# taz.de -- Kinofilm „Computer Chess“: Scheinbar harmlose Nerds
       
       > Schachprogramme, Techniknerds und New-Age-Freaks: In Andrew Bujalskis
       > Film leben die frühen 80er Jahre in kontrastarmen Videobildern wieder
       > auf.
       
 (IMG) Bild: Ästhetisch gelungen: Patrick Riester spielt den Nerd Peter Bishton im Film „Computer Chess“.
       
       Dieser Film handelt vom Charme unterentwickelter Stadien des heute
       Dominanten und Allgegenwärtigen: Computer, Algorithmen, Videokameras,
       Nerds, Geeks und Therapiekultur erscheinen als ihre bizarr vertrottelten
       somnambulen Vorfahren. Nicht nur charmant, sondern auch scheinbar harmlos –
       das hier Gezeigte verhält sich zur Gegenwart des entwickelten
       Datenkapitalismus wie ein Dorfschmied zur Panzerfabrik.
       
       Auch die oft gehörten heroischen Vorgeschichten des digitalen Zeitalters in
       kalifornischer Ideologie, Raumfahrt, Zweitem Weltkrieg und Macy-Konferenzen
       werden hier nicht erzählt, sondern das Treiben hässlicher Sonderlinge in
       einem Hotel der unteren Mittelklasse in den frühen 80er Jahren wird vor den
       Augen einer schlierigen, leicht stotternden Umatic-Kamera auf
       schwarz-weißen Videobildern ausgebreitet.
       
       In den Konferenzräumen des Hotels treffen sich dick bebrillte und
       topffrisierte Abgesandte diverser Elite-Unis und Forschungsteams, um sich
       mit ihren jeweils neuesten Schachprogrammen aneinander zu messen; dem
       Sieger winkt ein Spiel gegen einen Menschen, den Professor, der das alles
       veranstaltet hat und seit Jahren eine Wette anbietet, gegen auch das beste
       Programm zu gewinnen.
       
       In der Wirklichkeit gab es einen Großmeister David Levy, der diese Wette
       anbot und bis 1988 stets gewann. Vielleicht war im Film der 1978er
       Wettbewerb gemeint, der in Toronto stattgefunden hat: Ein genaues Datum
       erfahren wir nicht; der Look der frühen 80er – und das ist ein Trick des
       Films – ist nicht wirklich verlässlich: denn das hier sind Nerds, und die
       sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht in ihrer Gegenwart
       leben, sondern einerseits im Paralleluniversum der Trotteligkeit, mithin
       Unkenntlichkeit und Indifferenz, andererseits in der Zukunft.
       
       ## Die Weirdness des Mittels
       
       Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der durch eigensinnige Indie-Filme
       wie „Beeswax“ bekannt gewordene Andrew Bujalski einfach die Weirdness
       seines Sujets, die aus Zeit und Welt gefallenen Sonderlinge, mit der
       Weirdness eines obsoleten technischen Mittels verdoppeln will. Jedes Bild,
       das man heute auf Umatic in Schwarz-Weiß dreht, sieht wahrscheinlich aus
       wie eine Konferenz von Nerds, selbst wenn es in Wirklichkeit eine Szene aus
       einem Miley-Cyrus-Video ist.
       
       Der Einfall mit Umatic wäre so gesehen tautologisch. Aber die anfänglich
       angetäuschten Lektüre-Angebote Lebensunfähigkeitslächerlichkeit und
       groteske Männerkörperlichkeit werden nicht nur durch Exemplare scheinbar
       gelungener, konventioneller Virilität durchbrochen: Einer der Entwickler
       ist ein eigensinniger Abenteurer, der sich seine Experimente mit
       Drogenhandel finanzieren will und im immer traumlogischer sich aus jeder
       Realität wegbewegenden Verlauf der Geschichte sogar in die einzigen kurz
       aufblitzenden Farbbilder hineingerät.
       
       ## Die Nerds treffen auf eine Psycho-Sekte
       
       Neben den Nerds hat nämlich noch eine andere Gruppe das Hotel für
       gemeinsame Vorhaben gebucht: eine Psycho-Sekte samt Guru. Sie markiert
       gewissermaßen die andere Hälfte des Großkomplexes kalifornische Ideologie
       im Lächerlichkeitsstadium. Auch ihr halbes falsches Bewusstsein beansprucht
       Multifunktionsräume für Rituale aller Art und am besten sind die
       Begegnungen der beiden Hirnhälften: etwa, wenn ein aufgekratztes
       Swinger-Psycho-Paar einen zarten, jungen Nerd zum flotten Dreier verführen
       will.
       
       Hier schnurren die Kunstgriffe auf der Ebene der Schauspielerführung
       (Verlangsamung), die altfernsehhafte Nähe des Videokamerablicks und ein zum
       Zehennägeleinrollen fatal vor sich hin glucksender Dialog zu einem
       hochverdichteten Peinlichkeitsknall zusammen. Der Nerd flüchtet mit
       Warp-Faktor zehn, im Wegwischbild als unerwarteter Highspeed-Effekt der
       eben noch lethargischen Kamera.
       
       Solche benennbaren Plot-Elemente sind aber in der Minderheit gegenüber dem
       leisen, schüchternen, flüsternden, aber beständigen Gemache der
       Computerexperten an ihren Gerätschaften aus dem Technikmuseum. Hin und
       wieder müssen die schweren Konstruktionen auch über Hotelflure geschoben
       werden und wie bei „The Shining“, „Barton Fink“, „Sturm der Liebe“ und
       anderen Hotel- und Apartmentfilmen wird auch in „Computer Chess“ das Gefühl
       bedient, hinter jeder Zimmertür befinde sich ein unerträglich grausiger,
       blasphemisch hässlicher Abgrund – doch da haust nur ein Haufen Siamkatzen,
       die ohne nähere Erklärung den Film in immer größerer Zahl bevölkern, als
       hätte man David Lynch um eine Ausstattungsidee gebeten.
       
       ## Obsolete Technologien
       
       Ob am Ende der Professor oder die mit viel Liebe gewarteten Maschinen
       triumphieren, wird schließlich völlig egal. Denn uns soll hier keine
       Geschichte erzählt werden, eher sind wir in eine kinematografische Antwort
       auf den Musiktrend des vorvorletzten Jahres „Hypnagogic Pop“ geraten: ein
       schwelgerisches Sichausliefern an die obsoleten Technologien der eigenen
       Kindheit und Jugend, ein Gedächtnis, das nicht in Ereignissen, Bildinhalten
       und französischen Keksen sitzt, sondern in den entsorgten medialen
       Standards von einst und der Unvollkommenheit ihrer Aufzeichnungsleistung.
       
       Bujalski ist nicht nur das Paradox gelungen, eine historische Stimmung sehr
       präzise zu umreißen, er hat auch die womöglich letzten Vertreter einer
       Menschheit rekonstruiert, die Gründe hatten, sich in der Konstruktion von
       Technologien selbst verwirklichen zu wollen, weil sie hoffen konnten, dass
       die Maschinen und die Menschen im gleichen Sinne historisch sind: Sie
       stottern, schlucken und verhaspeln sich noch mit derselben
       Ungeschicklichkeit.
       
       6 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diedrich Diederichsen
       
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