# taz.de -- Zeitmanagement im taz-Test: Zwischen Schlafen und Wachen
       
       > Wer produktiver sein will, verzichtet auf Schlaf. Das bringt mehr Zeit,
       > macht aber auch ein wenig bekloppt. Ein Selbstversuch am Rande des
       > Wahnsinns.
       
 (IMG) Bild: So müde wie die Mutti: polyphasischer Schlaf bringt mehr Wachzeit – und schlaucht ganz schön.
       
       Alles eine Frage der Zeit: Wer Großes schaffen will, braucht viel davon.
       Von genialen Köpfen weiß man, dass sie meist nicht alle Tassen im Schrank
       hatten. Sie gaben sich ihrer Genialität hin und vergaßen darüber alles
       andere. Genies verzichteten auf Gesellschaft, auf die Liebe, ja, sogar auf
       Schlaf. Leonardo da Vinci soll ständig wach gewesen sein, um zu forschen.
       Napoleon Bonaparte verzichtete für große Schlachten auf Schlaf. Rainer
       Werner Fassbinder für den Film. Er könne noch genug schlafen, wenn er tot
       sei, sagte der Regisseur. Und segnete zeitig das Zeitliche.
       
       Denn Schlaf ist lebenswichtig. „Sobald wir schlafen, regenerieren wir
       unsere Körper“, sagt Schlafforscher Dr. Hans-Günter Weeß vom Pfalzklinikum
       in Klingenmünster. Zellen wachsen, Wunden heilen schneller. „Im Schlaf
       werden Informationen, die wir in der Wachphase erworben haben,
       abgespeichert oder wieder verworfen.“ Dafür verpennen wir ein Drittel
       unseres Lebens.
       
       So liegt es in unserer Natur. Bei Dunkelheit wird das Hormon Melatonin
       produziert, das uns für durchschnittlich acht Stunden schlafen lässt. Nur
       wird es gerade in Metropolen nicht mehr dunkel. In Las Vegas, der Stadt,
       die niemals schläft, entschloss sich der Autor Steve Pavlina zu einem
       Experiment: Er stellte seinen Tag-Nacht-Rhythmus auf den sogenannten
       Uberman Sleep um.
       
       ## Nur zwei Stunden Schlaf
       
       Dabei handelt es sich um einen polyphasischen Schlaf. Alle vier Stunden
       legt der Uberman Sleeper ein zwanzigminütiges Nickerchen ein, Tag und
       Nacht. So wird der Schlaf auf zwei Stunden pro Tag reduziert. Etliche
       Genies sollen dadurch täglich sechs Stunden mehr Wachzeit für ihr Schaffen
       gehabt haben: Thomas Edison und Nikola Tesla. Benjamin Franklin und Winston
       Churchill. Bruce Lee.
       
       In Wirklichkeit ist der Uberman Sleep Kinderkram: Säuglinge schlafen
       mehrphasisch, gesteuert durch ihr Hungergefühl. Erst später wird es durch
       den Hell-Dunkel-Rhythmus abgelöst. Polyphasisches Schlafen ist also
       natürlich. Die Fachleute raten trotzdem ab. „Statistiken haben ergeben,
       dass Schichtarbeiter über vierzig schon nach kurzer Zeit unter dem
       verschobenen Schlafrhythmus leiden“, sagt Weeß. Der Entzug macht krank:
       Bluthochdruck, Diabetes, Schlafstörungen. „Für einen Zeitgewinn seine
       Gesundheit über den Haufen zu werfen, ist Quatsch“, sagt Weeß.
       
       Steve Pavlina zog den Polyschlaf trotzdem durch. In seinem Blog beschreibt
       er, wie schwer ihm die Umstellung gefallen ist. Nach ein paar Tagen aber
       folgte eine Euphoriewelle, die der Wissenschaft wohl bekannt ist. „Die
       wichtige Phase des REM-Schlafs setzt bei den meisten Leuten erst nach etwa
       neunzig Minuten ein“, sagt Weeß. „Wer diese Phase auslässt, fühlt sich zwar
       müde, aber euphorisch.“ Stark depressive Menschen würden darum mit
       therapeutischem Schlafentzug behandelt.
       
