# taz.de -- Kolumne Die Wahrheit: Der Unterraucher
       
       > Die Lippen närrisch gespitzt, hält der Raucherdarsteller die Zigarette
       > mit Daumen und Zeigefinger am Filter. Die Augen aller sind auf ihn
       > gerichtet.
       
 (IMG) Bild: Mieter Friedrich Adolfs in seiner Wohnung bei seiner Lieblingsbeschäftigung
       
       An der Bushaltestelle erscheint ein seltsam wirkender jüngerer Mensch
       männlichen Geschlechts, der durch die bis zum Blödsinn gezierte Art
       auffällt, wie er eine Zigarette raucht. Er scheint sich dabei an einer
       extrem exaltierten, geradezu empörend manierierten und wirklichkeitsfernen
       Vorstellung vom Zigarettenrauchen zu orientieren. Besonders in der
       Profilansicht kommt dies vollendet zur Geltung. Die Lippen närrisch
       gespitzt, hält der Raucherdarsteller die Zigarette mit Daumen und
       Zeigefinger am Filter, während er die übrigen Finger bis zum Anschlag
       abspreizt und den Arm entsprechend verkrampft hält (Bruchgefahr). Die Augen
       aller sind auf ihn gerichtet.
       
       „Ja“, sagt er mit blecherner Stimme, „dies ist meine erste Zigarette.“
       
       Er muss, warum auch immer, beschlossen haben, sie jetzt und hier in der
       Öffentlichkeit zu rauchen. Die Frage ist allerdings, ob er sie tatsächlich
       raucht, denn seine spitzen Lippen berühren kaum den Filter, auch traut man
       ihm nicht die Kraft zu, die nötig ist, daran zu ziehen. Niemand hat je
       etwas dermaßen Unsinniges gesehen, einige der auf den Bus Wartenden werfen
       überfordert ihre Monatskarten zu Boden, dass es klatscht. Doch kommt es zu
       keinerlei Gewalttätigkeit, was durchaus für die Friedfertigkeit der
       Bewohner dieses verrufenen Landstrichs spricht. Alle spüren, das etwas
       geschehen muss, ohne dass jemand sagen könnte, was.
       
       Die Zeit bis zum Eintreffen des Busses vergeht quälend langsam, das Sein
       wird aufs Äußerste gedehnt. Ein Ausleiern muss befürchtet werden. Da
       entwickelt der absurde Mensch mit der Zigarette vor unseren Augen ein
       Raucherbein. ’Das wäre doch nicht nötig gewesen‘, denken die meisten,
       einige denken wahrscheinlich auch an Nolzberg.
       
       Nolzberg kann unter anderem als das Symbol äußersten Seins gelten, darauf
       hat sich die Wissenschaft geeinigt. Seine Schriften sind hermetisch, das
       einzige, was ich darin verstehe, ist: „Tu schnoist.“ Doch sollte ich
       vielleicht lieber vorn anfangen.
       
       Nolzberg kam etwa zu der Zeit auf, als Heini Fichtwolf den Großglockner
       ruiniert hatte. „Damit dürfte er (Fichtwolf) wohl am Ende sein“, lautete
       damals die allgemeine Einschätzung, und tatsächlich hörte man später nie
       wieder von ihm. Ganz anders dagegen Nolzberg. An ihn denken die Menschen
       nachweislich noch heute, wahrscheinlich eben deshalb, weil er unter anderem
       als das Symbol äußersten Seins gelten kann.
       
       Diese Bedeutung kam ihm jedoch nicht von ungefähr zu. Kaum der Volksschule
       entwachsen, hatte man ihn schon zu Bett geschickt, wo er dann wurde, was er
       ist. Nolzberg hat nie im Bett geraucht und, da er immer nur im Bett lag,
       auch sonst nirgendwo (am Bahnhof etwa hat man ihn nach Verlassen der
       Volksschule nie mehr angetroffen, und nach Belieben ließen sich hier Orte
       anfügen, für die das gleiche gilt). Ein Raucherbein oder eine Raucherlunge
       war daher Nolzbergs Sache nicht.
       
       Endlich kommt der Bus, es geht ans Vorzeigen der Fahrausweise, niemand
       denkt mehr an Nolzberg oder den Blödmann mit der Zigarette.
       
       23 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eugen Egner
       
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