# taz.de -- Karneval in Köln: Flugblätter statt Kamelle
       
       > Die „Pappnasen Rotschwarz“ laufen am Rosenmontag vor dem offiziellen Zug
       > durch Köln. Statt „Witzischkeit“ treibt sie der politische Protest um.
       
 (IMG) Bild: Kamelle kann jeder, Flugblätter nicht.
       
       KÖLN taz | „Revoluzzjohn“ steht auf der roten Fahne, die Tilman Lenssen-Erz
       an der Front des Lastenfahrrads angebracht hat. Darüber hängen an einem
       Gestänge Plakate, mit Angela Merkel als Mona Lisa, eingerahmt von
       Firmenlogos der Allianz, der Deutschen Bank, BMW und Bayer.
       
       Der hagere Mann mit der Brille steht mit einem Fuß auf dem Gepäckträger,
       mit dem anderen auf der Lenkstange und montiert ein Stück Stoff an eine
       Stange. „Am Rosenmontag enthüllen wir, wer mit Parteispenden Einfluss auf
       Angela Merkel nimmt“, erklärt der Alternativkarnevalist die
       „Enthüllungsmaschine“.
       
       Tilman Lenssen-Erz gehört zu den Kölner Politjecken „Pappnasen Rotschwarz“.
       Im Technologiezentrum in Köln-Braunsfeld bereiten die subversiven Spaßvögel
       an einem Wochenende vor Karneval ihren großen Auftritt beim Kölner
       Rosenmontagszug vor. Mehr als 100 von ihnen wollen – mit Transparenten in
       der Hand und Großpuppen ausgestattet – im „Zoch vor dem Zoch“ marschieren,
       der traditionellen Vorhut der offiziellen Narrenparade.
       
       Hunderttausende stehen meist schon viele Stunden vor Beginn des
       Rosenmontagszugs an der Strecke und warten auf Funkenmariechen, rote und
       blaue Funken und den großen Prinzenwagen mit dem Dreigestirn. „Das ist das
       Publikum, das wir auch haben“, sagt Lenssen-Erz. „Weil wir ganz im Duktus
       des Karnevals demonstrieren, werden wir von den Leuten gerne aufgenommen.“
       
       Doch bevor es so weit ist, gibt es noch einiges zu tun. In der großen Halle
       nähen etwa ein Dutzend „Pappnasen“ Kostüme, bauen Großpuppen und malen
       Transparente. Ein Projektor wirft die Umrisse von Buchstaben und einer
       Trillerpfeife an die Wand. „Jecke, hört die Signale“ ist dort zu lesen. In
       diesem Jahr demonstrieren die „Pappnasen“ gegen die Überwachung durch die
       NSA und für mehr Transparenz.
       
       Zwar gibt es in Köln eine ganze Menge alternativen Karneval. Wer dort zu
       Hause ist, bleibt aber meist dem offiziellen Karnevalsgeschehen fern, das
       wegen dürftiger Lustigkeit, sexistischen Zoten und mitunter unverhohlenem
       Rassismus schwer erträglich ist.
       
       ## Determinierter Frohsinn
       
       Mit dieser Art von Karneval haben auch die Jecken von den „Pappnasen“
       nichts am Hut. Viele von ihnen sind politisch aktiv – bei Attac,
       verschiedenen linken Gruppen oder in Bürgerinitiativen. Einigen haben die
       „Pappnasen“ jedoch den Weg zurück in den terminierten Frohsinn eröffnet;
       Resi Matschke-Firmenich etwa. Sie hat früher im traditionellen Karneval
       getanzt. „Ich habe lange keinen Karneval feiern wollen, weil ich mit den
       Inhalten Probleme hatte“, sagt die schmale Frau mit dem schulterlangen
       roten Haar. Das ist nun – zwischen den Globalisierungskritikern und anderen
       Aktivisten – nicht mehr der Fall.
       
       „Wir wollen den Karneval obrigkeitskritisch interpretieren“, erklärt
       Lenssen-Erz, der die „Pappnasen“ mitbegründet hat. „Wir bringen unsere
       politischen Themen auf eine Weise auf die Straße, bei der wir eine andere
       Resonanz von den Zuschauern und ein ganz anderes Gefühl bekommen als bei
       einer normalen Demonstration oder der üblichen politischen Arbeit.“
       
       Die Idee, die Strecke des Rosenmontagszugs als Rahmen für ihre Botschaft zu
       nutzen, kam 2006 bei einer Attac-Weihnachtsfeier auf. Beim darauf folgenden
       Karneval waren sie dabei, um auf den G-8-Gipfel in Heiligendamm aufmerksam
       zu machen. „Das war eine gute Möglichkeit, unser Thema in die
       Öffentlichkeit zu bringen und eine irrsinnige Menge von Leuten zu
       erreichen“, sagt Lenssen-Erz. Das fand die Obrigkeit zunächst gar nicht
       gut.
       
