# taz.de -- NS-Vergangenheit: Welche Geschichte nehmen wir?
       
       > Das Bremer Theater feiert „100. Geburtstag“ am Goetheplatz und stellt
       > sich damit in die Tradition Ichons. Die eigene Institutionsgeschichte ist
       > wesentlich unrühmlicher.
       
 (IMG) Bild: Die eigene Geschichte spielt hier: Vor 100 Jahren war der Goetheplatz privat
       
       BREMEN taz | Das Bremer Theater veranstaltet heute vielfältige
       Feierlichkeiten: Ex-Intendant Klaus Pierwoß wird Ehrenmitglied, es gibt den
       Tag der offenen Tür – und einen großen Festakt zu „100 Jahre Theater am
       Goetheplatz“. Doch in diesem Titel steckt ein interessantes Maß an
       Missverständlichkeit. Denn: Was nun Geburtstag feiern kann, ist lediglich
       das Gebäude am Goetheplatz – und das gehörte seinerzeit keineswegs zum
       staatlich finanzierten Bremer Theater, sondern war als dessen private
       Konkurrenz gebaut worden. Und selbst die Gründung dieses Unternehmens durch
       Johannes Wiegand und Eduard Ichon hat kein Jubiläum. Bereits 1910
       eröffneten sie in der Neustadt ihr erstes Theater, das heutige „Modernes“.
       
       Nun könnte man sagen: Feste soll man feiern, wie sie fallen, oder, wie man
       sie eben fallen lässt. Warum die Erbensenzählerei? Weil der Verzicht auf
       sie eine erfreulichere Geschichtsdarstellung ermöglicht: Reklamiert man die
       Vorkriegshistorie des Goetheplatzes für sich, hebt das die moralische
       Bilanz der Institution Stadttheater ganz erheblich. Denn den „liberalen
       Kurs während der NS-Zeit“, den jetzt beispielsweise Radio Bremen in Bezug
       auf den Goetheplatz herausstreicht, gab es am Staatstheater, wie das
       „Bremer Theater“ damals hieß, keineswegs.
       
       Dessen damalige Spielstätte Am Wall verschwand durch Bomben und
       Abrissbirnen. Nach dem Krieg wurde es an den Goetheplatz verlegt, den es
       bereits 1943, nach Ichons Tod, per Zwangsverstaatlichung zugeschlagen
       bekommen hatte – was es ganz sicher nicht zum moralischen oder auch nur
       institutionellen Erben Ichons und Wiegands macht.
       
       Was das Bremer Theater heute „feiern“ könnte, ist also das 70-jährige
       Jubiläum der Übernahme des Goetheplatzes unter NS-Vorzeichen. Sie entsprach
       den lang gehegten Absichten des Staatstheaters, dem die Privatbühne nicht
       nur politisch, sondern auch wegen des künstlerischen und wirtschaftlichen
       Erfolgs missfiel. Als leichter verdauliches Jubiläum stünde übrigens auch
       der 170. Geburtstag des 1843 errichteten Stadttheaters an der Bischofsnadel
       zur Verfügung – denn Theater wird in Bremen schon wesentlich länger als 100
       Jahre gemacht.
       
       Nun hat das Theater sein politisches Engagement kürzlich eindrucksvoll
       demonstriert, als es der rechtspopulistischen Goetheplatz-Kundgebung von
       „Pro Deutschland“ ein riesiges Banner und noch mehr Lautstärke entgegen
       setzte. Seine Vergangenheit jedoch firmiert unter „rassisch korrekt“: Als
       die Reichstheaterkammer 1934 Auskunft verlangte, wie das „Verbot der
       Beschäftigung von Nichtariern auf deutschen Bühnen“ umgesetzt worden sei,
       meldete Intendant Willy Becker: „Von hier aus ist nichts zu veranlassen, da
       gleich bei Beginn der Revolution restlos aufgeräumt wurde.“
       
       Das galt auch für den Spielplan. Das ohnehin konservative Repertoire wurde
       von „jüdischen“ Stücken „gesäubert“, kriegsverherrlichender Chauvinismus
       wie „Schlageter“ von Hanns Johst, Präsident der Reichsschrifttumkammer, kam
       auf die Bühne. „Wahre Kunst“ könne nur „national und rasserein“ sein,
       erklärte Becker. „Das „[Bremer] Staatstheater hat, wie der Spielplan zeigt,
       im weitesten Maße die vom Führer aufgestellten kulturellen Ziele verfolgt,“
       bescheinigte das Propagandaministerium.
       
       Dass „Goetheplatz“ heute weitgehend als Synonym für „Theater Bremen“
       verstanden wird, ist praktisch. Denn die in der NS-Zeit möglichen
       Dissidenzen fanden am Goetheplatz statt. Ichon und Wiegand wagten
       Unerwünschtes: 1936 beispielsweise „Wasser für Canitoga“ von Hans Rehfisch,
       der 1933 verhaftet und 1936 in die Emigration gezwungen worden war. Oder,
       1939, „Die guten Feinde“ von Günther Weisenborn, der zur „Roten Kapelle“
       gehörte. Dem verbotenen Erich Kästner verhalf Ichon mit „Das
       lebenslängliche Kind“ sogar – wenn auch unter Pseudonym – zu einer
       Uraufführung am Goetheplatz.
       
       Das Aneignen von Geschichte erleichtert die Vernachlässigung der eigenen:
       In der Selbstdarstellung des Hauses spielt seine Vergangenheit als braunes
       Staatstheater keine Rolle. Bei Wikipedia wird unter „Theater Bremen“ der
       Eindruck erweckt, die Institution gehe auf Ichon zurück, und sogar
       einschlägige Portale wie [1][www.spurensuche-bremen.de] verorten das
       „Bremer Theater“ der NS-Zeit am Goetheplatz. Umfangreicheres Material zum
       Staatstheater ist einzig in einer unveröffentlichten Magisterarbeit aus den
       80ern zu finden.
       
       Wie wäre es mit einer Erinnerungstafel für die 1933 ausgestoßenen
       KünstlerkollegInnen? „Eine gute Idee“, sagt Theatersprecher Frank Schümann.
       Das Jubiläum des Gebäudes zu feiern sei gleichwohl richtig und wichtig:
       „Hier ist schließlich auch Geschichte geschrieben worden“ – wenn auch nicht
       die eigene.
       
       30 Aug 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.spurensuche-bremen.de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
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