# taz.de -- VW und Uiguren in China: Die Unerwünschten
       
       > Volkswagen hat in Chinas Norden ein Werk eröffnet, Uiguren hofften auf
       > Arbeit. Doch der Konzern stellt sie nicht ein. Steckt Erpressung
       > dahinter?
       
 (IMG) Bild: Urumqi: Nach einem Anschlag auf eine Polizeiwache sind die Sicherheitskontrollen im November verschärft worden.
       
       URUMQI taz | Der Wüstensand unter Yussufs* Füßen gibt bei jedem Schritt
       nach. Er leuchtet mit dem Handy in die endlose Dunkelheit der
       Taklamakan-Wüste. „Als Jugendlicher bin ich hier nachts öfter allein
       hingefahren. Einfach so“, hängt er seinen Erinnerungen nach. So wie er auch
       jetzt nur den Besuchern den sternenübersäten Nachthimmel zeigen will. Dann
       setzt er sich wieder ins Auto und fährt zurück Richtung Oasenstadt.
       
       Plötzlich blenden ihn grelle Scheinwerfer, zwei Polizei-Vans und ein
       Militärlaster bremsen vor ihm. Bewaffnete Soldaten springen heraus. „Alle
       raus!“, brüllen sie. Nach einem Wortgefecht lassen sie Yussuf weiterfahren.
       „Gott sei Dank hat mich einer erkannt, der mit meinem Bruder befreundet
       ist“, sagt er aufatmend. Die Spannung weicht nur langsam von seinem
       rundlichen Gesicht mit dem Schnurrbart.
       
       In Yussufs Heimat Xinjiang gehören solche nächtlichen Militärkontrollen zur
       Tagesordnung. Wer durch Chinas größte Provinz im äußersten Westen fährt,
       passiert einen Checkpoint nach dem anderen. Dem 27-Jährigen machen sie
       Angst – vor allem wenn ihn Ausländer begleiten. Als Uigure dürfte er sie
       auch nicht im Lehmhaus seiner Eltern beherbergen. Als er sich am Freitag
       mit der grünen „Doppa“ auf dem Kopf und Gebetsteppich unter dem Arm auf den
       Weg zur Moschee macht, bittet er, dass man sich nicht mit ihm auf der
       Straße zeigt. „Freitags ist immer besonders viel Polizei unterwegs.“
       
       Chinas Sicherheitsapparat läuft in Xinjiang auf Hochtouren. Angeblich saßen
       Uiguren in dem Auto, das am 28. Oktober auf dem Platz des himmlischen
       Friedens vor Maos Porträt in Flammen aufging. Laut Regierungsstellen hat
       die Islamische Partei Turkestan (TIP) die Verantwortung für den Anschlag
       übernommen.
       
       ## Ein Jahr ohne Internet
       
       Seit Jahren kommt es in Yussufs Heimat zu blutigen Zusammenstößen zwischen
       den Angehörigen der uigurischen Minderheit und den Han-Chinesen. Früher
       einmal stellten die Uiguren die Mehrheit der Bevölkerung in Xinjiang, doch
       die gezielte Ansiedlung von Han-Chinesen hat das Verhältnis mittlerweile
       umgekehrt. Die Uiguren empfinden die Han als Besatzer. „Sie mögen uns
       nicht, und wir mögen sie nicht. Xinjiang ist ein anderes Land, nicht
       China“, sagt Yussuf. Wie viele Uiguren hat er kaum eine Chance, jemals
       einen Reisepass zu bekommen.
       
       Yussuf klingt eher besorgt als wütend. „Ich fürchte, dass unsere Situation
       sich jetzt noch verschlimmert“, meint er. Xinjiang ist für Chinas Regierung
       strategisch wichtig und reich an Rohstoffen. 2009 hat es schon einmal
       heftige Unruhen mit vielen Toten in Urumqi gegeben. Das Internet in
       Xinjiang war daraufhin ein ganzes Jahr abgeschaltet. Facebook und Twitter
       sind seitdem in ganz China gesperrt.
       
