# taz.de -- Kirchen aus der Nazi-Zeit: Ein schwieriges Erbe
       
       > Sie sehen aus wie nordische Götterburgen oder sind statt nach Osten nach
       > Norden ausgerichtet. Während man dies bauliche Erbe in Lübeck verändern
       > will, versteckt man sich in Kiel und Hamburg hinter Ästhetik und dem
       > Denkmalschutz.
       
 (IMG) Bild: Otto Flaths Gruppe "Volk unterm Kreuz" (rechts) wurde umgehängt, weil ein Fenster im Weg war: Dankeskirche in Kiel-Holtenau.
       
       LÜBECK taz | Man kommt rein und denkt: Das ist Walhall. Der Palast der
       nordischen Götter, Odins Burg oder die seiner Verehrer, ein düsterer
       Kult-Ort. Der Raum ist hoch, die Decke überspannen Eichenbohlen, die oberen
       Fenster ähneln Schießscharten. Auf der Empore ein umlaufender Gang wie bei
       einer Trutzburg. Vorn die Hauptbühne, von halbkreisförmigen Bögen
       überspannt. Sie sind wie professionelle Bühnenkulissen hintereinander
       geschachtelt, bereit für ein großes Spektakel.
       
       Es ist aber die Lutherkirche im Lübecker Stadtteil St. Lorenz. Dass sie wie
       ein Bollwerk wirkt, liegt daran, dass sie 1937 eröffnet wurde. Da saßen die
       Nazis schon fest im Sattel und versprachen der evangelischen Kirche, sie
       mächtig aufzuwerten. Die „Deutschen Christen“ und besonders deren radikaler
       Zweig, der „Bund für Deutsche Kirche“, waren dem Regime deshalb treu
       ergeben.
       
       Entsprechend völkisch-antisemitisch fiel die Predigt aus, mit der Bischof
       Erwin Balzer die Lübecker Lutherkirche einweihte. Sie sollte ein Bollwerk
       des Protestantismus werden. Dazu passt die monumentale Kreuzgruppe, die der
       Nazi-Sympathisant Otto Flath für die Kirche schnitzte.
       
       Hoch auf dem Altar standen da acht Figuren vorm Kreuz: Großeltern, Eltern
       und vier Kinder; der Vater gibt dem Sohn ein Schwert. Strenge,
       „arisierende“ Gesichtszüge haben sie, und schnell bekam die Gruppe den
       Titel „Deutsche Familie“. Mit Christentum hat das wenig zu tun:
       Üblicherweise trauern auf solchen Darstellungen Mutter Maria und der Jünger
       Johannes unterm Kreuz.
       
       Lange haben die Figuren auf dem Hauptaltar gestanden, denn nach Kriegsende,
       sagt Pastorin Constanze Oldendorf, „hatte man zunächst andere Sorgen“.
       Viele Flüchtlinge kamen in den Stadtteil, unter ihnen Pastor Gerhard
       Gülzow, der der nazikritischen Bekennenden Kirche nahe stand und sich um
       ihre Integration kümmerte. In Sachen Flath hat er nie etwas unternommen.
       
       „Das mag daran liegen, dass diese Figuren keine Nazisymbole zeigen“, sagt
       Oldendorf. „Sonst wäre es sicher früher ein Thema gewesen.“ So aber
       beschloss der Kirchenvorstand erst Anfang der 1990er-Jahre, die Figuren an
       den Seiteneingang zu bringen. Inzwischen sei das Werk ein Lernort geworden,
       sagt Oldendorf, „denn einfach wegräumen reicht ja nicht. Man muss sich
       damit auseinandersetzen“.
       
       Damit ist die Ambivalenz dieser Kirche noch nicht auserzählt: In Sichtweite
       der Flath-Figuren steht die Urne von Pastor Karl Friedrich Stellbrink. Er
       war Nazi, predigte aber bald gegen Euthanasie und wurde 1943 mit drei
       Kaplänen – den „Lübecker Märtyrern“ – hingerichtet. Am bekanntesten wurde
       Stellbrinks kriegskritische Predigt vom Palmsonntag 1942 nach dem
       Bombenangriff auf Lübeck.
       
       Oft schon haben Neonazis deshalb versucht, „Trauermärsche“ auch zur
       Lutherkirche zu veranstalten. „Aber wir als Gemeinde haben immer eigene
       Demonstrationen auf der Strecke angemeldet und den Ort besetzt“, sagt
       Oldendorf.
       
       Soweit der politische Teil, aber die Gemeinde will mehr: Bald beginnt eine
       Renovierung der Kirche, denn man will den Raum wieder für sich haben – bar
       jeder Nazi-Symbolik. Die spiegelt sich auch darin, dass die Kirche nicht,
       wie üblich, nach Osten ausgerichtet ist, sondern nach Norden, gen
       „Germanien“.
       
