# taz.de -- Kommentar Erdogan in Berlin: Der erste Türke auf dem Mond
       
       > Ministerpräsident Erdogan nutzt seine Deutschland-Auftritte gern zur
       > Selbstdarstellung. Ob das seinem Land nutzt, sei dahingestellt.
       
 (IMG) Bild: Wisch und weg: Autowerbung von Erdogan
       
       Als Barack Obama Berlin als Bühne für seinen Wahlkampf nutzte, fühlten sich
       viele in Deutschland geehrt. Wenn der türkische Premier Tayyip Erdogan in
       Berlin das Gleiche macht, fühlen sich nicht wenige davon gestört. Manche
       Kritik am Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten ist jedoch deutlich
       überzogen. Denn das Problem ist nicht, dass Erdogan in Deutschland gerne
       Wahlkampfreden schwingt. Das Problem ist, was er dabei genau sagt. In der
       Vergangenheit nutzte er die Gelegenheit nicht selten, um gegen sein
       Gastland auszuteilen.
       
       Diesmal gab sich Erdogan aber deutlich Mühe, seinen deutschen Kritikern
       Wind aus den Segeln zu nehmen: Er rief sein Publikum in Berlin dazu auf,
       sich vorbildlich zu integrieren, und dankte Angela Merkel und anderen
       Politikern artig für ihre Gastfreundschaft. Ansonsten ging es nur um die
       Türkei. Volker Kauder und andere, die Schlimmeres befürchtet hatten, können
       also beruhigt sein.
       
       Im August will sich der türkische Ministerpräsident, dessen reguläre
       Amtszeit endet, von seinem Volk zum Präsidenten wählen lassen - zum ersten
       Mal wird das höchste, bisher eher repräsentative Staatsamt der Türkei durch
       Direktwahl besetzt.
       
       Erdogan kämpft um sein Lebenswerk, und darum zog er in Berlin die ganz
       großen Linien seiner Politik. Ausgiebig zählte er Großprojekte wie
       Flughäfen und Bosporus-Überquerungen, Krankenhäuser, ja sogar türkische
       Satelliten auf, um zu zeigen, wie sehr seine Partei in den letzten zwölf
       Jahren die Türkei aus der Dunkelheit ins Licht geführt habe. Es fehlte
       nicht viel, und er hätte noch den ersten Türken auf dem Mond angekündigt.
       
       Erdogan appellierte an den Nationalstolz seiner Zuhörer, indem er
       behauptete, er und seine Partei hätten dem Land wieder politische Geltung
       in der Welt und mehr Sicherheit, Freiheit und Demokratie als je zuvor
       gebracht. Die dunklen Seiten seiner Erfolgsbilanz – die Gewaltexzesse der
       Polizei gegen die Gezi-Park-Bewegung, die Einschränkungen der
       Medienfreiheit und die aktuellen Korruptionsvorwürfe – blendete er aus oder
       erklärte sie kurzerhand zum Werk von Feinden und Neidern, die sich gegen
       sein Land verschworen hätten. Putschisten, Kemalisten, Umweltschützer und
       die Anhänger des Predigers Fethullah Gülen warf er damit alle in einen
       Topf: alles Vaterlandsfeinde.
       
       Mit diesem Populismus, so schlicht er sich ausnimmt, könnte Erdogan noch
       einmal durchkommen und ins Präsidentenamt wechseln. Seine Wähler in
       Deutschland sollen ihm dabei helfen. Blumig pries er sie in Berlin als
       Vorhut auf dem Weg seines Landes in die EU. Nur: je mehr Erdogan seinen
       autoritären Kurs fortsetzt und die Türkei weiter nach seinen Vorstellungen
       umbaut, desto weiter entfernt sich das Land damit von Europa. Anders
       gesagt: Erdogan selbst ist inzwischen das größte Hindernis für einen
       EU-Beitritt seines Landes geworden.
       
       5 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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