# taz.de -- Protest gegen Frankreichs Regierung: Rotkäppchen auf den Barrikaden
       
       > Es begann als Protest gegen die Lkw-Ökosteuer. Jetzt wüten die Bürger im
       > ganzen Land gegen die Regierung. Ihr Markenzeichen: Eine rote Mütze.
       
 (IMG) Bild: Lodernde Wut:Die Bretonen haben Angst, dass die geplante Maut noch mehr Arbeitsplätze kosten wird
       
       CARHAIX taz | Niemand in Carhaix im Herzen der Bretagne hat den Aufstand
       der Bauern und Handwerker von 1675 vergessen, der als Bewegung der „Bonnets
       rouges“ (Roten Mützen) gegen eine Stempelsteuer des Sonnenkönigs in die
       Geschichte einging. Im historischen Zentrum, gleich hinter dem Rathaus hat
       Matthieu Guillemot sein Restaurant mit dem bretonischen Namen „Ar bonnedù
       ruz“ („Les bonnets rouges“).
       
       Hier, wo neben Holzofenpizza auch ausgezeichnete bretonische Spezialitäten
       serviert werden, hängen die Regionalistenfahnen der Basken, Korsen,
       Katalanen und selbstverständlich jene der Bretagne. An der Wand, wie
       Relikte aus der Revolte des 17. Jahrhunderts, zwei Heugabeln und eine rote
       Mütze.
       
       Es könnte das Hauptquartier der heutigen Rotmützenbewegung gegen Pariser
       Steuerzwänge sein. „Zu viel der Ehre“, meint der 37-jährige Guillemot. Doch
       ganz falsch ist die Vermutung nicht, denn der Trotzkist mischt in jeder
       freien Minute beim Protest gegen die Lkw-Maut und die Betriebsschließungen
       mit.
       
       Dass die extreme Linke bei ihren Kundgebungen neben bretonischen
       Arbeitgebern und dem Bauernverband marschiert, stört ihn nicht. Die hiesige
       Solidarität verwischt sonst gängige politische und wirtschaftliche
       Trennlinien.
       
       „Der Bretone ist von Natur aus kein Rebell, man muss ihn schon lange plagen
       und provozieren. Aber wenn er die Ungerechtigkeiten zu lange hinnehmen
       muss, steht er schließlich auf und sagt Nein“, beschreibt Christian
       Troadec, Bürgermeister von Carhaix, seine Landsleute.
       
       ## Es geht um mehr, es geht um die Bretagne
       
       Und genau das ist mit der Einführung einer „Ökosteuer“ für den
       Schwerverkehr geschehen. Sie hat ihm zufolge das Fass zum Überlaufen
       gebracht. „Re zo re“ („Zu viel ist zu viel“) lautet in der keltischen
       Regionalsprache der Kampfruf einer Bewegung, die in den letzten Wochen
       immer größer wurde. Die Menschen haben die bereits wegen der Lkw-Steuer
       installierten Mautschranken mit Traktoren und Seilen niedergerissen. Ihrer
       Wut fielen auch fast alle Radarfallen zum Opfer. Die Regierung hat
       teilweise eingelenkt und die Einführung der „Ökosteuer“ verschoben.
       
       Doch den Bretonen geht es längst um mehr. Sie wollen ihre Lebensqualität,
       ihre Kultur und Sprache und ihre Arbeit verteidigen – gegen die
       Zentralmacht. Die Wut über die Steuerpolitik hat ihre autonomistischen
       Bestrebungen wiedererweckt. In allen Schaufenstern der Geschäfte von
       Carhaix hängen Plakate mit dem Symbol der roten Mütze. „Die Leute fürchten
       um ihre Arbeit und ihre Zukunft. Vor allem aber schätzen sie es nicht, wenn
       man aus Paris die Bretagne von oben herab behandelt“, sagt die Sprecherin
       der Kaufleute, Christine Briand (57), die in Carhaix den kleinen
       Delikatessenladen „Saveur et Gourmandise“ hat.
       
       ## Wirtschaft in der Krise
       
       Die auf Geflügelzucht und Schweinemast basierende Wirtschaft der Bretagne
       steckt in einer schweren Krise. Die Schlachthöfe und die verarbeitende
       Industrie schließen Betriebe, jedes Mal gehen Hunderte von Stellen
       verloren. Gleich neben Carhaix stellt in Pollaouen der norwegische Konzern
       Marine Harvest Kritsen für 2014 die Produktion und den Versand von
       Räucherlachs ein.
       
       Zehn Tage lang haben die 287 Arbeiter aus Protest den Zugang zum Werk
       blockiert, Tag und Nacht. Olivier Le Fur, 43, bringt auf den Punkt, warum
       er und seine Kollegen besonders aufgebracht sind: „Der Konzern macht in
       diesem Jahr 500 Millionen Euro Gewinn, uns aber schmeißt man weg wie
       ausgepresste Zitronen.“
       
       Vergeblich hatte man bei Marine Harvest auf Hilfe aus Paris gehofft.
       „Hollande hatte in seiner Wahlkampagne ein Gesetz versprochen, das
       Stilllegungen aus purer Gefälligkeit gegenüber den Aktionären verbietet.
       Die Bretagne hat ihn mit 56 Prozent zum Präsidenten gewählt. Wo bleibt er
       jetzt?“, fragt Le Fur verbittert.
       