       Einer von Yussufs Brüdern arbeitet für die Lokalregierung und darf nicht in
       die Moschee. Während des Ramadans muss er tagsüber essen, die Chefs achten
       darauf. Ein anderer Bruder ist Imam, aber ein verdeckter. Er will nicht
       permanent unter Beobachtung der Regierung stehen und sich seine Predigten
       absegnen lassen. Also trägt er keinen Bart und backt hauptberuflich das
       traditionelle Nan-Brot. „Meine Brüder haben unterschiedliche Wege gewählt.
       Aber Konflikte gibt es deshalb nicht in meiner Familie“, sagt Yussuf. „Wir
       sind froh, wenn jemand Arbeit hat.“
       
       ## Yussuf und seine Brüder
       
       Für ihn, den Jüngsten von sechs Geschwistern, ist die Jobsuche schwer,
       obwohl er ein abgeschlossenes Maschinenbaustudium vorweisen kann. Als im
       Frühjahr ein deutscher Manager den Campus der Xinjiang University besuchte,
       schöpfte Yussuf deshalb kurz Hoffnung: Volkswagen eröffnet ein neues Werk
       in Urumqi, hieß es – als erster Autohersteller überhaupt. Doch ein halbes
       Jahr später sagt Yussuf ernüchtert: „Auch VW stellt keine Uiguren ein.“
       
       Dabei präsentiert sich der Wolfsburger Konzern als Pionier. Als die
       damalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon vergangenen Herbst
       das entstehende Werk in Urumqi besucht, schwärmte sie anschließend, dass VW
       sich zu einer Beschäftigungsquote von 35 Prozent für ethnische Minderheiten
       verpflichten wolle.
       
       Auf die Quote hat Volkswagen dann verzichtet – einem VW-Insider zufolge,
       weil der chinesische Joint-Venture-Partner Widerstand leistete. Und der ist
       auch für die Personalauswahl zuständig. Übrig geblieben ist eine bloße
       Absichtserklärung.
       
       ## Wurde VW erpresst?
       
       Es ist unter Branchenkennern ein offenes Geheimnis, dass die chinesische
       Zentralregierung den Wolfsburger Konzern erpresst hat. „VW wurde klar vor
       die Wahl gestellt: Wollt ihr die Genehmigung für die anderen geplanten
       Werke, ja oder nein?“, urteilt Jochen Siebert von der Branchenberatung JSC
       Automotives in Schanghai. „Wenn ja, dann baut auch eines in Urumqi.“
       
       Für Yussuf reichte schon eine kleine Bemerkung, um zu wissen, dass VW kein
       Interesse an ihm hat. Sie stammt von der chinesischen Kollegin des
       deutschen Werksleiters. „Sie sagte auf Chinesisch am Ende der Versammlung,
       sie bräuchten uns Uiguren nicht. Das wurde dann nicht ins Englische
       übersetzt“, erinnert sich Yussuf. Dem Deutschen ist der Satz also womöglich
       entgangen. Yussufs Kommilitonin Fatima* gibt den genauen Wortlaut so
       wieder: „Die Entscheidung ist in unseren Händen. Wir sind nicht sicher,
       dass wir euch brauchen. Mit ’uns‘ meint sie die Han. ’Euch‘, das sind wir
       Minderheiten“, sagt die junge Ingenieurin aus der Ölstadt Karamay.
       
       Möglich, dass die uigurischen Studenten einen harmlosen Satz missverstanden
       haben. Fatima schließt jedoch aus dem Verlauf der Bewerbungen, dass Uiguren
       bei VW keine Chance haben. Schon im Winter reichte die Maschinenbauerin auf
       einer Jobmesse der Uni bei VW-Vertretern ihren Lebenslauf ein. „Sie sagten,
       man müsse perfekt Chinesisch sprechen und gutes Englisch. Das trifft auf
       mich zu“, sagt Fatima auf Englisch. „Ich hatte Selbstvertrauen.“
       
