# taz.de -- Bürgerentscheid gegen Messeumbau: Kohle rausballern im Pott is nich!
       
       > Essens BürgerInnen votieren gegen das Kirchturmdenken in Deutschlands
       > größter Metropolregion. Sie stimmen gegen den teuren Ausbau der Messe.
       
 (IMG) Bild: Bleibt so wie sie ist: die Messe in Essen.
       
       BOCHUM taz | Es ist ein Sieg für die Bürgergesellschaft – und für Grüne und
       Linkspartei: Die hochverschuldete Stadt Essen muss den 123 Millionen Euro
       teuren Umbau ihrer Messe absagen. Bei einem Bürgerentscheid votierte am
       Sonntag eine knappe Mehrheit von 50,4 Prozent gegen die „Ertüchtigung“, für
       die sich SPD-Bürgermeister Reinhard Paß mit Unterstützung einer ganz großen
       Koalition aus Sozialdemokraten, CDU, FDP und dem Essener Bürgerbündnis
       (EBB) mächtig ins Zeug gelegt hatte.
       
       „Super, dass wir gewonnen haben“, freute sich der in Essen lebende grüne
       Landtagsabgeordnete Mehrdad Mostofizadeh gegenüber der taz: „Mit knapp 30
       Prozent war die Beteiligung ähnlich wie bei einer isolierten
       Bürgermeisterwahl – und das, obwohl die Lokalzeitung WAZ dazu aufgerufen
       hat, nicht wählen zu gehen.“
       
       Die Millioneninvestition in den über 100 Jahre alten Handelsplatz ist in
       Essen seit Monaten das bestimmende Thema der Lokalpolitik. Schlicht zu
       klein seien die Hallen, argumentierte deren Chef Oliver Kuhrt – und drohte
       mit Abwanderung wichtiger „Leitmessen“ wie der „Motor Show“: Die Konkurrenz
       aus Düsseldorf oder Dortmund sei stark.
       
       Doch die BürgerInnen von Essen, wo Schulen verrotten, Schwimmbäder
       dichtmachen und Straßen Schlaglochpisten gleichen, fürchteten eine teure
       Fehlinvestition. Schließlich hat die Lokalpolitik schon oft Geld verbrannt.
       Seit Jahrzehnten sitzt die 560.000 Einwohner zählende Kommune auf einem
       Aktienpaket ihres einstigen Stadtwerks – des Energieriesen RWE: Wäre das
       2007 zum Höchstkurs von mehr als 100 Euro verkauft worden, hätten sämtliche
       Schulden Essens in Höhe von rund 3,4 Milliarden Euro getilgt werden können.
       
       ## Aktie auf 27 Euro abgestürzt
       
       Mit der Energiewende aber steckt der Atomstromkonzern in Schwierigkeiten.
       Die Aktie ist auf derzeit knapp 27 Euro abgestürzt. Und erst 2010 kaufte
       die Stadt Essen gemeinsam mit fünf weiteren Ruhrgebietskommunen die Hälfte
       der Aktien des fünftgrößten deutschen Energieversorgers Steag – dabei
       betreibt der wenig zukunftsträchtige Kohlekraftwerke. Dennoch wird im
       Revier darüber nachgedacht, auch noch den Rest der Anteile zu erwerben.
       
       Trotzdem gibt Essens Rathauschef Paß den schlechten Verlierer. Es müsse
       darüber nachgedacht werden, „wo Bürgerentscheide ihre Grenzen haben“,
       maulte der Sozialdemokrat. Denn Essen wird die aktuell Verluste schreibende
       Messe noch mindestens bis 2032 weiterbetreiben müssen. So sieht es ein
       Cross-Border-Leasing-Vertrag vor, den die klamme Stadt vor zwölf Jahren mit
       amerikanischen Finanzinvestoren abgeschlossen hat, um von Steuervorteilen
       in den USA zu profitieren.
       
       Dabei ist die Konkurrenz der Messen nur ein Beispiel für das
       Kirchturmdenken im Ruhrgebiet. Ob bei Industrieansiedlungen,
       Einkaufszentren oder Bahnhöfen: Die Revierkommunen versuchen sich
       gegenseitig zu überbieten. Um Dortmunds Borussia und Gelsenkirchens Schalke
       etwas entgegenzusetzen, baute etwa Essen seinen rot-weißen Viertligakickern
       ein neues Fußballstadion. Das schreibt jetzt pro Spieltag fünfstellige
       Verluste. Im hochverschuldeten Bochum entsteht gerade ein neues
       Musikzentrum als repräsentativer Sitz für die Philharmoniker – und das,
       obwohl Essens Oper und Dortmunds Konzerthaus gerade 20 Kilometer entfernt
       sind.
       
       Von Bettelbesuchen in Berlin aber hält das die Revierpolitik trotzdem nicht
       ab. Erst in der vergangenen Woche reisten die Chefs von 13 Städten und
       Kreisen in die Hauptstadt, um auf ihre prekäre Finanzlage aufmerksam zu
       machen. Konkrete Zusagen erhielten sie trotz hochkarätiger Gesprächspartner
       nicht.
       
       20 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
       
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