       So weit die Theorie. Seit vier Tagen teste ich den Everyman Sleep aus.
       Vielleicht sind es auch schon fünf Tage, die Grenzen verschwimmen. Der
       Everyman Sleep ist die Lightversion des polyphasischen Schlafs. Sie lässt
       mich das müde High und den Zeitgewinn nachvollziehen, ohne den Zugang zur
       Tag-Nacht-Realität zu verlieren. Ich verknappe meine Nachtruhe auf drei
       Stunden und versuche das Defizit mit drei Nickerchen am Tag auszugleichen.
       Macht drei, vier Stunden mehr Zeit zum Lesen, Kücheputzen, Joggen – und
       darüber hinaus ein bisschen bekloppt.
       
       ## Mehr Zeit, mehr Arbeit
       
       Immer häufiger höre ich mich kichern. Mal wegen der wirren Gedanken, so
       flüchtig wie ein Traum, an den man sich gern besser erinnern würde. Mal
       wegen der Einschlafzuckungen kurz vorm Wegtreten. Sie jagen für eine Minute
       den Ruhepuls in die Höhe und verursachen beim Frühstück hässliche
       Kaffeeflecken auf der Hose.
       
       Man muss für polyphasischen Schlaf geschaffen sein. Ich bin es nicht. Dabei
       waren die Voraussetzungen gar nicht schlecht: Als Selbstständiger teile ich
       mir meine Zeit frei ein. Und in einer Stadt wie Berlin einen Tag länger
       wach zu feiern als werktags üblich, ist mir auch nicht neu. Was ich nicht
       beherrsche, ist der Mittagsschlaf. Als Kind habe ich ihn gehalten, damit
       ich abends ein bisschen länger aufbleiben durfte. Mittlerweile darf ich das
       auch so. Die Polynickerchen machen mich noch müder.
       
       Schließlich stelle ich fest, dass ich mit meiner geschenkten Zeit nichts
       anfangen kann. Weil nichts ermüdender ist als Langeweile, ertappe ich mich
       dabei, die Freizeit für Arbeit zu nutzen. Die ganze Mühe, um Überstunden zu
       schieben? Ich hätte mir eine Aufgabe suchen sollen.
       
       ## Zombie im Standbymodus
       
       So wie Pavlina. Um den Uberman durchzuhalten, schrieb er viel und zog durch
       die Casinos. Nachts beobachtete er seine Familie in ihrer
       winterschlafähnlichen Bewusstlosigkeit, tagsüber nahm er das verschobene
       Bewusstsein seiner selbst wahr. Der Preis des Zeitgewinns war hoch: Zwar
       wurde er nicht krank, dafür aber sozial untauglich. Unter dem Druck, alle
       vier Stunden schlafen zu müssen, sah er sich gezwungen, auch im Wachzustand
       immer an den Schlaf zu denken. Plötzlich wird der Tag nicht länger, im
       Gegenteil. Er verkürzt sich auf Vier-Stunden-Fenster. Nach einem halben
       Jahr bricht Pavlina das Uberman-Experiment ab.
       
       Ein Gesundheitsrisiko durch polyphasischen Schlaf ist nicht bekannt. Für
       Langzeitstudien haben sich nie genug Probanden gefunden, die verrückt genug
       sind, den Uberman auszuprobieren. Ich kann das verstehen. Vier Tage haben
       gereicht. Ich genieße lieber die wachen Stunden, in denen ich ausgeschlafen
       bin, statt wie ein Zombie 22 Stunden am Stück im Standbymodus vor mich hin
       zu vegetieren. Eine traurige Erkenntnis brachte mein Experiment allerdings
       auch. Ein Genie bin ich nicht.
       
       17 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Brandstädter
       
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