# taz.de -- Kolumne Wutbürger: Ein Platz hinter dem Mond
       
       > Menschen mit Sitzplatzreservierungen planen auch ihren Geschlechtsakt.
       > Doch aufregen hilft nicht, in der Vertreibung liegt auch eine Chance.
       
 (IMG) Bild: Entschuldigung, das ist doch Wagen 23, Platz 66?
       
       Reisen ist der Ausbruch aus der Banalität des Alltags. Der Aufbruch in die
       Ferne, in der man den süßen Duft der Freiheit atmet. Der Moment, in dem man
       sich von den Normen löst, die uns die meiste Zeit über einzwängen wie ein
       Korsett. Es sei denn, man trifft auf Menschen, die über eine
       Platzreservierung verfügen.
       
       Dann nämlich passiert dies: Ein überfüllter Zug. Passagiere zwängen sich
       wie Herdentiere durch die Gänge, immer in der Hoffnung, nicht versehentlich
       für einen Koffer gehalten zu werden, der in der Gepäckablage landet. Wenn
       Sie mich bitte durchlassen könnten. Moment, Sie sehen doch, dass ich nicht
       weiterkomme. Ist das eng hier! Entschuldigung, ist das Ihr Knie?
       
       Und irgendwann, wenn sich alles zurechtgeruckelt hat, jeder sitzt, wo ihn
       das Leben hingespült hat, kommt immer einer und sagt: Entschuldigung, Sie
       sitzen auf meinem Platz. Das ist doch Wagen 23, Platz 66?
       
       Ich verstehe natürlich, dass sich eine vierköpfige Familie ungern über
       einen ICE verteilen möchte. Aber Menschen, die allein reisen und sich
       vorher am Schalter eine Sitzplatzreservierung besorgt haben, verhalten sich
       wie Leute, die auch den Termin für den nächsten Geschlechtsakt in ihren
       Kalender eintragen. Sie wollen Planungssicherheit. Immer.
       
       Doch so läuft das nicht, Freunde des Zug- und Geschlechtsverkehrs. Macht
       die Chance des Augenblicks zu eurem Verbündeten und behandelt sie nicht wie
       einen Aussätzigen. Nur dann ist möglich, was mir neulich passierte, nachdem
       ich auf dem Weg nach Köln meinen Sitzplatz hatte räumen müssen. Weil
       wirklich jeder Platz in der zweiten Klasse samt Bordrestaurant besetzt war,
       öffnete mir eine reizende Schaffnerin die erste Klasse. So landete ich an
       einem Tisch mit Beinfreiheit bis Südspanien. Mir gegenüber eine schöne
       Frau. Versonnen blickte ich aus dem Fenster und stellte mir dabei vor, wie
       auf Platz 66 und 68 in Wagen 23 im Takt des Zuges die Knie gegeneinander
       stießen.
       
       8 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kai Schächtele
       
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