# taz.de -- Eurokolumne: It’s Europe, stupid
       
       > Erst wenn die Arbeitslosigkeit überwunden ist, werden die Menschen Europa
       > als legitimes Zuhause erfahren. Das hat Deutschland noch nicht
       > verstanden.
       
 (IMG) Bild: Wir brauchen für die Überwindung der Arbeitslosigkeit in der EU keinen brain drain nach Deutschland: Straßenszene in Madrid.
       
       Aufgrund seines großen wirtschaftlichen Gewichts trägt Deutschland für die
       Zukunft der Europäischen Union eine außerordentliche Verantwortung. Dem ist
       die deutsche Politik in den vergangenen Jahren jedoch nicht gerecht
       geworden. Hier sind dringend neue Initiativen fällig, mit denen das Land
       nicht nur den kurzfristigen deutschen, sondern den europäischen und damit
       zugleich den wohlverstandenen langfristigen deutschen Interessen gerecht
       werden muss.
       
       Dies im Geiste von Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der in seiner
       Amtszeit die deutsche Nachkriegstradition geradezu klassisch bekräftigt
       hat: Danach gibt es prinzipiell keinen Gegensatz zwischen den deutschen
       nationalen Interessen und denen seiner europäischen Nachbarn, weil sowohl
       die Lehren der Vergangenheit als auch die grenzüberschreitenden
       Herausforderungen der Zukunft eine enge demokratische Integration der
       europäischen Union erfordern.
       
       Hier kommt es zunächst darauf an, zur Erhaltung eines
       gemeinschaftsstiftenden Euro demokratische Verfahren für die gemeinsamen
       politischen Entscheidungen zu entwickeln, die es den Bürgern in Europa
       ermöglichen, die Union als legitimes, wirtschaftlich, sozial und kulturell
       erfolgreiches Zuhause zu erfahren. Bürgernähe, Legitimität und
       Gerechtigkeit gehören zusammen und erfordern zugleich Solidarität, die
       nicht als Einladung zur Verantwortungslosigkeit diffamiert werden darf.
       
       Vordringlich ist dabei die Überwindung der Arbeitslosigkeit vor allem in
       Südeuropa. Sie muss schnell erfolgen. Dazu brauchen wir Wachstum, das zudem
       am ehesten die Chance für eine erfolgreiche Überwindung der Staatsschulden
       bietet. Sparen allein reicht nicht aus, verschlimmert die Schuldensituation
       sogar. Zugleich muss diese Politik nachhaltig erfolgen.
       
       Als Gerhard Schröder im März 2003 seine Agenda 2010 vorlegte, kündigte er
       als Erstes ein öffentlichen Investitionsprogramm von 20 Milliarden Euro an
       – allein für Deutschland. Ein zweiter Pfeiler war die Aufgabe der
       Sozialpartner, ihre Rollen verantwortlich wahrzunehmen. Deshalb gab es
       keine Aufhebung des Kündigungsschutzes, sondern die Verpflichtung der
       Sozialpartner, in unvermeidlichen Fällen gemeinsam über Kündigungen zu
       beschließen. Und die Aufforderung an die Arbeitgeber, Übergangslösungen wie
       Leiharbeit nicht als Strategien zur Kostenersparnis zu missbrauchen.
       
       Wir brauchen für die Überwindung der Arbeitslosigkeit in der EU keinen
       brain drain nach Deutschland, sondern gemeinsam beschlossene
       Investitionsprogramme, die über europäische Kredite finanziert werden, für
       die auch europäisch gehaftet wird. Um Strohfeuer und Bauruinen zu
       vermeiden, sollten zwei Felder Vorrang haben: Bildung und eine
       integrierende, zugleich Kosten sparende europäische Energie-Infrastruktur
       für den Klimaschutz.
       
       Bildung braucht Zeit für den Erfolg, aber LehrerInnen kann man schnell auf
       allen Ebenen einstellen. Sie sind in großer Zahl vorhanden, neben
       Strukturreformen – etwa für eine erfolgreiche duale Ausbildung – auf jeden
       Fall notwendig; und wären für die Binnennachfrage schnell wichtige
       Konsumenten.
       
       Schwieriger sind Einigungen für eine Energieinfrastruktur in Europa, zumal
       wichtige Nachbarn weiter auf Atomenergie setzen, um das Klima zu schützen.
       Hier können und müssen wir intensive, grenzüberschreitende Gespräche
       miteinander beginnen, wofür auch deutsche Initiativen, nicht zuletzt aus
       der Zivilgesellschaft zusammen mit Vertretern des Unternehmenssektors, der
       Politik und der Wissenschaft, erforderlich sind. So könnten wir die immer
       wieder geforderten Reservekraftwerke und subventionierte Kapazitätsmärkte
       sparen, die für sonnen- oder windfreie Stunden die Versorgung sichern
       sollen. Wenn wir europäisch vernetzt sind, lässt sich besser ausweichen.
       
       Viel ist zu tun, viel ist möglich, wenn wir die Verengung auf kurzfristige
       deutsche Interessen überwinden. Die Sozialdemokratie könnte hier an eine
       lange Tradition anknüpfen.
       
       4 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gesine Schwan
       
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