# taz.de -- Die Wahrheit: Der gelbe Kick
       
       > Ein neuer Trend beim Drogenmissbrauch greift immer weiter um sich:
       > Käse-Junkies schnüffeln bis zur Besinnungslosigkeit.
       
 (IMG) Bild: In illegalen Käse-Reifekellern werden die betäubenden Substanzen gezüchtet und an Süchtige verteilt.
       
       Als das Sondereinsatzkommando der Drogenfahndung im Memminger
       „Romadur-Stüberl“ eintrifft, schlägt den Beamten aus den düsteren
       Räumlichkeiten des Kellerlokals ein beißender Geruch entgegen. Es bietet
       sich ein Bild des Schreckens: mit glasigem Blick schnüffeln die
       Rotschmier-Junkies an ihrer überreifen Droge, die Hardcore-Fraktion gibt
       sich kurz vor ihrer Verhaftung noch schnell ein paar Happen des ekligen
       Suchtmittels. Anschließend müssen drei Käse-Abhängige sofort auf die
       Intensivstation eines nahe gelegenen Krankenhauses gebracht werden.
       
       „Ich bin ja einiges gewohnt“, berichtet der 32-jährige Drogenfahnder Frank
       Brunner, „aber das hier schlägt dem Fass den Boden aus. Das Elend all
       dieser menschlichen Wracks nimmt einem buchstäblich den Atem.“
       Käsemissbrauch ist ein brisantes Problem unserer überdrehten
       Konsumgesellschaft. Immer mehr Menschen steigen aus dem Hamsterrad ihres
       beruflichen Alltags aus, entziehen sich dem Leistungsdruck mit der Flucht
       in die Droge.
       
       Meist fängt es ganz harmlos an – hier mal ein kleines Gouda-Häppchen, da
       mal eine leckere Schnitte mit Ziegenfrischkäse. Alles noch ganz legal. Doch
       tausend Wege führen in die Drogenkarriere, hin zu den harten, illegalen
       Sachen. Hin zur totalen Abhängigkeit vom „weißen Gold“, zu körperlichem wie
       geistigem Verfall. Tragischer Endpunkt ist meist der „Goldene Schuss“ – die
       intravenöse Eingabe von hochgefährlichen Blauschimmelkulturen.
       
       Mit Käse ist nicht zu spaßen. Markus Denninghoff, Chef der Münchner
       Käsedrogenfahnder, nennt Käse schon das „Crack des 21. Jahrhunderts“. Das
       harmlos scheinende Milchprodukt hat dasselbe Suchtpotenzial wie die
       klassischen Volksdrogen Tabak und Alkohol. Doch es ist weit gefährlicher.
       Nicht umsonst hat die bayerische Staatsregierung den Verzehr und die
       Weitergabe von Käse mit gewaschener Rinde unter Strafe gestellt. Und wer
       schon einmal einen Reblochon-Junkie oder einen Munster-Schnüffler in
       flagranti beobachten konnte, weiß, dass dies keinen übertriebenen
       staatlichen Eingriff in die Freiheitssphäre des Einzelnen darstellt.
       
       Konsumenten eines überreifen, fast schon flüssigen Epoisses aus dem Burgund
       gefährden nicht nur sich, sondern auch ihre Mitbürger, wie ein Vorfall in
       Mainz unlängst zeigte, als die Anwohner eines nicht genehmigten
       Käse-Reifekellers von der Feuerwehr evakuiert werden mussten. Nach der
       Beschlagnahmung der Lagerbestände stellte sich den Behörden allerdings die
       Frage, was mit den übelriechenden Suchtstoffen geschehen sollte. Das
       Problem der Endlagerung ist ja weiterhin ungeklärt.
       
       Auffallend ist auch die soziale Divergenz im Konsum der milchigen
       Rauschmittel. Während sich Unterschichtsangehörige mit billiger
       Industrieware wie Schmelzkäsezubereitungen den (oftmals finalen) Kick
       geben, sieht die Sache bei den gebildeten Ständen schon ganz anders aus.
       
       Der gutsituierte Käse-Junkie vergreift sich natürlich nicht an Scheibletten
       aus der Plastikpackung, für ihn muss es handgeschöpfter Gratte-Paille vom
       ausgewählten Kleinbauern oder ein Vacherin direkt von der Sennerei sein.
       Die Schere zwischen Reich und Arm geht also auch beim Käsemissbrauch immer
       weiter auseinander.
       
       Quo vadis, Milchwirtschaft? Diese Frage stellt sich vor der bayerischen
       Landtagswahl mancher bäuerliche Kleinbetrieb, der durch die restriktive
       Käse-Gesetzgebung der Regierung kriminalisiert wurde und sich seiner
       Existenzgrundlage beraubt sieht.
       
       Bauer Edmund Hochleitner aus dem Ostallgäu, der in seinem Stall 48
       Milchkühe stehen hat, bringt die Sorgen seiner Standesgenossen auf den
       Punkt: „Heute verstehe ich die Lage der afghanischen Mohnbauern viel
       besser. Sie müssen Mohn anbauen, um zu überleben. Dass daraus eine Droge
       entsteht, ist schlimm, aber es geht nicht anders. So ist der Lauf der Welt.
       Wir Milchbauern sind in der gleichen Situation.“
       
       8 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rüdiger Kind
       
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