# taz.de -- Debatte Vergessene Gleichstellung: Abschied vom Zombie
       
       > Familienministerin Schröder hat alles gegen Gleichstellungspolitik getan,
       > was sie konnte. Es ist Zeit für einen neuen Anlauf.
       
 (IMG) Bild: Gender Mainstreaming erschreckt ab und zu brave Familienväter
       
       „Danke, emanzipiert sind wir selber“. So heißt das Buch, das die baldige
       Ex-Frauenministerin Kristina Schröder in ihrer Amtszeit herausbrachte.
       Gleichstellungspolitik ist nicht mehr nötig, wollte sie suggerieren, Frauen
       brauchen keine Nachhilfe mehr. Der Feminismus war erfolgreich. Mehr noch:
       er habe sich totgesiegt.
       
       Diese Meinung teilen viele, aber längst nicht alle. Im Netz kursiert ein
       bemerkenswerter Aufruf verschiedener WissenschaftlerInnen, die genau das
       Gegenteil fordern: [1][„Gleichstellung jetzt]“, heißt es dort und es werden
       einige Punkte aufgezählt, bei denen es in Deutschland hapert. Schlechtere
       Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt, etwa, die zu Altersarmut führen
       können. Sie stellen aber auch die Frage, warum die Lebenserwartung von
       Männern um fünf Jahre geringer ist als die der Frauen.
       
       Die UnterzeichnerInnen fordern die Gleichstellung in allen Bereichen des
       Regierungshandelns. Alle Vorhaben sollen auf ihre Auswirkungen auf Männer
       und Frauen hin untersucht und bedacht werden, Gender Mainstreaming nennt
       man das. Ein regelmäßiger Bericht über die Fortschritte soll erstellt
       werden. Und ein Forschungszentrum für Gleichstellung wünschen sich die
       UnterzeichnerInnen, darunter viele WissenschaftlerInnen, die in diesem Feld
       arbeiten.
       
       Der Aufruf ist bemerkenswert, weil er auf eine Leerstelle in der Politik
       aufmerksam macht, die eigentlich schon einmal bespielt wurde. Schon 1999
       hat die Bundesregierung sich darauf festgelegt, bei all ihren Vorhaben die
       Wirkungen auf die Gleichstellung zu prüfen. Es wurde eine
       interministerielle Arbeitsgruppe gebildet, eine Forschungsstelle namens
       GenderKompetenzZentrum und alle Ministerien entwarfen Pilotprojekte, kleine
       und große.
       
       Das Wirtschaftministerium etwa bildete in seinem Jahreswirtschaftsbericht
       nicht mehr nur Männer ab, sondern auch Frauen. Das Innenministerium dagegen
       wollte sogar den gesamten Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes gendern.
       Im BAT nämlich hatten Gutachterinnen verzerrte Leistungsbeschreibungen bei
       verschiedenen Berufen gefunden. Die Folge war, dass einige männerdominierte
       Berufe generell höher bewertet werden, als solche, in denen viele Frauen
       arbeiten.
       
       Tempi passati. Die interministerielle Arbeitsgruppe wurde aufgelöst. Die
       Projekte versandeten. Gender Mainstreaming existiert nur noch als Zombie.
       Untot pilgert es von Zeit zu Zeit durch die konservativen Feuilletons und
       erschreckt brave Familienväter.
       
       ## Die Forschung ist uneindeutig
       
       Unterstellt wird diesem Wesen eine Menge. Die Frankfurter Allgemeine
       Sonntagszeitung witterte im Juni 2006 eine „politische
       Geschlechtsumwandlung“, die von Lesben vorangetrieben werde, die sich,
       anders als die „anderen Frauen“, übermäßig für Karriere und kaum für
       Familie interessierten. Der Spiegel meinte bald darauf, es solle hier die
       Identität von Jungen zerstört werden, eine Art Umerziehungslager dräue. Vor
       kurzem reihte sich Kolumnist Harald Martenstein ein: Im Zeit-Magazin
       stellte er klar, dass Mädchen und Jungen ja wohl unterschiedliche
       Interessen und Verhaltensweisen hätten. Die Genderistinnen würden die
       Forschung einfach nicht zur Kenntnis nehmen und stattdessen Gleichmacherei
       propagieren.
       
