# taz.de -- Rassismus in Schweden: Ethnisches Register für Roma
> Die Polizei legte illegale Geheimlisten über Roma an. Das erinnert an die
> „Zigeunerinventur“ in Schweden während der des 2. Weltkriegs. Nun hagelt
> es Kritik.
(IMG) Bild: Auch als im Mai in Stockholmer Vororten Autos brannten, geriet die Polizei unter Rassismusverdacht
STOCKHOLM taz | Sara Håkansson ist zwei Jahre alt. Doch ihr Name steht mit
Geburtsdatum und Wohnort schon in einem Register der schwedischen Polizei.
Dort landete sie im Alter von drei Monaten. Auch ihre dreijährige Schwester
Miranda und Mama Sandra sind da zu finden.
In einem Stammbaum sind die genauen Verwandtschaftsverhältnisse ihrer und
vieler anderer Familien grafisch dargestellt. Über 4.000 Namen umfasst das
Register. Der alleinige Grund der Registrierung: Alle diese Menschen sind
Roma.
„Reisende“ heißt das Register, das die Polizei in der südschwedischen
Provinz Schonen angelegt hat. Es bedurfte keiner kriminellen Handlung oder
eines Verdachts, um registriert zu werden. Rund 1.000 der Registrierten
sind Minderjährige und 52 sind wie Sara erst zwei Jahre alt.
Das Register war geheim, bis die Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter am
Montag seine Existenz enthüllte. Am Dienstag berichtete die Zeitung über
ein weiteres ähnliches polizeiliches Roma-Register mit knapp 1.000 Namen.
„Warum registriert die Polizei mich und meine Kinder“, fragte Sandra
Håkansson, als sie von Dagens Nyheter informiert wurde. Die Frage wird nun
in Schweden von vielen Seiten gestellt, aber eine für Montagnachmittag
eilig einberufene Pressekonferenz der Polizeiführung von Schonen brachte
darauf keine wirkliche Antwort.
Auch weitere Informationen, zum Beispiel, das Register sei 2011 im
Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung und
Waffengebrauch erstellt worden und man habe „vergessen“, es zu löschen –
wurden schnell in Frage gestellt.
## Fragen weden abgeblockt
Laut Medienrecherchen soll es schon seit 2005 bestehen, sei von der
Polizeiführung abgesegnet und seitdem ergänzt und aktualisiert worden.
Polizeibehörden aus dem ganzen Land sollen darauf zugegriffen haben.
Weitere Fragen werden von der Polizei mittlerweile mit dem Hinweis auf ein
„laufendes Justizverfahren“ abgeblockt. Die Polizei in Schonen hat sich
wegen des Registers selbst angezeigt.
Ein ethnisches Register würde nicht nur gegen schwedisches Recht, sondern
auch gegen internationale Konventionen verstoßen, wie auch Premier Fredrik
Reinfeldt konstatierte. Fred Taikon, Herausgeber der Roma-Zeitschrift É
Romani Glinda, sieht einen „unglaublichen Rechtsbruch.“ Domino Kai, die in
der Regierungskanzlei an einer Studie über Roma arbeitete, hält die
Register für „reinen Antiziganismus“. Justizministerin Beatrice Ask und
Demokratieministerin Birgitta Ohlsson versprachen „lückenlose Aufklärung“.
Hans Caldaras, Sänger, Schauspieler und seit Jahren gegen die
Diskriminierung der Roma in Schweden engagiert, spricht von einem
„rassistischen Übergriff“: „Da denkt man spontan an 1942/43, als die
Polizei alle schwedischen Roma und Juden registrierte.“ Die Regierung hatte
damals eine „Zigeunerinventur“ angeordnet.
## Zwangssterilisation von Roma
Offiziell zu „statistischen Zwecken“, doch wie viele Historiker meinen, in
Erwartung einer deutschen Invasion und um der Gestapo die entsprechenden
Listen gleich zur Verfügung stellen zu können. Was die Behandlung von Roma
angeht, die seit 1999 in Schweden offiziell als Minderheitengruppe
anerkannt sind, hat das Land weitere Leichen im Keller: Zwischen 1914 und
1954 war ihnen verboten, nach Schweden einzureisen, viele wurden
zwangssterilisiert.
Wenn sich Schwedens Reichspolizeichef Bengt Svenson nun „verdammt sauer“
wegen des Roma-Registers zeigte, dann wohl auch, weil gegen die Polizei
erneut Rassismusvorwürfe laut werden. Die gab es schon im Frühjahr wegen
gezielter Kontrolle von Menschen mit „ausländischem“ Aussehen in der
Stockholmer U-Bahn im Rahmen einer Aktion gegen „Illegale“. Auch im
Zusammenhang mit den Vorortunruhen im Mai wurde die Polizei beschuldigt,
durch rassistisches Verhalten deren Ausbruch und gewaltsamen Verlauf
mitverschuldet zu haben.
24 Sep 2013
## AUTOREN
(DIR) Reinhard Wolff
## TAGS
(DIR) Schwerpunkt Rassismus
(DIR) Antiziganismus
(DIR) Roma
(DIR) Schwerpunkt Neonazis
(DIR) Segregation
(DIR) Sinti
(DIR) Schwerpunkt Rassismus
(DIR) Schwerpunkt Rassismus
(DIR) Schwerpunkt Rassismus
(DIR) Husby
(DIR) Stockholm
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Landesweiter Protest in Schweden: „Von Neonazi-Banditen tyrannisiert“
Nach dem brutalem Angriff auf eine Demonstration gibt es in Schweden eine
Protestwelle. Forscher warnen vor Neonaziterror wie in den 90er Jahren.
(DIR) Segregation in Schweden: Nachtwanderer auf Patrouille
Vor sechs Monaten brannten im Stockholmer Vorort Tensta Autos und Häuser.
Nun ist es dort, in der ersten Anlaufstelle für Einwanderer, wieder ruhig –
scheinbar.
(DIR) Die kleine Wortkunde: Sprachliches Gammelfleisch
Angeblich hat die Stadt Hannover das „Zigeunerschnitzel“ in der
Rathauskantine verboten. Dabei ging es nur um einen älteren Ratschlag.
(DIR) Kantinen-Kulinarik: Kein Appetit auf Rassenhass
Von Speisekarten der Kantinen Hannovers ist der Begriff „Zigeunerschnitzel“
verschwunden. „Verboten haben wir nichts“, sagt der Stadtsprecher.
(DIR) Diskriminierung von Roma: Universalismus auf französisch
Frankreichs Regierung schockiert durch antiziganistische Äußerungen. Die
EU-Kommission droht deswegen mit Sanktionen.
(DIR) Kommentar Roma-Register in Schweden: Verwurzelter Rassismus
Die schwedische Polizei erfasste jahrelang Daten von Roma und
kriminalisierte sie. Sowas hat in einem demokratischen Rechtsstaat nichts
verloren.
(DIR) Unruhen in Schweden: Verbrannte Träume
Die Risse in der Gesellschaft werden größer. Nirgendwo ist das deutlicher
zu spüren als in Husby, wo vor einer Woche die Unruhen begonnen haben
(DIR) Kommentar Unruhen in Schweden: Das Ende des Idylls
Die Auschreitungen in Husby haben sich auf andere Teile Stockholms
ausgedehnt. Die Jugendarbeitslosigkeit im Land liegt bei 24 Prozent.
(DIR) Brennende Autos in Stockholm: Aus Frust wird Gewalt
Seit Pfingsten werden im Stockholmer Vorort Husby jede Nacht Autos
angezündet. Dort sind 40 Prozent der unter 25-Jährigen arbeitslos.