# taz.de -- Die Wahrheit: Tor zum Paradies
       
       > Unter der Uckermark brodelt es gewaltig: Warum in der Heimat der
       > Kanzlerin ein Pflaumenmus-Desaster drohen könnte.
       
 (IMG) Bild: Die Bohrungen im fruchtigen Boden könnten eine neue gewaltige Pflaumenmuseruption auslösen.
       
       Bernhard Köpke, ein munterer Mittsechziger im flotten beigefarbenen
       Freizeitblouson, begrüßt die Teilnehmer zu der Tour durch das
       Katastrophengebiet Uckermark. „Herzlich willkommen in der Krisenregion
       Schwemmpfuhl. Da vorne ist die Problemzone“, sagt er und deutet auf die
       Rauchschwaden, die an manchen Stellen hochsteigen. Die stark qualmenden
       Erdspalten galten deshalb schon den Kadern der SED als mystischer Ort –
       vermuteten sie dort doch den Eingang ins Paradies der Werktätigen.
       
       Unter der Erdoberfläche blubbert und brodelt eine blauschwarze Flüssigkeit,
       die kochendem Pflaumenmus ähnelt. Nicht nur ähnelt – es ist Pflaumenmus.
       „Das ist Pflaumenmus“, erklärt Köpke schmunzelnd, „schmeckt prima auf der
       Butterstulle.“ Doch so harmlos ist die Sache nicht – die enorme vulkanische
       Hitze, die das gewaltige unterirdische Vorkommen regelrecht aufkocht, ist
       Segen und Fluch der Uckermark. Bei kontrollierter Nutzung bedeutet die
       zähflüssige Masse eine Energiequelle der Zukunft auf
       Nachhaltigkeits-Weltniveau.
       
       Ein unkontrollierter Ausbruch des Pflaumenmus-Reservoirs jedoch könnte eine
       Katastrophe globalen Ausmaßes auslösen. Zwar sind an vielen Stellen
       Schilder angebracht, die vor dem Betreten der abgesperrten Bezirke warnen.
       Das Risiko eines Ausbruchs nimmt aber kaum jemand ernst. Vielmehr steigt
       die Bebauung in Gerswalde und der Nachbargemeinde Kaakstedt, selbst in der
       unmittelbaren Gefahrenzone sind Datschen entstanden, und am Rande des
       „Muspotts“, wie die Bewohner die Stelle scherzhaft nennen, lädt eine
       Wellness-Herberge zur Abenteuerübernachtung ein. Gratis Brotaufstrich
       inklusive.
       
       „Die Uckermark ist ein Gebiet von mehreren Hundert Quadratkilometern, wo es
       brodelt und zischt“, erklärt Professorin Gwendolyn Gershaw vom Plum
       Research Centre der Universität Oxford. Wer mit dem Flugzeug die Gegend
       überfliegt, erkennt eine erstaunlich unspektakuläre Kraterlandschaft, die
       von einem fruchtbaren grünen Teppich überzogen ist.
       
       Vor 24 Jahren erschütterte eine der stärksten Eruptionen der jüngeren
       Geschichte die Gegend. Der Vulkan schleuderte mehr als 25 Kubikkilometer
       Pflaumenmus in die Luft. Nachdem sich die Magmakammern entleert hatten,
       sank die ganze Gegend um mehr als einen Meter ab. Und die Stimmung der
       Anwohner gleich mit.
       
       Die Wissenschaftler um Prof. Gershaw vermuten, dieser Ausbruch habe das
       Ende der DDR eingeläutet. Die gewaltige Menge von Pflaumenpartikeln in der
       Atmosphäre minderte die Sonneneinstrahlung, sie führte zu einer
       Massenflucht aus der Region sowie erheblichen Veränderungen in der
       deutschen Parteienlandschaft. Gershaw bestätigt die Dramatik dieser
       Naturkatastrophe für die sozialistische Staatengemeinschaft: „Es ist
       durchaus wahrscheinlich, dass dieser Ausbruch zum Untergang des real
       existierenden Sozialismus beitrug.“
       
       Ob die Gegend aktuell von einem Ausbruch bedroht ist? „Das lässt sich
       leider nicht genau vorhersagen“, bekennt Forscherin Gershaw. Der
       Wissenschaftlerin aber ist klar: Schon eine viel kleinere Eruption als jene
       vor 24 Jahren würde nicht nur Berlin und Ostdeutschland unter einer
       meterdicken Pflaumenmusschicht begraben, sondern die gesamte menschliche
       Zivilisation auf eine harte Probe stellen.
       
       Doch die Furcht der Anwohner vor einem neuen Pflaumenmus-Desaster wächst
       seit Anfang des Jahres wieder. Im März 2013 hat das findige
       Energieunternehmen PlumPower mit Bohrungen in der fruchtigen Muttererde der
       Uckermark begonnen. Dabei geht es keineswegs darum, dem Ursprung der
       ungeheuren Pflaumenmusvorkommen auf die Spur zu kommen – es geht knallhart
       ums Geschäft.
       
       Unter dem Druck der Energiewende will das Unternehmen die Ressource nutzbar
       machen und in neuartigen Plaumenmus-Fusionsreaktoren in saubere und
       bekömmliche Energie umwandeln. Die Bewohner Kaakstedts protestierten gegen
       das Bohrprogramm – bisher ohne Erfolg.
       
       Die Wissenschaftlerin Gwendolyn Gershaw hält das Vorhaben indes für
       „ungefährlich, wenn nicht sogar sicher“. Sie meint, die Region könnte davon
       künftig profitieren. Und in einer Broschüre von PlumPower heißt es, aus den
       Nebenprodukten der Pflaumen-Reaktoren ließen sich noch zahlreiche wertvolle
       Produkte, wie etwa Kernseife oder Tütensuppen, herstellen. Das könnte für
       die leidgeprüften Bewohner dieses Landstrichs tatsächlich eine neue
       Perspektive und wirtschaftliche Zukunft schaffen.
       
       18 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rüdiger Kind
       
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