# taz.de -- Ausstellung zum Römischen Reich: Als wir die Italiener noch beneideten
       
       > Selbst kurz vor seinem Niedergang kämpfte das Römische Reich noch gegen
       > die Barbaren. Eine Ausstellung darüber verrät uns was über die Liebe. Und
       > Syrien.
       
 (IMG) Bild: Die touristischen Superstars im Harz: Severus Alexander (l) und Julia Mamaea.
       
       Wie war das denn damals?
       
       Als es in Deutschland weder McDonald’s noch Burger King gab? Also eine
       Gastronomie, wo man in gleichbleibender Qualität, hygienisch, zu einem
       vernünftigen Preis und in akzeptabler Atmosphäre seinen Hunger stillen
       kann?
       
       Wie muss es gewesen sein vor 1971, als der erste deutsche McDonald’s
       eröffnete, wenn man zum Beispiel in eine Stadt wie Braunschweig fuhr, um
       sich eine Ausstellung über „Roms vergessenen Feldzug. Die Schlacht am
       Harzhorn“ anzusehen und dann, um seinen Postkulturhunger zu stillen, auf
       zwielichtige Imbisse oder altdeutsche Wirtschaften mit verfetteter
       Holztäfelung und Soßenbinderessen angewiesen war?
       
       Das römische Heer jedenfalls, das sich im September 235 n. Chr. auf dem
       Rückmarsch befand und am Harzhorn – einem Engpass eine Autostunde von der
       „Löwenstadt“ entfernt und nahe der heutigen Autobahnraststätte Seesen
       gelegen – von Germanen angegriffen wurde, hatte alles dabei, um fern von
       seinem Heimatstandort Mainz am Rhein die Zivilisation aufrechtzuerhalten.
       
       ## Machtdemonstration der Römer
       
       Die Ausstellung im Braunschweigischen Landesmuseum, die sich dem Ereignis
       und seinem geschichtlichen Kontext widmet, zeigt von diesen Accessoires
       etwa ein Schminkkästchen und ein Tintenfässchen.
       
       Sie zeigt eine bürokratisch durchorganisierte römische Militärmaschine, die
       gerade an der Elbe erfolgreich ein Exempel statuiert hatte, um der in
       Bewegung befindlichen barbarischen Stammeswelt zu demonstrieren, dass
       Angriffe auf das Imperium unweigerlich einen Gegenschlag provozierten –
       früher oder später, mehr oder weniger mächtig, meistens eben „eine kurze,
       begrenzte Aktion“ (Barack Obama); und da weder der Marschflugkörper noch
       der UNO-Sicherheitsrat erfunden waren, rückte der Kaiser Maximinus Thrax
       mit international gemischten Bodentruppen im sogenannten freien Germanien
       ein, nahm alles mit, was er gebrauchen konnte (nicht viel außer Sklaven und
       Vieh) und hinterließ ansonsten verbrannte Erde.
       
       Für zwei, drei Jahrzehnte, so das Kalkül, würden Bürger und Bauern jenseits
       des Limes dann ruhig schlafen können.
       
       Diejenigen Germanen, die dem Heer an einem trockenen Herbsttag (das kann
       man rekonstruieren!) auf seinem Rückmarsch auflauerten, wollten vermutlich
       Gefangene und Vieh haben – und natürlich all die schönen Sachen, die die
       Römer so mit sich führten: Schwerter, Kettenhemden, Helme – von denen sie
       sofort die Schirme, die man dementsprechend auf dem Schlachtfeld gefunden
       hat, abbrachen, um nicht für Römer gehalten zu werden.
       
       ## Enfesselte Höllenkräfte
       
       Die wiederum erzeugten mit ihren Bogenschützen und Torsionsgeschützen – die
       so ähnlich wie ein Gummimotor bei Kinderfliegern funktionierten – eine
       Todeszone, in der man sich besser nicht aufhielt: Man vergleiche die
       Darstellung zu Beginn des Films „Gladiator“, als Russell Crowe den Auftrag
       gibt, die Höllenkräfte zu entfesseln („unleash hell“), nicht ohne vorher
       nüchtern festgestellt zu haben „People should know, when they’re
       conquered“. Die Germanen und ihre Nachfolger brauchten dafür bekanntlich
       bis zum 8. Mai 1945 – nach Christus.
       
       Erobert wurde am Harzhorn nichts; die Bedeutung der seit 2008
       wissenschaftlich erforschten Ausgrabungsstätte für die
       Geschichtswissenschaft ist die: Bisher fehlte der archäologische Beweis
       dafür, dass ein römisches Heer noch im dritten Jahrhundert, also zeitlich
       relativ nah am ’Untergang‘ des Römischen Reichs, so weit in den Norden
       Germaniens marschierte – die schriftlichen Quellen hatten das schon immer
       hergegeben, nur hatte man ihnen nicht geglaubt, ja sie in neuzeitlichen
       Editionen sogar, was Entfernungsangaben anging, korrigiert.
       
