# taz.de -- John Cornwells Studie „Die Beichte“: Die Quelle des Missbrauchs
       
       > Die von Papst Pius X. 1910 erlassene wöchentliche Beichte war Ursprung
       > vieler Probleme der Kirche. Über die Geschichte der Beichte erschien
       > jetzt ein Buch.
       
 (IMG) Bild: Gesündigt wird, gebeichtet immer weniger.
       
       Es ist ja nicht so, dass heute nicht mehr gesündigt würde. Es wird nur
       nicht mehr gebeichtet in den katholischen Gemeinden, wie der britische
       Historiker und Fellow am Jesus College in Oxford, John Cornwell, in seiner
       aktuellen Untersuchung „Die Beichte“ berichtet. So weit ist der Niedergang
       des Bußsakraments fortgeschritten, dass der Gang zur Beichte in den
       kirchlichen Statistiken in Deutschland schon gar nicht mehr auftaucht.
       
       Vielleicht würde manch sündiger Mensch ganz gerne beichten. Freilich
       scheint es, als ob die Kirche keine rechte Verwendung für unsere Sünden
       hätte. Denn in Zeiten, in denen es uns reut, dass jede zweite Geschäftsidee
       oder Managemententscheidung auf Betrug oder Erpressung gründet, auf
       Ausbeutung, Steuerhinterziehung, Gewalt gegen Tiere und Raubbau an der
       Natur, erscheint die katholische Konzentration auf Fragen der Sexualität
       besonders abwegig.
       
       Warum ist die Kirche unfähig, statt des sexuellen das soziale Verhalten in
       den Mittelpunkt zu rücken?, fragt Cornwell und findet die Erklärung in der
       Definition der lässlichen und der Todsünden. Letztere sind bewusste
       Verfehlungen gegenüber Gott. Dass sie gleichzeitig – und man würde doch
       sagen wollen, vor allem – Verfehlungen gegenüber den Freunden, der Familie,
       den Kollegen, also gegenüber den Menschen sind, mit denen wir umgehen,
       spielt für die katholische Theologie keine Rolle. Und keine Rolle spielt
       auch der Körper oder die körperliche Integrität der Gläubigen, sind beide
       doch im Gegensatz zur unsterblichen Seele nicht von Belang.
       
       Provokant wird Cornwells Studie zur Geschichte und zur Gegenwart der
       Beichte dadurch, dass er Papst Pius X. und sein Dekret „Quam singulari“ in
       den Mittelpunkt seiner Abhandlung stellt. In ihm bestimmte Pius X. 1910,
       dass jeder Katholik von nun an einmal in der Woche, statt wie früher einmal
       im Jahr, zur Beichte gehen müsse. Und noch viel dramatischer: Pius X.
       führte damit die Kinderbeichte und die Erstkommunion für die erst
       Siebenjährigen ein. Zu Recht spricht Cornell von einem „der gewagtesten
       Experimente an Kindern, die je im Namen des Christentums verordnet wurden“.
       
       ## Traumatisierung schon der Jüngsten
       
       Evident ist die Gefahr der Traumatisierungschon der Jüngsten durch das
       Ideal des „gehorsamen Gotteskindes“ nicht weniger als den allgegenwärtigen
       Richtergott. Selbst sie konnten nur durch die Beichte von ihren Todsünden
       freigesprochen werden und den mit ihnen verbundenen Höllenstrafen und der
       ewigen Verdammnis entkommen. Gefährlich aber war das Experiment der
       Kinderbeichte vor allem deshalb, weil sie dem sexuellen Missbrauch den Weg
       bereitete. So frühzeitig und räumlich so intim wie im Beichtstuhl waren
       sich Kinder und Priester bis dahin noch nie begegnet. Letzterem bot sich
       hier eine ideale Möglichkeit, den späteren Missbrauch anzubahnen und das
       Kind daraufhin abzuklopfen, wie gut es sich als Opfer eignete.
       
       John Cornwells These hat viel für sich, stringent zu belegen ist sie aber
       kaum. Es fehlen die Daten. Nicht zuletzt deshalb, weil in Lehrbüchern zur
       katholischen Sexualmoral, etwa Henry Davis’ „Moral and Pastoral Theology“,
       Kindesmissbrauch erst gar nicht vorkommt. Während der Moraltheologe der
       Masturbation fünf lange Seiten widmet, reicht ihm eine drittel Seite für
       das Thema Vergewaltigung, das, wie er irrtümlich meint, nur Frauen angeht.
       
       Das Verbrechen des Missbrauchs soll denn auch nur ein Schaden für den
       Sünder selbst sein, der sich mit seiner Tat von Gott abwendet und damit
       seine eigene Seele verletzt. Dass er die Seele auch seines Opfers verletzt,
       kommt in diesem Konzept nicht vor. Da die Seele des missbrauchten Kindes
       von außen nicht geschädigt werden kann– dazu braucht es nach katholischem
       Verständnis seinen eigenen, willentlichen Verstoß gegen Gottes Gebot – und
       gleichzeitig die körperliche Verletzung nicht zählt, wundert es nicht, dass
       die Kirche zum sexuellen Missbrauch ihres Klerus keine Haltung findet.
       
       Neben der befremdlichen Sündenlehre befördert eine nicht minder
       befremdliche, weltabgewandte Ausbildung der Priesterschaft, wie John
       Cornwell detailliert darlegt, das selbstgefällige Auftreten der Kirche. So
       charakterisierte Papst Johannes Paul II. das Verbrechens des Missbrauchs
       als „Mysterium des Bösen“. Der Satan persönlich steckt dahinter, nicht der
       kleine katholische Priester. Dass Johannes Paul II. der Beichte wieder eine
       zentralere Stellung im Kirchenleben zu geben versuchte, versteht sich von
       selbst.
       
       5 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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