# taz.de -- Blockaden in Libyen: Mehr oder weniger Autonomie
       
       > Jenseits von Tripolis existiert der Staat meist nur auf dem Papier.
       > Ölhäfen und die Wasserzufuhr werden blockiert, um mehr Mitsprache zu
       > erreichen.
       
 (IMG) Bild: Im Ölkomplex von Brega im Osten des Landes. Hier fordern Föderalisten mehr Autonomie
       
       TRIPOLIS/BENGASI taz | Der Machtkampf in Libyen nimmt immer schärfere Züge
       an. Dies zeigt sich in wochenlangen Blockaden der Ölhäfen,
       Trinkwassermangel in der Hauptstadt Tripolis und Bombenanschlägen in
       Bengasi.
       
       Nur mit Mühe konnte Regierungschef Ali Zeidan seine Absetzung durch die
       Parlamentsabgeordneten verhindern, nachdem er am 6. September von einem
       Staatsbesuch bei Ägyptens Militärchef Abdul al-Sisi nach Tripolis
       zurückkehrte. Die an Zeidans Regierung beteiligte Partei der Muslimbrüder
       und der oberste Geistliche Sadiq Gariani forderten seinen Rücktritt.
       Offiziell werfen sie Zeidan Inkompetenz vor. Die politische Krise hat damit
       die Moscheen erreicht.
       
       Die Stimmung auf der Straße ist schon lange gereizt. Neben den regelmäßigen
       Stromausfällen mussten die Hauptstädter zehn Tage ohne Leitungswasser
       auskommen. Aufgrund der wochenlangen Blockaden der meisten Ölhäfen ist das
       Benzin knapp und „bald auch das Geld für die öffentlichen Angestellten“,
       kündigte Finanzminister Abdelkarim Kilani an. Neunzig Prozent der
       Staatseinnahmen werden durch Ölexport erwirtschaftet.
       
       Aus der vereinzelten Blockade einiger Ölterminals in der Provinz Cyreneika
       im Osten des Landes hatte sich Ende August eine landesweite Protestbewegung
       entwickelt. Die Beweggründe der Streikenden reichten von Lohnerhöhungen,
       Forderung nach Dezentralisierung bis zum Ende der grassierenden Korruption.
       
       ## „Jeder kann zurzeit machen, was er will“
       
       Die einflussreichen Stämme im Osten fordern mehr Mitsprache bei der
       Postenvergabe, da sie sich von Tripolis benachteiligt fühlen. Ihre Milizen
       bewachen die meisten Ölfelder und blockieren diese nun als Faustpfand für
       Verhandlungen mit Zeidan.
       
       „Libyen hat sechs Millionen Einwohner und ein Budget von 66 Milliarden
       Dinar im Jahr, Tunesien hat mit 10 Millionen Einwohnern ein Budget von
       knapp über 11 Milliarden. Trotzdem stehen praktisch alle staatlichen
       Großprojekte still. Es gibt weder eine funktionierende Polizei noch eine
       einheitliche Armee. „Ohne Öl gibt es zumindest weniger Korruption“, erklärt
       Föderalistenführer Ibrahim Jadran den Protest im Ölhafen Ras Lanuf. Er
       fordert unter anderem die Absetzung Garianis, der in den Föderalisten
       Kriegstreiber sieht.
       
       In Libyens größtem Exporthafen hatte die Jugendorganisation der
       Föderalistenbewegung vor drei Wochen die Autonomie der ölreichen Cyreneika
       ausgerufen. Die Idee entstand spontan in einem Café in Bengasi. „Jeder kann
       zurzeit machen, was er will“, sagt Ölingenieur Mohamed Elkish verwundert.
       Er kämpft ein paar Meter neben den Föderalisten ausschließlich für höhere
       Löhne.
       
       ## „Vereinigte Islamische Staaten“
       
       Außerhalb von Tripolis existiert der Staat meist nur auf dem Papier. Rund
       um Derna haben Islamisten gegen den Willen der Stämme die Kontrolle über
       ganze Landstriche übernommen. Sie sind gegen jede Autonomie Ostlibyens und
       streben die „Vereinigten Islamischen Staaten“ in Nordafrika an.
       
       Die mit den Milizen aus Misurata verbündeten Muslimbrüder stehen in den
       Augen vieler unter dem Einfluss ihrer Zentrale in Kairo. „Zusammen mit den
       Islamisten nutzen sie das Chaos in Libyen, um ihr islamisches Projekt von
       Syrien bis Marokko mit libyschem Ölgeld zu finanzieren“, meint Taxifahrer
       Mohammed.
       
       Wie wenig Einfluss die Regierung hat, zeigte die Entführung der Tochter von
       Gaddafis Exgeheimdienstchef Abdallah Senussi. Ihm soll am 19. September der
       Prozess gemacht werden. Nach einem Besuch bei ihrem Vater war die
       20-jährige Anoud Senussi ein halbes Jahr lang eingesperrt worden. Nach
       ihrer Entlassung durch einen Richter wurde sie von revolutionären
       Milizionären „zu ihrem Schutz“ nochmals entführt. Daraufhin sperrte der
       Magraha-Stamm der Senussis die aus der Sahara kommende Wasserversorgung für
       Tripolis. Nach Verhandlungen mit den Entführern, vom Staat bezahlten
       Milizen, und der Empörung vieler Bürger kam Anoud frei.
       
       „Die Stämme, die Islamisten und Föderalisten haben dazugelernt. Sie wissen
       nun, dass sie das Parlament und die Regierung mit Drohungen in ihrem Sinne
       beeinflussen können. Vor der Verfassungsdebatte wollen sie nun ihre
       Pfründen sichern“, sagt Jungunternehmer Geith Shennib aus Bengasi. „Libyen
       hat keine Polizei und keine Armee, der Moment ist für sie günstig.“
       
       18 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirco Keilberth
       
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