       Aber jetzt: Wer will das alles wissen? Oder besser: Wer muss das wissen?
       Dient eine solche Ausstellung – wie auch das von manchen Lokalpolitikern
       bereits heiß ersehnte und mittelfristig zwangsläufig defizitäre
       Freilichtmuseum am Tatort – nicht ausschließlich der durchaus
       verständlichen, aber eben auch leicht größenwahnsinnigen Aufwertung eines
       touristisch eher unauffälligen Landstrichs: die Römer, hier bei uns, im
       Harz, in Braunschweig, in Niedersachsen!
       
       Verleiht das endlich die Italianità, die deutsche Klein- wie Großstädte mit
       noch so vielen Straßencafés plus Klimawandel einfach nicht hinkriegen?
       Welche Bilder rufen denn die von der Menge her durchaus beeindruckenden
       Fundstücke eines mittleren Mordens ab, wenn nicht die von Sandalenfilmen
       oder Orks-gegen-Elben-Schlachten? Oder, realistischer, die eines Imperiums,
       das nicht mehr in der Lage ist, ein Land tatsächlich zu unterwerfen,
       sondern an seinen Rändern Mauern errichtet und die Barbaren mit Geld,
       Drohungen und schnellen Militärschlägen versucht in Schach zu halten?
       
       ## Überflüssiges Wissen im Gehrin
       
       Und nun aber andererseits: Was wäre schlecht daran, wenn die sorgsame
       Rekonstruktion eines geschichtlichen Ereignisses uns nicht überflüssiges
       Wissen ins Gehirn hängt à la „333 bei Issos Keilerei“, sondern einen eben
       gerade nicht aus der Gegenwart ins immer mittelaltermarktmäßige Germanien
       entlässt; eine Ausstellung, die verdeutlicht, wie beklemmend, wie real die
       Situation in Syrien, im Irak und in Afghanistan ist; wie schändlich der
       Todesstreifen Mittelmeer und die Mauer am Rio Grande.
       
       Es ginge dann weniger darum, ob die Menschheit aus der Geschichte etwas
       lernt (eher nicht); sondern darum, dass hier und heute Geschichte
       stattfindet und nicht nur das Begrüßen eines neuen iPads, beziehungsweise
       die Phase des Wartens zwischen zwei Begrüßungen.
       
       Diese Assoziationen muss man selbst mitbringen; und wenn es anders wäre,
       wenn also ständig auf die Gegenwart verwiesen würde, käme man sich wohl vor
       wie in einem DDR-Museum. Das Dilemma der Vermittlung ist objektiv: Auch für
       die Römer selbst war so etwas wie geschichtliche Entwicklung wegen der
       Länge der Auseinandersetzung mit den Barbaren nicht wirklich greifbar. Die
       Ausstellung macht das recht elegant klar, indem sie sich einen boshaften
       Satz aus Tacitus’ „Germania“ als Motto mitgibt: „So lange wird Germanien
       nun schon besiegt“ (tam diu Germania vincitur).
       
       Natürlich gibt es allerhand Kurioses in der in acht Kapitel gegliederten
       Schau: Allein schon die Entdeckung des Schlachtfeldes durch zwei
       (mittlerweile entkriminalisierte) Schatzräuber, die eigentlich auf die
       Überreste einer mittelalterlichen Burg aus waren, ihre Funde erst zu Hause
       liegen ließen, um sie Jahre später im Internet feilzubieten, wo in wenigen
       Minuten der römische Ursprung festgestellt wurde – o schöne, schnelle
       heutige Welt!
       
       ## Die Archäologen sind nicht recht zufrieden
       
       Die Ausstellung dokumentiert diesen „Chat“ gleich zu Beginn, verfolgt mit
       teils prächtigen Leihgaben das Schicksal des Kaisers Maximinus Thrax,
       handelt Religion und Tod auf dem Schlachtfeld pflichtgemäß ab. Im zentralen
       Saal sind lebensgroße Zeichnungen der Protagonisten (Römischer Zenturio,
       Germanischer Schwertkämpfer usw.) im Stil der historischen Jugendbücher von
       Peter Conolly („Die römische Armee“) mit Ausrüstungsfunden zu sehen.
       
       Dahinter laufen nachgestellte Kampfszenen, über welche die durch die Räume
       führenden Archäologen selbst nicht recht glücklich sind, weil man eben
       „nicht weiß, wie sich die Menschen damals bewegt haben“.
       
       Bei allem Bemühen also (und auch im Gelingen) um Ernsthaftigkeit und
       Anschaulichkeit kollidiert die Ausstellung mit dem, was sie zeigt. Sie soll
       das Ausgegrabene groß machen, sie soll es eventisieren. Doch Rom war zu
       dieser Zeit schon ein Reich im Rückbau, ein Shrinking Imperium. Davon zeugt
       dieser Hinterhalt am Rande der Welt, bis heute so gottverlassen, dass man
       von der Ausrichtung der seit mehr als 2.000 Jahren unverändert im Boden
       steckenden Geschosse die Position der römischen Artillerie ableiten kann.
       
       Braunschweig ist aber immer eine Reise wert, schon deswegen, weil es am
       Bahnhof beides gibt: McDonald’s und Burger King.
       
       2 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ambros Waibel
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Braunschweig
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Oktoberfest
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne Blicke: Nackte beim Spaßappell
       
       Die Menschen im Lande sind glücklich wie nie – ob in der größten Therme
       Europas oder auf dem größten Volksfest der Welt. Die entsprechende Phrase
       gibt es auch.