# taz.de -- Kolumne Generation Camper: Als Frau allein im Wald
       
       > Wie ein Relikt aus Rotkäppchens Urangst-Universum, wo Realitäten und alte
       > Traumata böse durcheinandergehen.
       
 (IMG) Bild: Und manchmal lauert der Wolf in Menschgestalt.
       
       Wieso ist R. so erschüttert? Weil sie diese Angst hatte? Schließlich war
       nichts „Schlimmes“ passiert – wie man so schön sagt. Kein Kampf, keine
       Waffe, keine Vergewaltigung. R. konnte weglaufen. Trotzdem sitzt sie fix
       und fertig mit mir am prasselnden Kaminfeuer unserer schönen galizischen
       Unterkunft. Und trinkt weiter Wein, um den Kloß aus dem Hals zu kriegen.
       „Den Boden unter den Füßen hat mir das weggerissen“, sagt sie.
       
       Der Angreifer hatte seinen Wagen im Wald geparkt und einfach nur gewartet.
       R. war den Bedürfnissen dieses Mannes direkt in die Arme gelaufen.
       Plötzlich war sie da, diese furchtbare Angst. Dass dieser Mann jetzt „Ernst
       machen“ könnte. Auf welche Weise auch immer. Er hatte sie an den Schultern
       gepackt und zum Koitus aufgefordert.
       
       „Und du?“, fragt mich R. „Hast du denn keine Angst, so ganz allein im
       Wald?“ Beinahe hätte ich gesagt: „Und ob!“ Aber diese Angst ist wie ein
       Monster, das ich nicht herbeirufen möchte. Wie ein Relikt aus Rotkäppchens
       Urangst-Universum, wo Realitäten und alte Traumata böse durcheinandergehen,
       wo wir als Mädchen Schutzbedürftigkeit lernen mussten und uns als Frauen
       immer noch drangsalieren lassen.
       
       Und wo im versteckten Inneren sogar noch Strafen lauern, wenn wir eines
       Tages eigene Wege gehen. Kaum eine Frau, die keine Angst im Rucksack
       mitschleppt – auch wenn sie sich vorher fit gemacht hat, körperlich und
       mental, und sich gut informiert hat, ob die befürchteten Gefahren überhaupt
       realistisch sind. Die meisten Frauen suchen sich Gesellschaft oder bleiben
       gleich zu Hause.
       
       Aber wir kennen auch das Vergnügen, allein unterwegs zu sein. R. ist keine
       Hasenfüßin. Sie ist Mitte 50, Ärztin und Mutter erwachsener Kinder, sie ist
       verheiratet und hat ein Faible für Wanderungen auf spanischen Jakobswegen.
       Noch über 40 Kilometer ist sie durch den Regen gehastet an diesem besagten
       Tag, anfangs aus Angst vor Verfolgung und dann, um den Schock abzulaufen.
       Schließlich antworte ich R.: „Mir ist das auch schon passiert.“ Nur Männer
       haben das Privileg, sich ohne Angst in der Öffentlichkeit zu bewegen.
       
       11 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christel Burghoff
       
       ## TAGS
       
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