# taz.de -- Theaterfilm bei Arte: Woyzeck im Wedding
       
       > Das Artifizielle und das Naturalistische: Zu Georg Büchners 200.
       > Geburtstag zeigt Arte eine „Woyzeck“-Filmfassung des Theaterregisseurs
       > Nuran David Callis.
       
 (IMG) Bild: Was kann Woyzeck (Tom Schilling) Frau und Kind bieten?
       
       Es ist noch immer ein Wagnis, das Artifizielle und das Naturalistische so
       miteinander zu verschränken, wie es sich der Regisseur Nuran David Calis in
       seiner Filmfassung von Georg Büchners Drama „Woyzeck“ traut. Kunstsprache
       in einem der Wirklichkeit abgeschauten Milieu; poetische Sentenzen über den
       Verlust der Wirklichkeit mitten unter den Müllsammlern in den Tunnels der
       U-Bahn; Figuren, die wie auf einem einsamen Zeitstrahl gereist erscheinen
       mitten in dem Gewimmel einer Einkaufsstraße.
       
       Wann hat man denn so etwas schon gesehen? In alten Fassbinderfilmen
       vielleicht? Eben wenn Theaterleute sich in den Film begeben.
       
       Der „Woyzeck“ von Nuran David Calis ist ein ungeheuer trauriger und
       bedrückender Film. Wie in Trance, wie in einer Blase voller Einsamkeit
       gefangen, bewegen sich Woyzeck (Tom Schilling) und seine Freundin Marie
       (Nora von Waldstätten) zwischen ihren Mitmenschen. Warum das bei Woyzeck so
       ist, das erklärt einerseits seine Geschichte: Er sammelt unter Tage mit
       zwei Kumpels den Dreck in der U-Bahn, er jobbt in einem Restaurant in der
       Küche, und er schluckt Pillen in einer medizinischen Versuchsreihe.
       
       Kein Wunder, dass er halluziniert, sich verlangsamt, seine Wahrnehmung sich
       verschiebt und er Stimmen aus dem Jenseits hört. Marie wiederum leidet an
       seiner Unerreichbarkeit. Aber wenn sie so voreinander stehen, gespannt und
       vibrirend von den Worten, die ungesagt bleiben, in ihrer engen Wohnung oder
       in einem Hinterhof, dann sieht man andererseits auch immer zwei
       Bühnenfiguren, die es hinausgeschleudert hat in eine vielfach beschleunigte
       Welt.
       
       ## Die Verbindung von klassischem Drama und Gegenwart
       
       Das Experiment, die Sprache und die emotionale Intensität der klassischen
       Dramen mit dem Gefühlshaushalt und den kulturellen Codes der Gegenwart
       zusammenzubringen, betreibt Nuran David Calis im Theater schon seit etwas
       mehr als zehn Jahren. Er hat mit Schülergruppen und jungen Leuten aus
       randständigen Stadtvierteln eigene Geschichten für die Bühne erarbeitet,
       Hiphop mit „Romeo und Julia“ verbunden, Migrationsgeschichten von mehreren
       Generationen gesammelt und Stoffe von Wedekind und Schiller mit sehr jungen
       Schauspielern umgesetzt.
       
       Das alles geschah auch unter dem Vorzeichen, das Disparate nebeneinander
       bestehender Welten zumindest durch Neugierde und ein teils auch naives
       Ausprobieren miteinander zu verketten. Es blieb aber ein Nebeneinander,
       eine Welt aus Fragmenten.
       
       In seinem Theaterfilm „Woyzeck“ setzt er diesen Weg fort und geht noch ein
       Stückchen weiter: Denn jetzt baut er eine geschlossene, ja sogar
       klaustrophobisch verengte Welt aus diesen Elementen. Sein Woyzeck, das ist
       white trash; die ihn schickanieren, die coolen Zuhälter, Religiösität
       heuchelnde Restaurantbesitzer, der mit Drogen handelnde Arzt, sind die
       Fürsten in einem mafiös organisierten Kiez.
       
       Gedreht wurde in Berlin-Wedding und tatsächlich hat Nuran David Calis
       diesen Ort bewusst gewählt. Weil er, der ob seiner migrantischen Herkunft
       aus einer armenisch-jüdischen Familie immer wieder in Diskurse um
       Minderheiten gesteckt wurde, einer der wenigen Regisseure mit
       Migrationshintergrund am Stadttheater, nun eine weitere Drehung suchte.
       „Ich brauchte einen Menschen, der eine Minderheit in einer Minderheit
       darstellt“, sagt er in der Arte-Information zum Film. „In Berlin-Wedding
       ist 'der Deutsche' in jeder Hinsicht in der Minderheit.“
       
       ## Büchners raue Seite
       
       Nuran David Calis will diesen Umstand zwar nicht werten. Aber natürlich
       nimmt die Erzählung des Woyzeck-Stoffs immer gegen dessen Peiniger ein. Es
       ist deshalb einfach, diese als Karikaturen der Repräsentanten
       gesellschaftlicher Macht zu stilisieren, was viele Theaterinszenierungen
       auch tun. Aber so einfach lässt Calis seine Zuschauer nicht davonkommen.
       
       Die Produktion gehört zu einem Büchnerkulturprojekt, für das der 200.
       Geburtstag des Dichters und Dramatikers am 17. Oktober Anlass ist. Leicht
       macht es sich Arte mit dieser Büchner-Verfilmung nicht, eher bringt sie das
       Raue, sich quer zum Konsens Stellende des Dichters wieder in Erinnerung.
       
       14 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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