# taz.de -- Roman über die Türkei: Das Bauchgrimmen des Drachen
       
       > Murat Uyurkulak erzählt in „Glut“ von der Türkei am Rande der Apokalypse.
       > Kaum ein türkischer Autor arbeitet sich so brachial an seiner Heimat ab.
       
 (IMG) Bild: Wenn der Drache Bauchgrimmen hat, steht man schnell mal im Qualm.
       
       Der Aufstand im Istanbuler Gezipark kam für viele Beobachter überraschend.
       Doch derart massive Proteste fallen in den seltensten Fällen einfach vom
       Himmel. Unter der Oberfläche des prosperierenden Tigerstaates am Bosporus
       muss die Glut des Protestes schon vorher geglimmt haben.
       
       Von dem Schwelbrand der real existierenden Verhältnisse handelt auch Murat
       Uyurkulaks neuer Roman „Glut“. Wieder einmal. Es gibt nämlich kaum einen
       türkischen Autor, der sich so vehement, ja brachial an seiner Heimat
       abarbeitet, wie der 1972 in Aydin geborene Autor. Wollte man beschreiben,
       was einen Autor wie Orhan Pamuk von Murat Uyurkulak ästhetisch
       unterscheidet, stünde hier Impressionismus gegen Graffiti.
       
       Dass der studierte Jurist und Kunsthistoriker, der auch als Übersetzer
       arbeitet, es auch diesmal wieder sehr böse meint mit der Türkei, lässt sich
       unschwer schon daran erkennen, dass er seinen Roman in „Ominösien“ spielen
       lässt.
       
       In einem Land, dem er eine negative Schöpfungsgeschichte unterlegt: Denn
       „Ominösien“ entstand aus dem „Bauchgrimmen eines gigantischen Drachens […]
       Das ist der Grund dafür, dass unablässig säuerlich stinkender Qualm darüber
       aufsteigt“.
       
       Das scheint das passende Bild für die aktuellen Vorgänge in der Türkei zu
       sein. Doch weder geht es in „Glut“ um den Gezi-Konflikt noch um den zivilen
       Staatsstreich des Herrn Erdogan, sondern um das labil-explosive Konstrukt
       Türkei an sich.
       
       ## Gegen die Langeweile des Politrealismus
       
       Der Kunstgriff der Allegorie erlaubt es Uyurkulak, die Verhältnisse dort
       satirisch zu überzeichnen, um sie auf den Punkt zu bringen. So kommt in
       diesem Roman auch nirgends die Langeweile irgendeines Politrealismus auf.
       Obwohl Politisches immer die Folie abgibt.
       
       Weil sein Bruder einem Attentat zum Opfer fällt, geht der junge Taugenichts
       Muster an seiner Stelle zur Armee. Desertiert aber schon nach kurzer Zeit
       mit seinem Kumpel Dreizehn. Später werden sie von Rebellen im Südosten
       entführt. Dieser absolut irdischen Geschichte stehen irrwitzige Szenen in
       einer Art „Himmel“ entgegen.
       
       In dem göttliche Helfershelfer nach einem geeigneten Kandidaten suchen, den
       sie als Prophet unter’s ominösische Volk schicken können. Womit die zwei
       Überväter der Türkei ins Bild gebracht wären: Militär und Religion.
       
       Im zweiten Teil von „Glut“ versuchen sich der erfolglose Filmemacher
       Fünfunddreißig und der getürmte Muster als Verleger. Sie geben das „Buch
       der Schrägen“ heraus, in dem sie die Marginalisierten ringsherum ihre
       Geschichten erzählen lassen.
       
       ## Anarchische Hybridware im Ominösen
       
       Das lässt sich auch als politische Botschaft lesen: „Bisher haben wir für
       die Worte, Stimmen und Bilder anderer geschuftet […] Nun aber ist die Zeit
       gekommen, uns ein wenig um uns selbst zu kümmern“, erklärt Dreizehn auf
       ihrer Vollversammlung.
       
       Uyurkulaks Roman ist von Metaphern, Decknamen und Anspielungen durchzogen.
       Aus der kurdischen Stadt Diyarbakir macht er die „Mauerstadt“, die Kurden
       heißen „Khirbos“. Aber dass in dieser durchgedrehten Fantasy Novel die
       Geschichte eines zerrissenen Landes am Rande der Apokalypse erzählt wird,
       teilt sich auch ohne allzu knifflige Entschlüsselungsarbeit mit.
       
       Seine Sprache ist vulgär und komplex zugleich. Hier bricht einer mit allen
       Codes. Sabine Adatepe hat diese anarchische Hybridware instinktsicher
       übersetzt. Dass am Ende des Romans „das verfickte Buch der Wahrheit“,
       Musters und Fünfunddreißigs zweites Projekt, unbeachtet bleibt, muss nicht
       heißen, es sei sinnlos, Licht in die ominösen Verhältnisse in einem
       „äußerst heiklen Flecken“ zu bringen.
       
       „Wenn dieses Land sich seiner Geschichte erinnert“, heißt es an einer
       Stelle, „explodiert es“. Aus der Glut der unterdrückten Wahrheit könnte
       dann ein Feuer lodern – womöglich der nächste Romantitel des großartigen
       Autors Murat Uyurkulak.
       
       17 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arend
       
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