# taz.de -- Kolumne Macht: Staatliche Choreografie
       
       > In Kairo beginnt am Montag der Prozess gegen den gestürzten Präsidenten
       > Mohammed Mursi. Und die Revolutionäre sind verstummt.
       
 (IMG) Bild: Steht ab Montag in Kairo vor Gericht: Ägyptens Ex-Präsident Mohammed Mursi.
       
       Wo sind eigentlich all die netten, ägyptischen Demokratinnen und
       Demokraten, die mit guten Englischkenntnissen und freundlichem Lächeln vor
       zweieinhalb Jahren die Welt für sich eingenommen hatten? Derzeit ist von
       ihnen wenig zu hören und zu sehen. Stattdessen ist von Ägypten in der
       deutschen Fernsehwerbung die Rede. Man kann offenbar wieder reisen: „So
       günstig wie noch nie.“
       
       Millionen Ägypter hatten darauf verzweifelt gewartet. Seit der Revolution
       von 2011 gegen Husni Mubarak hatten sie ihre Familien nicht mehr ernähren
       können. Vermutlich werden die meisten von ihnen jetzt den Tag segnen, an
       dem das Militär wieder die Herrschaft übernommen hat.
       
       Reiseveranstalter interessieren sich nicht für politische Moral, das ist
       nicht ihr Job. Sie wollen nur wissen, ob die Lage sicher und stabil ist. Es
       kann kaum ein deutlicheres Zeichen dafür geben als diese Fernsehwerbung in
       Deutschland, dass die Militärmachthaber die Lage unter Kontrolle gebracht
       haben.
       
       Fast alle Rechte, die während des „arabischen Frühlings“ erkämpft worden
       waren, gelten nicht mehr. Leute, die Kritik an den Verhältnissen äußern,
       riskieren damit heute mehr als zu Zeiten von Husni Mubarak, der als
       Diktator aus dem Amt gejagt wurde.
       
       ## Sie waren mal friedlich
       
       Die Muslimbrüder, die in demokratischen Wahlen an die Macht gekommen sind
       und undemokratisch regiert haben, werden als Terroristen gebrandmarkt – und
       viele in ihren Reihen, die ursprünglich friedlich waren, sind inzwischen
       tatsächlich gewalttätig.
       
       In der nächsten Woche beginnt der Prozess gegen den gestürzten Präsidenten
       Mohammed Mursi. Unter ähnlichen Vorzeichen und mit ähnlichen Vorwürfen wie
       gegen seinen Amtsvorgänger Mubarak: Er soll persönlich für den Tod von
       Demonstranten verantwortlich gemacht werden. Vielleicht zu Recht,
       vielleicht zu Unrecht. Die Parallelen sind nicht zufällig, sondern von den
       staatlichen Choreografen gewünscht.
       
       Ein 30-jähriger Umweltingenieur, zehn Jahre lang mit hohem persönlichem
       Risiko in der ägyptischen Demokratiebewegung aktiv, sagt, er habe gewusst,
       was er tat, als er im Sommer gegen die islamistische Regierung
       demonstrierte: „Ich wusste, dass ich damit die Armee legitimierte,
       Muslimbrüder umzubringen. Vielleicht war das nicht allen Demonstranten
       klar, aber ich habe das gewusst. Ich habe mir das nicht leicht gemacht.
       Aber hätte ich andere die Drecksarbeit tun lassen sollen?“
       
       ## Kein Vertrauen
       
       Seine Angst vor einer vollständigen Auflösung jedes staatlichen Regelwerks
       sei noch größer gewesen als die Furcht vor dem Militär. Eine junge
       Kommunistin sagt: „Natürlich vertrauen wir den Streitkräften nicht. Aber
       sie haben in den letzten Jahren verstanden, dass sie nur dann öffentliche
       Unterstützung bekommen, wenn sie nicht mit eiserner Hand regieren.“ Kann
       sie das belegen? Nein.
       
       Ist das demokratische Experiment in Ägypten endgültig gescheitert? Eine
       61-jährige Journalistin in Kairo widerspricht nachdrücklich und
       eindrucksvoll. Sie zitiert einen befreundeten britischen Historiker, der
       gesagt habe: 1851 hätte man auch vermuten können, die Revolution von 1848
       sei gescheitert. Und im langen Rückblick habe sich herausgestellt: „Wir
       alle stehen auf den Schultern dieser Revolution.“
       
       Was für eine ermutigende Äußerung. Sie wäre noch beglückender, wenn man
       nicht wüsste, dass die Journalistin massiven Bedrohungen ausgesetzt ist.
       Einfach deshalb, weil sie öffentlich erklärt hat, dass man Muslimbrüder
       nicht wie Tiere behandeln sollte.
       
       2 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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