       Allerdings: Die Forschungslage ist nicht so eindeutig, wie Martenstein
       meint. In einer von ihm zitierten Studie gucken männliche Babies lieber
       Autos als Gesichter an, im Gegensatz zu den weiblichen. In anderen Studien
       aber, die Martenstein nicht zitiert, sehen sie doch lieber in Gesichter.
       Solche Geschlechter-Zuordnungen werden oft umso unklarer, je mehr Studien
       berücksichtigt werden, das hatdie Psychologin Cordelia Fine gezeigt.
       
       Darüber hinaus ist die Frage, was mit solchen Studien bewiesen werden soll.
       Denn Männer können Autos lieben und trotzdem auch noch ihre Kinder betreuen
       wollen. Für Harald Martenstein ist das offenbar undenkbar. Und noch eins
       bewirkt das verzweifelte Festhalten an starren Rollenbildern: alle
       Menschen, die in irgendeiner Form quer dazu stehen, Lesben, Schwule,
       Transgender und Intersexuelle – sie werden damit automatisch zu
       „Unnormalen“. Ausgeschlossen aus dem Reich der Heteronormativität.
       
       ## Männer, die mit Autos sprechen
       
       Man muss es heute offenbar immer wieder sagen: Es geht bei der
       Genderpolitik immer um das Erweitern, nicht ums Zerstören von
       Rollenbildern. Auch ist der Begriff der Freiheit wichtig: Frei sein, seine
       Persönlichkeit weiter zu entwickeln ist offenkundig etwas anderes als das
       Umerziehungslager, das Martenstein, Pfister und Zastrow da zu entdecken
       meinen. Das heißt: Männer, die sich weiter lieber mit Autos unterhalten
       wollen, sollen dies gerne tun – sie müssen sich dann aber nicht über
       einsilbige Gesprächspartner wundern.
       
       Ist Gender Mainstreaming tot? Schwer zu sagen. Klar aber ist, dass es nie
       ein umfassenderes politisches Instrument gab, um Geschlechterverhältnisse
       zu beschreiben und bewerten. Klar ist auch, dass Gender Mainstreaming ein
       passepartout ist für geschlechterpolitische Initiativen. Mehr Elternzeit
       für Väter, gleicher Lohn, eine Quote, all diese Vorhaben lassen sich ins
       Vokabular des „genderns“ übersetzen – oder eben nicht.
       
       Denn wenn der Rahmen, der Geschlechterpolitik einst erleichtern sollte, zu
       schwer ist, dann geht es natürlich auch ohne. Der Traum, dass alle einem
       Prinzip folgen und sich so die Geschlechtergerechtigkeit quasi von selbst
       herstellt, ist ausgeträumt.
       
       Durchgesetzt haben sich stattdessen eher Einzelinitiativen. Lohngleichheit,
       die Quote oder die gleiche Elternzeit für Väter und Mütter, das könnten die
       nächsten Projekte werden, die die Geschlechter voranbringen. Die
       WissenschaftlerInnen, die nun einen neuen Aufbruch in der
       Geschlechterpolitik fordern, haben das begriffen. Die Sache eines
       Geschlechterministeriums ist es nun, nach vier verlorenen Jahren den Ball
       wieder aufzunehmen.
       
       Und ja, das Ministerium gehört umbenannt. Es geht um mehr als
       Frauenpolitik. Es geht um Frauen und Männer. Die beide durchaus Schröder
       zitieren könnten, allerdings mit einem Zusatz: „Emanzipiert sind wir
       selber“ - und genau deshalb wollen wir eine neue Geschlechterpolitik.
       
       8 Oct 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://gleichstellung-jetzt.net/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heide Oestreich
       
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