# taz.de -- Die Wahrheit: Lange Haare, kurzes Metall
       
       > Immer Ärger mit der Frisur: Die Metal-Szene ist auch nicht mehr das, was
       > sie mal war.
       
 (IMG) Bild: Der Bildbeweis: Niemand blinkt mehr.
       
       Kurze Haare sind im Metal-Biz kein Anlass mehr für Poser- und
       Wimp-Gemecker. Heute darf man das. Dieser Tage herrscht hier eine
       frisurästhetische Toleranz, die schon fast an Wurschtigkeit grenzt.
       Irokesenpeitsche, Navy-Seals-Kampfrasur, Seitenscheitel-Schisslaweng,
       Föhnwelle, Modell Kojak, alles ganz egal. Die versplisste, gut
       durchgefettete Bombenlegermatte, ehemals obligatorisch, gewissermaßen
       Einstellungsvoraussetzung bei der besten Subkultur der Welt, hat noch nicht
       ausgeloddelt, aber deutlich an Lufthoheit eingebüßt.
       
       Ich entstamme einem anderen Jahrhundert. Damals galt noch die Weltformel:
       Lange Haare, kurzer Verstand! Wer wollte das nicht? Man hatte gar keine
       andere Wahl. Ich ließ es also wachsen, weil es mir so gefiel und weil meine
       hartköpfige Bezugsgruppe mich sonst auf einer einsame Insel ausgesetzt
       hätte. Und ein paar Jahre machte sich das Gestrüpp auch ganz gut beim
       Schütteln, wenn sich wieder mal ein Riffgewitter über unseren Köpfen
       zusammenbraute. Aber dann britzelte der unter dem Scheitel auf vollen
       Touren laufende Hochleistungsreaktor plötzlich die Haarwurzeln weg,
       jedenfalls ganz schön viele.
       
       Dass sich etwas maßgeblich verändert haben musste, merkte ich erstmals in
       meinen privaten Roaring Twenties. Zur Erwirtschaftung der Subsistenz fuhr
       ich damals mit einem Siebeneinhalbtonner durch die Gegend, um für eine
       Werbeagentur palettenweise Prospekte an die Austräger zu überbringen.
       Plötzlich blieben die Menschen, wenn sie mir den Eingang von 5.000
       Aldi-Reklameblättchen quittierten, nicht mehr ernst. Sie versuchten sich
       zusammenzureißen, aber ein Gnickern entfuhr ihnen dennoch mitunter. Was war
       los? Hatte ich einen Knutschfleck am Hals, einen Milchkaffeebart oder
       wuchsen mir Haare aus der Nase? Na sicher, aber deshalb musste man doch
       nicht lachen! Ratlosigkeit kumpelte mich an.
       
       Als ich wieder einmal die braunschweigische Tiefebene mit meinem Laster
       durchpflügte und für eine Kaffeepause nahe einem Spielplatz Station machte,
       näherte sich eine fünfköpfige BMX-Gang aus Grundschülern. Sie schauten
       immer wieder zu mir herüber und tuschelten halblaut, schließlich fassten
       sie sich ein Herz und riefen im Chor: „Otto! Otto! Otto!“
       
       Offenbar gemahnten die dünnen Spaghetti, die mir da ziemlich zerkocht vom
       Kopf herabhingen, an den bekannten Komiker, der damals, Anfang der
       Neunziger, auch schon bessere Zeiten erlebt hatte. Genau wie ich.
       Paralysiert vor Wut, aber irgendwie musste ich schließlich reagieren,
       zeigte ich ihnen den steifen Mittelfinger. Jetzt schmissen sie sich erst
       richtig weg. Im Wortsinne. Zwei Jungs fielen vor Lachen mit den Rädern um.
       Und ich beendete langsam mal meine Kaffeepause.
       
       Ein paar Wochen später musterte mich an der Tankstelle ein Mann eingehend.
       „Haste dich verliebt, oder was?“, rief ich ihm genervt zu. „Entschuldigen
       Sie, aber Sie sehen genauso aus wie der Blödel-Otto.“ Wie immer fiel mir
       nichts Besseres ein. „Und du siehst aus wie’n Kübel voll Scheiße!“ Am
       nächsten Tag ging ich zum Friseur.
       
       9 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Schäfer
       
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