# taz.de -- Debatte Wahlkampf: Streitet euch!
       
       > Müde Kanzlerkandidaten, harmoniesüchtige Wähler und zahme Parlamentarier:
       > Der deutschen Politik fehlt es an Leidenschaft. Mehr Misstöne müssen her.
       
 (IMG) Bild: Na so wild auch wieder nicht: Prügelei im Parlament in Südkorea (Archivbild aus dem Jahr 2009)
       
       Was am Ende hängen bleibt, ist die Debatte um den von den Grünen
       vorgeschlagenen Veggie Day und bunte Hintern, was traurig und peinlich
       zugleich ist, nicht nur, weil die bunten Hintern von den Republikanern auf
       Plakate gedruckt wurden.
       
       Außerdem bleiben noch: das Gefühl, gelangweilt zu sein, und die Frage, ob
       man denn ausreichend informiert ist. Ob es tatsächlich sein könne, dass es
       kaum etwas gab, worüber man nachdenken, mit Freunden streiten, diskutieren
       hatte können, oder ob man schlecht zugehört hat, nicht begeistert genug
       gewesen war.
       
       Vielleicht haben die einen aber auch nicht genug begeistert. Dass Politiker
       Phrasen dreschen – vor, nach, während des Wahlkampfs und auch zwischendrin
       – ist selbstverständlich nicht neu. Dass die Politiker, auch die
       öffentlichkeitserfahrenen wie die Bundeskanzlerin, oder der, der angeblich
       ihren Job übernehmen möchte, obwohl man ihm das nicht so recht abnehmen
       wollte in den vergangenen Wochen, aber plötzlich stammeln, einander mitten
       im Wahlkampf manchmal beinahe hofieren und dabei manchmal so wirken, als
       würden sie selbst vor Langeweile beinahe einschlafen, das ist neu.
       
       Wer nicht alt genug ist, um an Willy Brandt zurückzudenken, wird sich
       zumindest – fast sehnsüchtig – an Gerhard Schröder erinnern. Dem passierten
       im Wahlkampf zumindest amüsante Fehler wie „Frauen und das ganze Gedöns“.
       
       Was ist los? Trauen sie sich nicht? Oder ist die Harmoniesucht so groß? Und
       wenn Letzteres der Fall ist, ist es die der deutschen Wähler, die in ihrer
       großen Mehrheit schon immer in der Großen Koalition die beruhigende Lösung
       sahen? Oder die der Politiker selbst?
       
       Heutzutage verhält man sich, auch diejenigen auf der politischen Bühne, die
       hoch hinaus wollen und uns, unser Land führen sollen, heutzutage verhalten
       wir uns alle politisch korrekt und sind anderen Meinungen gegenüber so
       tolerant, dass wir vorsichtshalber lieber die Klappe halten. Eine
       Krankheit, die um sich greift. So toll sind wir, so offen für andere
       Meinungen, dass wir lieber gar nichts sagen. Vor lauter Harmoniestreben
       wird nicht gestritten, erst recht nicht: mit Leidenschaft argumentiert,
       dabei mit den Händen gewedelt, die Stimme variiert, sich aufgeregt gar – es
       könnte ja den Mitmenschen auffallen, dass man eine Meinung hat (wenn man
       sie denn hat, aber das ist eine andere Frage).
       
       ## Harte Worte im Bundestag
       
       Politikverdrossenheit wird den Bürgern vorgeworfen, über Wahlbeteiligung
       macht man sich Sorgen. Politikverdrossen wirken aber spätestens seit diesem
       Sommer die Politiker selbst. Als könnten sie sich für ihre eigenen Inhalte
       nicht begeistern, als wüssten sie – schlimmstenfalls – nicht, was ihre
       eigenen Inhalte sind. Früher ging es im Bundestag auch sprachlich zur
       Sache: „Übelkrähe“, „Mini-Goebbels“, „Dreckschleuder vom Dienst“, hörte man
       da, Franz Josef Strauß wiederholte gern: „Irren ist menschlich, aber immer
       irren ist sozialdemokratisch.“
       
       Heute wartet man vergeblich auf druckreife Sprüche, vielleicht, weil keiner
       genau weiß, was die Sache ist, um die man sich streiten könnte. Ein
       bisschen Euro-Rettung, ein wenig Mindestlohn, und selbst die
       vielversprechende NSA-Affäre verpufft im Nu.
       
       Die Wahlkampfstrategie der SPD beschränkt sich augenfällig darauf, die
       Opponenten in ein schlechtes Licht rücken zu wollen, eine Strategie, die
       zwar fragwürdig ist, aber sich per definitionem bestens für markante und
       fiese Sprüche sowie Schlagzeilen eignet. Stattdessen wiederholte Peer
       Steinbrück im Kanzlerkandidaten-TV-Duell wie ein Mantra, dass das Land
       „Richtung und Richtlinien“ brauche, was, nun ja, geradezu dafür
       prädestiniert ist, die Zuschauer aus ihren Polstermöbeln zu reißen und mit
       Tränen der Begeisterung in den Augen und erhobener Faust „Ja, genau!“ rufen
       zu lassen.
       
       ## Eine Steilvorlage für Merkel
       
       Währenddessen antwortet Angela Merkel auf die Frage, ob ihr Herausforderer,
       der sogar in der Öffentlichkeit geweint hatte, ihr in den vergangenen
       Wochen leidgetan habe – eine Steilvorlage, denkt sich der Zuschauer und
       freut sich auf ihre Reaktion –, nein, das habe Peer Steinbrück nicht nötig.
       Ja, wir haben uns alle lieb, sind zivilisiert, höflich und tolerant. Da
       wünscht man sich als Zuschauer beinahe Berlusconi auf die internationale
       Politikbühne zurück, den konnte man zumindest noch mit Leidenschaft hassen.
       
       Bei dieser Bundestagswahl wird nicht eine Partei, auch nicht ein
       Kanzlerkandidat, erst recht aber nicht eine Vision gewählt, sondern einfach
       das geringste Übel.
       
       Sieht so aus, als hielten sich die am 22. September zur Wahl Stehenden
       streng an Helmut Schmidt, der sagte: „Wer eine Vision hat, der soll zum
       Arzt gehen.“
       
       Zum Arzt wollen sie offenbar genauso wenig wie an die Regierung.
       
       3 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Gorelik
       
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       Art.