       Zwar erlaubte die Polizei nach langem Hin und Her den Zutritt zur Strecke.
       Aber die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das
       Versammlungsrecht auf. Nach einem süffisanten Bericht in der Lokalpresse
       über den bevorstehenden Prozess verständigten sich Globalisierungskritiker
       und Staatsgewalt darauf, dass die „Pappnasen“ künftig ihre Parade formal
       als Demonstration anmelden. Mittlerweile hat der offizielle Karneval die
       Politjecken angenommen. „Wenn wir uns in der Nähe des Startpunkts in der
       Südstadt sammeln, kommt Zugchef Christoph Kuckelkorn vorbei und fragt, ob
       alles okay ist“, berichtet Lenssen-Erz und lacht, weil das etwas
       Außergewöhnliches ist.
       
       ## „Asyl für Snowden“
       
       Der Kölner Karneval ist eine geschlossene Gesellschaft. Das Festkomitee
       sucht sehr genau aus, wer im Rosenmontagszug mitgehen darf. Für die
       gemeinen Straßenkarnevalisten wäre der Besuch des Zugchefs vermutlich eine
       große Ehre. Die antiautoritären „Pappnasen“ finden es lustig.
       
       Mitten im Saal des Technologiezentrums in Köln-Braunsfeld steht ein großer
       Clown mit roter Nase auf einem Pappkarton. Das ist der „Tünnes Hood“ aus
       dem vergangenen Jahr, als die Pappnasen die „Umfairteilen-Kampagne“ zum
       Thema hatten. Jetzt wird er zum „Trötemann“ umgebaut, zum kölschen
       Whistleblower. Die „Pappnasen“ lehnen sich inhaltlich stets an das Motto
       des offiziellen Karnevals an, dieses Mal: „Zokunf – mer spingkse wat kütt“
       („Zukunft – wir schauen, was kommt“). Bei den „Pappnasen“ wurde „Hück – se
       spingkse wie jeck“ („Heute spionieren sie uns aus wie verrückt“) daraus.
       
       Das Thema Ausspähen greifen auch die Karnevalsgesellschaften im offiziellen
       Rosenmontagszug auf. „Da müssen wir uns schon Mühe geben, das zu toppen“,
       glaubt Resi Maschke-Firmenich. Die Forderungen der „Pappnasen“ aber gehen
       darüber hinaus. „Asyl für Snowden“ ist eine davon.
       
       Maschke-Firmenich steht vor einer Stellwand, die einen kleinen Bereich im
       Saal des Technologiezentrums abschirmt. Hier besprechen die
       Alternativkarnevalisten, was zu tun ist: Datenkrake nähen, Transparente
       malen, Puppen gestalten. Aus einer Ecke im Raum ertönen immer wieder die
       Klänge des Karnevalsschlagers „Isch bin ne kölsche Jung“.
       
       Mit großem Spaß dichten Maschke-Firmenich und andere die Texte populärer
       Lieder um, damit sie zum jeweiligen Motto passen. Am Rosenmontag kommen sie
       dann vom Band. Aus dem Willi-Millowitsch-Schlager ist so das Lied „Risiko“
       geworden: „Isch ben e Risiko, wat wellste mache / Für de Sicherheit, dat es
       nit zum Lache. Isch bin doch wirklich brav nur e bissje jet links / Wie ne
       Schwerverbrescher weed isch usjespingks.“
       
       ## Umgebaute Tennisschläger
       
       Auch „Wurfmaterial“, wie die konventionellen Karnevalisten die verteilten
       Bonbons, Blumensträußchen und Kleinteile nennen, haben die „Pappnasen“ am
       Rosenmontag dabei. Doch statt Kamelle gibt es Flugblätter.
       
       „Wir verteilen ein persönliches Abhörprotokoll an die Zuschauer“, erklärt
       Maschke-Firmenich. Die „Pappnasen“ wollen den Wartenden mit fiktiven
       Beispielen klarmachen, dass harmlose Gespräche problemlos zu
       hochverdächtigen Verschwörungen umgedeutet werden können. Die Interaktion
       mit dem Publikum ist den Alternativkarnevalisten wichtig.
       
       Eine Fußtruppe wird mit in Durchleuchtungsgeräten verwandelten
       Tennisschlägern die Passanten am Rande der Zugstrecke „scannen“. Letztes
       Jahr hatte die Truppe Fensterrahmen und Geldsäcke dabei – damit die
       Passanten wie die Banker Geld zum Fenster hinauswerfen konnten. Zeit für
       Gespräche bleibt aber kaum. Schließlich ist der große Zug im Anmarsch. „Es
       sind nur ein paar Sekunden“, sagt Matschke-Firmenich. „Wenn wir zu lange
       stehen bleiben, kommt die Polizei und räumt uns weg.
       
       3 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Krüger
       
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