       Auch in den Schlachthöfen von GAD in Lampaul verschwinden 900 Stellen.
       Schuld daran sei die „unloyale Konkurrenz“ aus Deutschland, wo Lohndumping
       und „Low-cost“-Arbeiter aus Osteuropa die Wettbewerbsbedingungen verzerren,
       schimpfen die Arbeiter, die ebenfalls während zwei Wochen die Zugänge zum
       Werk blockiert hatten.
       
       ## Enttäuscht von Hollande
       
       In die Verbitterung über die Krise der Agrowirtschaft und die Wut über eine
       „Ökosteuer“, welche die Kosten in ländlichen Regionen wie der Bretagne
       zusätzlich belasten würde, mischt sich die Enttäuschung über François
       Hollande und seine Linksregierung. Laut Umfragen hat er nur noch 15 Prozent
       Zustimmung und ist damit der unpopulärste Staatschef Frankreichs seit 50
       Jahren.
       
       Wie ein Albtraum für Hollande tauchen nun überall die „Rotmützen“ auf. Am
       Wochenende haben etwa 2.100 Lkw-Fahrer auf den Autobahnen im ganzen Land
       den Verkehr zum Erliegen gebracht. In Nizza haben Geschäftsleute mit roten
       Mützen gegen die anstehende Mehrwertsteuer demonstriert.
       
       ## Rechtsradikale Trittbrettfahrer
       
       Jeder, der heute etwas gegen die Staatsführung hat, setzt eine rote Mütze
       auf. Auch der rechtsextreme Front National: Rechtsradikale Aktivisten
       trugen sie als Erkennungszeichen, als sie am 11. November Staatspräsident
       François Hollande bei einer Gedenkfeier auspfiffen.
       
       Christian Troadec weiß, dass die Verzweiflung und die Wut Nährboden für die
       extreme Rechte sind. Er widersetzt sich einer Instrumentalisierung: „Der
       Front National ist wie ein Gift für die Bretagne, die Rotmützen aber sind
       das Gegengift.“
       
       18 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bretagne
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Protest
 (DIR) Francois Hollande
 (DIR) Arbeitsplätze
 (DIR) Baskenland
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Jean-Marc Ayrault
 (DIR) Attentat
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Paris
 (DIR) Francois Hollande
 (DIR) Jugendarbeitslosigkeit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Buch über Baskenland und Rassismus: Eine eigentlich eigene Identität
       
       Der Autor Ibon Zubiaur hat einen persönlichen Bericht über die Erfindung
       der baskischen Nation und ihren Rassismus geschrieben.
       
 (DIR) Nationalversammlung stimmt Gesetz zu: Frankreich will Industrie schützen
       
       Unternehmen müssen künftig nach einem Käufer suchen, bevor sie einen
       rentablen Standort schließen. Hollande will mit dem Gesetz ein
       Wahlkampfversprechen einlösen.
       
 (DIR) Integrationsdebatte in Frankreich: In Polemik erstickt
       
       Die Rechtspopulisten warnen vor dem Verkauf der „Seele Frankreichs“. Das
       wahre Reizthema in der Diskussion um Integration aber ist der Schleier.
       
 (DIR) Nach bewaffneten Angriffen in Paris: Mutmaßlicher Schütze gefasst
       
       Nach einer Großfahndung hat die französische Polizei den mutmaßlichen
       Angreifer auf Pariser Medienhäuser festgenommen. Vier Menschen wurden
       verletzt.
       
 (DIR) Protestbewegung in Frankreich: Troadix, der Gallier
       
       Christian Troadec ist Bürgermeister von Carhaix, einem Dorf, das gegen
       Paris Ökosteuer kämpft. Es tut dies mit an Sturheit grenzender
       Hartnäckigkeit.
       
 (DIR) Unbekannter stürmt Pariser Zeitungshaus: Schüsse in der „Libération“
       
       Beim zweiten bewaffneten Überfall auf ein französisches Medium in kurzer
       Zeit wurde ein Mitarbeiter verletzt. Die Polizei prüft nun einen möglichen
       Zusammenhang.
       
 (DIR) François Hollande im Umfragetief: Setzen, Sechs!
       
       Magere 20 Prozent sind noch mit der Arbeit von Staatspräsident Hollande
       zufrieden. Hauptkritikpunkt der französischen Bürger ist seine
       Unentschlossenheit.
       
 (DIR) Debatte Jugendarbeitslosigkeit: Immer in Bewegung bleiben
       
       Die EU-Regierungschefs nehmen sich des Problems an, doch die schlecht
       ausgebildeten jungen Leute interessieren sie weiter nicht.