       Von VW hört sie nie wieder. Auch nicht, nachdem sie ihren Lebenslauf nach
       dem Managerbesuch ein zweites Mal einreicht. „Wir haben uns alle beworben.
       Aber nur Han-Chinesen haben Interviews bekommen.“
       
       ## Das Kopftuch als Protestnote
       
       Bis auf wenige Straßen, in denen die Kadaver geschlachteter Schafe hängen
       und Männer mit grünen Kappen Brot backen, ähnelt die Hauptstadt Urumqi
       jeder beliebigen chinesischen Großstadt. Wer auf dem Highway 1.300
       Kilometer durch die Taklamakan-Wüste nach Südwesten bis Hotan fährt,
       erreicht hingegen die traditionellste Ecke von Xinjiang. Auf den staubigen,
       von Pappeln gesäumten Straßen tragen viele Frauen Kopftuch oder sind tief
       verschleiert. Manche haben vor einigen Jahren damit angefangen – aus
       Protest gegen die religiösen Einschränkungen und polizeiliche Überwachung.
       
       Die Staatsmacht nimmt diese subversiven Gesten nicht einfach hin. In der
       alten Handelsstadt Kashgar sitzen am Rande einer Baustelle zwei Uigurinnen
       an einem Pult. „Wir leisten hier Ideologiearbeit“, geben sie freundlich
       Auskunft. Sie sollen andere davon überzeugen, den Schleier abzulegen. „Sie
       bekommen so die Chance auf einen Job in der Regierung“, sagt eine der
       Beraterinnen. Sie selbst tragen das Haar offen und wurden vom Militär in
       Südchina trainiert. Die Damen geben zu, dass ihre Ideologiearbeit bei den
       Bewohnern wenig populär ist. „Den Vollverschleierten reißen Polizisten
       manchmal das Tuch vom Kopf. Dann wird der Ehemann wütend und ersticht den
       Polizisten“, bemerkt Yussuf mit ruhiger Stimme. Er sagt es, als sei das
       etwas völlig Alltägliches.
       
       Bemerkenswert findet Yussuf eher, wie die Lokalregierung mit den neu
       zugezogenen Han umgeht. Sein Bruder hat ihm von einer
       Mitarbeiterversammlung erzählt. „Es hieß, sie dürften den Han keinerlei
       Fragen zu ihrem Studium oder ihrer Uni stellen“, sagt Yussuf. Er schließt
       daraus, dass es mit ihrer Bildung nicht so weit her sein kann. Die
       Han-Chinesen, die die Anreize der Regierung in Anspruch nehmen und nach
       Xinjiang ziehen, gehören eher zu den Verlierern der Gesellschaft.
       
       ## Angeblich mehr Schulungsbedarf
       
       Yussuf hoffte, mit seinem Ingenieursstudium einmal zu den Gewinnern zu
       gehören. Bisher hat er vergebens auf Rückmeldung gewartet. VW verkündete im
       August in deutschen Medien, dass die Angehörigen der ethnischen
       Minderheiten noch geschult werden müssten. In der Aus- und Weiterbildung
       liege ihr Anteil schon bei etwa 30 Prozent. Über die Zahl der uigurischen
       Mitarbeiter schweigt sich der Autobauer auch auf ausdrückliche Nachfrage
       aus.
       
       Warum ausgerechnet die Uiguren mehr Schulungsbedarf haben sollen, versteht
       Yussuf nicht. Er hat die gleichen Prüfungen absolviert wie seine
       Han-Kommilitonen. Neben seiner Muttersprache Uigurisch spricht er fließend
       Mandarin. Nur Englisch lernt er erst seit der Uni.
       
       Mangels Alternativen hat er nun die staatliche Prüfung für eine
       Beamtenlaufbahn absolviert – und mit Bestnote abgeschnitten. Er liebt Autos
       und würde gerne als Maschinenbauer arbeiten. Nun wird er wohl Lehrer in
       seiner alten Heimat und damit Teil des Systems. Er kehrt dann wieder in die
       Familie zurück. Aber in die Moschee wird er nicht mehr gehen dürfen.
       
       * Namen geändert
       
       7 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ruth Fend
       
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