       Die Ost-Ausrichtung ist aber wichtig, denn sie erlaubt den Blick zum
       Morgenlicht, das den auferstandenen Christus symbolisiert. Konkret heißt
       das: Der Altarraum ist beim Gottesdienst hell, und man betet zum Licht.
       Zeigt die Kirche nach Norden, wird ins Dunkle gebetet.
       
       Um das zu beheben, hat die Gemeinde einen Architektenwettbewerb ausgelobt,
       und die Idee ist, mit Farben und Lichtreflexen zu arbeiten, um wenigstens
       die Fiktion von Osten und dem zugehörigen Morgenlicht in den Altarraum zu
       holen.
       
       Auch in der Dankeskirche in Kiel-Holtenau gibt es eine Kreuzgruppe von Otto
       Flath. Auch diese 18 Figuren mit dem Titel „Volk unterm Kreuz“ sind kantig,
       „arisch“, düster. 1997 brachte man sie vom Hauptaltar auf die Süd-Empore.
       
       Der Grund war aber ein ästhetischer: Die Skulptur hätte die frisch
       eingebauten Fenster verdeckt, deshalb musste sie da weg. Mit der
       politischen Haltung Flaths habe das nichts zu tun, sagt Pastor Jens Voß.
       Flath sei kein expliziter Nazi gewesen und habe „im Stil seiner Zeit
       gearbeitet“.
       
       Dass Flath unter den Nazis etliche Kirchen ausstattete, während die
       „verfemten“ Skulpturen Ernst Barlachs entfernt wurden, verschweigt er. „Ich
       sah nie einen Anlass, mich mit Flath zu befassen“, sagt auch
       Kirchengemeinderat Mathias Gemmer.
       
       Es sei nicht daran gedacht, eine Tafel mit Namen und der Vita Flaths neben
       die Skulptur zu hängen. Beide können in der Gruppe nichts Brisantes finden,
       außerdem hätten viele Gemeindemitglieder sie lieb gewonnen.
       
       Sonderlich offensiv gehen auch Hamburger Kirchenleute nicht mit dem
       Nazi-Erbe um. Die Pastoren der 1938 eingeweihten Lutherkirche im Stadtteil
       Wellingsbüttel, die ebenfalls nach Norden zeigt, haben keine Zeit für ein
       Treffen. Kirchengemeinderats-Vorsitzender Frank Theege sagt, die
       Nord-Ausrichtung sei nie ein Problem gewesen. Auch nicht die daraus
       folgende Düsternis des Kirchenraums.
       
       Man spürt sie sofort, wenn man eintritt, aber sie wird kaschiert durch
       rustikale Gemütlichkeit: Wie in Lübeck überspannen Eichenbohlen den
       Mittelgang, aber sie wirken eher heimattümelnd. Draußen ein kleiner,
       kräftiger Turm, alles Backstein, etwas Fachwerk, „niedersächsischer
       Landhausstil, das war die Vorgabe“, so Theege.
       
       Dazu gehören auch die Runen im Mauerwerk: ein Besen, eine Lebens-Rune, ein
       Hakenkreuz. Es wirkt etwas verknittert, einige Steine wurden gedreht. Aber
       Mittellinie und Gesamtform sind erkennbar, als hätte jemand halbherzig
       verfremdet.
       
       „Mir ist das nie aufgefallen“, sagt Theege. Aber als er vor sechs Jahren in
       den Kirchenvorstand kam, sei das sofort ein Thema gewesen. „Das ist ein
       Schandmal, das muss weg“, war der Tenor. Die Vorständler wollten schon den
       Maurer rufen, da legten Theege und eine Kollegin ihr Veto ein: Man solle
       erst den Denkmalschutz fragen. „Nicht, dass wir am Ende Recht brechen“,
       sagt Theege.
       
       Der Denkmalschutz kam, fand das unzureichend veränderte Hakenkreuz
       hochinteressant – und es blieb. Zum Ausgleich verankerte man eine
       Bronzetafel im Boden, mit einer bemerkenswerten Inschrift: „Zur Erinnerung
       und zur Mahnung. 1933 – 1939 – 1945“.
       
       Warum 1939, das Jahr, in dem das NS-Regime den Zweiten Weltkrieg entfachte?
       „Das war der Beginn der endgültigen Barbarei“, sagt Theege. Und warum
       dieser allgemeine Text, wenn man sich doch vom NS-Gedankengut distanzieren
       wollte? Es habe viele Entwürfe gegeben, und dieser sei mehrheitlich
       beschlossen worden, sagt Theege. An die anderen Varianten erinnert er sich
       nicht mehr.
       
       26 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hakenkreuz
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 (DIR) NS-Forschung
 (DIR) Aufarbeitung
       
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