicht, als sie
       sich sein Zimmer anschaute. Das mitgebrachte Lego: weg. Seinen
       Babyschlafsack, von klein auf Jonas’ Kuscheltierersatz, durfte er nicht im
       Bett haben. Die Telefonate mit Jonas seien traumatisch gewesen, berichtet
       die Mutter. Immerzu weint ihr Kind, berichtet von seinen Ängsten, auf die
       Fixierliege zu kommen.
       
       Eva L. beginnt ihren Kampf gegen die Fixierliegen und um ihr Kind. Sie
       führt viele Telefonate, bis sie schließlich im Frühjahr 2009 mit der
       Heimaufsicht sprechen kann. Mit Erfolg: Zum Jahresende sind die Liegen
       schließlich untersagt. Es soll mehrere Beschwerden gegeben haben. Jonas
       hatte Glück: Er wurde während seines Aufenthaltes nie festgeschnallt.
       
       Dennoch sind die Monate in diesem Heim traumatisch für ihr Kind gewesen,
       glaubt Eva L. Zum Reden habe er kaum jemanden gehabt, Ältere hätten ihn
       schikaniert. Häufig sei er auf dem Boden begrenzt worden, mit umgedrehten
       Armen, eine schmerzvolle Prozedur.
       
       ## Mit Schürfwunden übersät
       
       „Er hat weinend am Telefon erzählt, dass es ihm wieder passiert ist.“ Als
       sie ihn besucht habe, sei sein Gesicht mit Schürfwunden übersät gewesen,
       erinnert sich Eva L. Zu den Schürfwunden befragt, antwortet der Hamburger
       Senat in einer Parlamentsanfrage, davon sei nichts bekannt. Doch zumindest
       seine Schmerzen sind dokumentiert. „Als sie ihn körperlich begrenzen
       mussten, tat ihm das weh“, steht im Protokoll eines Hilfeplangesprächs des
       Jugendamtes vom 20. März 2009.
       
       Einmal habe er aus Wut mit dem Fuß gegen eine Wand getreten. Sie hätten im
       Heim behauptet, dass er eine Tür demoliert habe. Jonas bestreitet das. „Da
       wurde ich auf den Boden geklatscht“, sagt er. „Und bevor ich da war, mit
       dem Kopf auf die Bettkante. Alles voller Abschürfungen vom
       Brandschutzteppich.“
       
       Auch zu diesem Vorwurf schweigt die Haasenburg GmbH.
       
       Jonas ist mittlerweile aber zu der Überzeugung gekommen, dass ehemalige
       Insassen wie er Schmerzensgeld erhalten sollten. „Viele, die ich damals
       sah, hatten blaue Flecken, Blutergüsse und Hautabschürfungen im Gesicht.“
       Das müsse wieder gutgemacht werden, findet er.
       
       ## Schlafen mit Helm
       
       Am schlimmsten sei für ihn die sogenannte Schutzkleidung gewesen. Manchmal
       habe er gegen seinen Willen einen Helm tragen müssen, auch Knieschoner und
       Ellenbogenschützer. „Damit musste ich auch schlafen. Das hat über Nacht
       Abrieb gegeben, denn es war ziemlich eng. Da hatte man noch mehr
       Abschürfungen an den Gelenken“, sagt Jonas.
       
       Wie er musste auch ein Mädchen diese Pein ertragen und mit Helm schlafen.
       Sie kam in der Haasenburg GmbH ums Leben. Die taz hat auch über diesen Fall
       berichtet.
       
       Im März 2010 läuft Jonas’ Gerichtsbeschluss für seine geschlossene
       Unterbringung aus. Jugendamt, Heimträger und Gutachter wollen jedoch, dass
       der Junge ein weiteres Jahr in dem Heim der Haasenburg GmbH bleibt. Eine
       Herausnahme werde „nicht befürwortet“, heißt es von der Firma, die
       profitorientiert ist.
       
       Die GmbH kassiert heute mitunter Tagessätze von bis zu 300 Euro pro Kind.
       
       Doch der Junge hat Glück. Am 25. März 2010 fährt Eva L. nach Brandenburg
       und holt Jonas aus der Einrichtung ab. Das gelingt, weil sie das Sorgerecht
       über ihren Sohn behalten hat. „Ich habe ein krankes Kind dorthin gegeben
       und ein viel kränkeres zurückbekommen.“
       
       Heute hat er mit Verzögerung seinen ersten Schulabschluss geschafft. Aber
       noch immer träumt Jonas von der Haasenburg und wacht schweißnass auf, weil
       er fürchtet, in diesem Erziehungslager gefangen zu sein.
       
       Mutter und Sohn wollen jetzt Aussagen bei der Staatsanwaltschaft machen.
       „Ich will, dass dieses Heim schließt. Kinder mit massiven psychischen
       Problemen gehören nicht in so eine Erziehungsstrafanstalt“, sagt Eva L.
       
       21 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
 (DIR) Kai Schlieter
       
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