# taz.de -- Kolumne Der rote Faden: Revolution gibt es nicht auf Facebook
       
       > Homer contra Janukowitsch. Was dem alten Griechen ein Zeichen für Recht
       > und Ordnung war, gilt dem ukrainischen Herrscher als Symbol der Anarchie.
       
 (IMG) Bild: Auf den Plätzen wird die Unzufriedenheit konkret, der Wille zur Veränderung körperlich – Tahrir-Platz in Kairo im Januar.
       
       Griechen sind gut. Alte Griechen. Weil sie schon alles vorgemacht haben,
       damals in der Antike: die Demokratie, das Denken, die Dramen.
       
       Großartige Geschichten über Irrfahrt, Kampf und Liebe schrieb der Dichter
       Homer, die „Ilias“ und die „Odyssee“. Und inmitten von Götterstreit und
       Menschenkrieg ekelt sich der Autor vor den „wilden gesetzlosen Kyklopen“,
       weil sie so etwas wie öffentliche Versammlungen nicht kennen, auf denen sie
       die Dinge besprechen, welche die Gemeinschaft angehen. Das Fehlen der
       Agora, des zentralen Platzes griechischer Städte für Feste, Märkte und das
       Verhandeln öffentlichen Interesses, für das Herausbilden gemeinschaftlicher
       Identität, gilt Homer als ein Zeichen für ausbleibende Staatlichkeit und
       Barbarei.
       
       Wiktor Janukowitsch, kein Dichter aber dafür ukrainischer Präsident, sieht
       das ganz anders. Für ihn haben die Demonstranten auf dem Maidan in der
       Hauptstadt Kiew „das Prinzip der Demokratie verletzt, wonach man die Macht
       durch Wahlen erhält und nicht durch die Straße“. Der Maidan ist ein Symbol.
       Opposition und Regierung kämpfen derzeit nicht um ihn als Platz allein,
       sondern um die Definition dessen, wofür er steht: Demokratie oder Anarchie.
       
       Solche Kämpfe ziehen sich durch die vergangenen Jahre: der Aufstand gegen
       den ägyptischen Diktator Mubarak auf dem Tahrirplatz in Kairo, die
       türkischen Gezi-Proteste auf dem Taksimplatz in Istanbul, die Besetzung der
       Puerta del Sol in Madrid durch die Bewegung der „Empörten“ in Spanien. Auf
       den Plätzen wird die Unzufriedenheit konkret, der Wille zur Veränderung
       körperlich. Körperlich bis zur Lebensgefahr – wie viele Menschen sind am
       Donnerstag auf dem Maidan gestorben? 21? 30? 60?
       
       ## Die Wahl des Nichtortes
       
       Nicht jeder Platz eignet sich für die Revolte. Vier Frauen der russischen
       Protestgruppe Pussy Riot demonstrierten im russischen Olympiaort Adler
       gegen die Autokratie Wladimir Putins. Dafür liefen sie durch einen Kurpark.
       Die Passanten amüsierten sich über sie. Die Wahl dieses Nichtortes inmitten
       der für Putins Inszenierung aufgebauten Kulissenstädte dürfte dazu
       beigetragen haben.
       
       Denn wie ein berühmtes Bauwerk braucht auch ein revolutionärer Platz eine
       Aura, an die sich anknüpfen lässt, eine Geschichte, die weitererzählt
       werden kann. Der Taksim ist unter anderem der Schauplatz des bis heute
       unaufgeklärten Massakers während der großen linken Demonstration vom 1. Mai
       1977. Der Maidan ist der Ort der Orangen Revolution.
       
       Und ein Ort, den auch die Macht für sich beansprucht: der offizielle Platz
       der Unabhängigkeit. Noch im vergangenen August war der Maidan gesperrt, um
       das pompöse Fest zum Nationalfeiertag vorzubereiten, es gab Zuckerwatte,
       und Licht spendeten nicht die Feuer der Barrikaden, sondern gab die Sonne.
       Mit dem Maidan nimmt die Opposition Janukowitsch etwas weg, ein Podium der
       Macht.
       
       Medientauglich sind die zentralen Plätze ebenfalls, es findet sich recht
       leicht ein wohltemperiertes Hotel nahebei, auf dessen Balkonen Reporter
       live vor dem Aufstand sprechen können wie auch für einen Beitrag, den die
       Redaktion in Auftrag gegeben hat. Und von dieser hohen Warte filmen dann
       auch die Kameras Zeitgeschichte im Rund. Für das Fernsehen ist die
       Revolution auf dem Platz also durchaus eine praktische. Aber Fernsehen ist
       alt, fast schon Homer.
       
       ## Hashtag #euromaiden
       
       Was ist mit dem Internet? Was ist geblieben vom Begriff der
       Facebook-Revolution? Nun, vor allem erst einmal, dass Facebook sich selbst
       zu revolutionieren versucht. Weil junge Menschen das soziale Netzwerk
       fliehen, hat dessen Chef Mark Zuckerberg einen Dienst gekauft, über den man
       SMS umsonst verschicken kann: WhatsApp. Der gehörte bisher Jan Koum,
       geboren in der Nähe von Kiew, in den 1990er Jahren ging die Mutter mit ihm
       in die USA. Er sagt, er habe WhatsApp vor allem deshalb erfunden, um mit
       seinem Vater in der Ukraine kommunizieren zu können. Eine gute Geschichte.
       Merken: Die taz schrieb zuerst von der WhatsApp-Revolution.
       
       Internet und Platz passen jedenfalls recht gut zusammen, der Ort gibt den
       Massen auch global eine Heimat. Beim Kurznachrichtendienst Twitter finden
       sich unter dem Hashtag #euromaidan Nachrichten und Erfahrungen zum
       Geschehen in der gesamten Ukraine.
       
       Und in dieser Woche tauchte im [1][Netz ein Video] der Musiker Eminem, Ice
       Cube und Korn auf, die alle einst ihr Geld mit Klängen für böse Jungs und
       solche, die es sein wollen, verdienten. Sie machen damit aber Werbung für
       Politik. Für einen Aufruf zur „Wave of Action“, einer globalen
       Platzbesetzung am 4. April. An diesem Tag sollen Orte der Occupy-Bewegung
       wieder in Beschlag genommen werden. Es geht um die Demokratie, um ein
       weltweites Drama. Homer wäre zufrieden.
       
       22 Feb 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.youtube.com/watch?v=dZYJoEgnSHI
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Schulz
       
       ## TAGS
       
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