# taz.de -- Integrationsdebatte in Frankreich: In Polemik erstickt
       
       > Die Rechtspopulisten warnen vor dem Verkauf der „Seele Frankreichs“. Das
       > wahre Reizthema in der Diskussion um Integration aber ist der Schleier.
       
 (IMG) Bild: Frankreich streitet, inwiefern das Verbot des Schleiers bzw. Kopftuchs die Integration in Schulen fördert oder behindert?
       
       PARIS taz | Nein, die französische Regierung hat nicht die Absicht, das
       gesetzlich verbotene Tragen von Schleiern oder anderen Symbolen religiöser
       Zugehörigkeit in den Schulen wieder zu erlauben. Es braucht gleich mehrere
       Dementis von Ministern, von Regierungschef Jean-Marc Ayrault und von
       Staatspräsident François Hollande, um den von rechts angefachten Sturm der
       Empörung einigermaßen zu besänftigen.
       
       Denn der Parteichef der konservativen UMP, Jean-François Copé, sah bereits
       „die Republik in Gefahr“. Er trat mit todernster Miene vor die Medien und
       warnte, Frankreich dürfe „nicht seine Grundwerte, Sprache, Geschichte, ja
       seine ganze Identität aufgeben“. Das war eigentlich nie die Absicht der
       regierenden Linken gewesen, aber in Frankreich ist der Rechten seit je
       jeder Vorwand für eine Polemik auf dem Buckel der Ausländer gut genug.
       
       Sie beweist vor allem, wie brisant das Thema Integration und
       Diskriminierung ist und wie aus Angst vor einem weiteren Erstarken der
       fremdenfeindlichen Rechtsextremisten eine unvoreingenommene Debatte darüber
       schlicht unmöglich gemacht wird.
       
       Der Anlass des Streits war in diesem Fall ein Expertenbericht zur
       Integrationspolitik, den der Premierminister Anfang November erhalten
       hatte. Die Vorschläge, die darin gemacht werden, waren eigentlich nur für
       den internen Gebrauch. Doch aus Versehen oder aus politischer Absicht ist
       der Text auf der Internetseite der Regierung publiziert worden. Das schien
       zunächst niemanden zu interessieren – bis die Redaktion von [1][Le Figaro]
       darin ein paar spezifische Tretminen fand.
       
       ## Arabisch-Unterricht an Schulen
       
       Die Zeitung sprach von einem „Schockbericht“, weil da unter anderem stand,
       Frankreich müsse einem „arabisch-orientalischen Erbe“ Rechnung tragen, wenn
       sich die Bürger aus dem arabisch-muslimischen Kulturraum nicht in
       Frankreich ausgeschlossen fühlen sollten. Schockiert hat Le Figaro, dass
       deswegen ein Arabisch-Sprachunterricht in Schulen eingeführt und auf
       Gymnasiumsstufe als Option eine afrikanische Sprache angeboten werden
       könnte. Das wahre Reizthema aber ist der Schleier.
       
       In der Expertenrunde war die Frage aufgetaucht, inwiefern das Verbot des
       Schleiers oder des Kopftuchs in Schulen die Integration fördert oder
       behindert. Das reichte, um die Regierung der Kapitulation und des Verzichts
       auf die weltlichen Grundwerte zu bezichtigen.
       
       Die oppositionelle UMP, die ganz zufälligerweise gerade über ihre
       Ausländerpolitik diskutierte, griff denn auch die zum Teil aus dem
       Zusammenhang gerissenen Ideen als Munition für einen frontalen Angriff auf
       die Regierung auf. Diese werfe bei der angeblichen Revision der
       Integrationspolitik alles über Bord, was der Republik bisher heilig war,
       und wolle sich so auf billige Weise vor Wahlen einschmeicheln, warnte Copé.
       
       Der UMP-Chef steht dabei selbst unter Druck von ganz rechts. Auch an der
       Basis der UMP teilen immer mehr Sympathisanten die vom Front National
       angeheizten Ressentiments gegen die Mitbürger ausländischer Herkunft
       generell und gegen die Muslime im Speziellen.
       
       ## Kollektive Unfähigkeit
       
       Wie problematisch auch im Regierungslager nur schon eine Zwischenbilanz des
       Kopftuchverbots oder erst recht die Debatte über die mangelnde Akzeptanz
       der zugewanderten Bürger oft auch nach zwei Generationen noch ist,
       bestätigten Innenminister Manuel Valls und Außenminister Laurent Fabius,
       die sich sogleich öffentlich vom Bericht distanzierten. Sie brachten damit
       den Premierminister Ayrault erst recht in Verlegenheit.
       
       Zweifellos wird der Bericht nun tief in einer Schublade verschwinden. Der
       Sprecher der Expertengruppe, der Jurist Thierry Tuot, kann das nur
       bedauern: „Die Polemik ist sehr beunruhigend, weil sie eine kollektive
       Unfähigkeit zur Durchführung einer offenen Debatte über das Thema
       Integration zum Ausdruck bringt.“
       
       23 Dec 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.lefigaro.fr/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jean-Marc Ayrault
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Francois Hollande
 (DIR) Integration
 (DIR) Schleier
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Abhörskandal
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Mali
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Bretagne
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kommunalwahlen im französischen Cannes: Rechtspopulist gegen Sonnyboy
       
       Zwei UMPler wollen Bürgermeister in Cannes werden: David Lisnard, der
       „städtische Unternehmer“ und Philippe Tabarot, der „Kandidat der Ordnung“.
       
 (DIR) Abhörskandal in Frankreich: Das Diktiergerät lief immer mit
       
       Expräsident Nicolas Sarkozy und seine Frau Carla Bruni klagen wegen
       geheimer Mitschnitte von Gesprächen. Sarkozy sprach nicht so nett über
       Kollegen.
       
 (DIR) Proteste in Frankreich gegen Hollande: „Tage des Zorns“ enden im Knast
       
       Bei einem Protestmarsch gegen den französischen Präsidenten Hollande wurden
       250 Teilnehmer festgenommen. Es war zu Ausschreitungen gekommen.
       
 (DIR) Afrika-Gipfel in Frankreich: Paris will nicht ewig Gendarm spielen
       
       Der Afrika-Gipfel zeigt die Zerrissenheit Frankreichs: Auf Solonummern hat
       die einstige Kolonialmacht keine Lust, ein Rückzug kommt auch nicht in
       Frage.
       
 (DIR) Untergangsstimmung in Frankreich: Der Blues der Bleus
       
       „Rien ne va plus“, denken viele Franzosen, ob im Fußball oder in der
       Politik. Der Nationalstolz ist die Kehrseite der Angst vor dem Niedergang.
       
 (DIR) Protest gegen Frankreichs Regierung: Rotkäppchen auf den Barrikaden
       
       Es begann als Protest gegen die Lkw-Ökosteuer. Jetzt wüten die Bürger im
       ganzen Land gegen die Regierung. Ihr Markenzeichen: Eine rote Mütze.
       
 (DIR) Politikerin mit rassistischem Vergleich: „Casting-Fehler“ beim Front National
       
       Eine Kommunalpolitikerin des Front National vergleicht die farbige
       französische Justizministerin mit einem Affen. Ihre Erklärungen machen es
       nur schlimmer.