# taz.de -- Lichtverschmutzung auf dem Lande: Die dunkle Seite der Nacht
       
       > Künstliches Licht bewirkt, dass es selbst auf dem Land nicht mehr richtig
       > dunkel wird. Finsternis ist ein rares Gut – der Ort Gülpe profitiert
       > davon.
       
 (IMG) Bild: In klaren Nächten kann man in Gülpe mit bloßem Auge die Milchstraße erkennen.
       
       GÜLPE taz | Der Mann, der im Dienste der Dunkelheit unterwegs ist, bricht
       spät am Abend noch einmal auf in die Havelauen. Gülpe schläft tief, als er
       das Dorf hinter sich lässt. Links der Wald steht wie eine Steilwand in der
       Ferne; rechts teilt der Deich das flache Land. Andreas Hänel, Astrophysiker
       mit Doktortitel und Leiter der Sternwarte Osnabrück, verzieht das Gesicht
       und sagt: „Hier hätte man einen guten Überblick.“
       
       Wenn der Mond und die Wolken nicht wären. So aber ist der Himmel eine trübe
       graue Suppe. Das Wunder von Gülpe zeigt sich nur in klaren, mondlosen
       Nächten. Dann wird es rings um das Dorf so finster wie an kaum einem
       anderen Ort in Deutschland. „Man kann mit bloßem Auge die Milchstraße
       sehen“, sagt er, „von Horizont zu Horizont.“
       
       Gerade ist der Naturpark Westhavelland als erster „Sternenpark“
       Deutschlands anerkannt worden. Den Titel vergibt die International Dark Sky
       Association, eine Organisation, die sich dem Schutz der Nacht verschrieben
       hat. Denn absolute Finsternis ist selten geworden.
       
       Fast überall macht künstliches Licht das Dunkel zunichte. Hänel deutet auf
       einen diesigen, gelben Streifen am Horizont, das ist Berlin, 70 Kilometer
       weit weg. „Lichtverschmutzung ist direktes und indirektes Licht, das sich
       wie ein Schleier vor den Himmel legt.“ Nachtschützer wie Andreas Hänel
       setzen sich dafür ein, die Beleuchtung zu reduzieren. Doch es ist nicht
       immer leicht, dieses Anliegen zu vermitteln.
       
       „Die Dunkelheit ist schlecht beleumundet“, sagt Kordula Isermann, Leiterin
       des Naturparks Westhavelland. Licht verspricht Sicherheit, Licht ist
       Zivilisation. Dunkelheit ist Rückstand und latente Bedrohung. Die
       Forstwissenschaftlerin steuert ihr Auto durch die Havelauen; draußen
       schimmert die Sonne auf dem Wasser, das sich auf den Wiesen gesammelt hat.
       Hoch oben zieht ein Schwarm Gänse vorüber.
       
       2009 hat sich Hänel an den Naturpark gewandt. Isermann stutzte zuerst, sie
       dachte: „Sind Sterne Natur? Müssen wir uns da auch noch drum kümmern?“
       
       Lichtsmog wirkt sich verheerend auf die Fauna aus. Massen von Insekten
       verglühen in den Laternen und fehlen in der Nahrungskette. Nachtaktive
       Tiere finden kaum noch Lebensraum. Auch dem Menschen schadet das
       Dauerlicht. Es verursacht Schlafstörungen und bringt den Hormonhaushalt
       durcheinander.
       
       ## Der Titel bringt Verpflichtungen mit sich
       
       Jedes Jahr nimmt die Lichtverschmutzung um 3 bis 6 Prozent zu. Im
       Westhavelland aber sollen die Nächte noch ein bisschen dunkler werden. Denn
       der Titel „Sternenpark“ bringt auch Verpflichtungen mit sich. Die
       Straßenlaternen müssen allmählich durch schonendere, nach oben abgeschirmte
       Leuchten ersetzt werden, erklärt Kordula Isermann. Sie bremst, ihr Wagen
       biegt in eine Ortschaft ein. „Hohennauen“, sagt sie. „Hier gibt es sogar
       noch eine Grundschule.“ Das ist selten geworden in dieser Region. Viele
       sind weggezogen, die Kommunen hoch verschuldet. Die Arbeitslosigkeit liegt
       bei fast zehn Prozent.
       
       Der Naturpark wurde 1998 geschaffen. Seither hat der Naturschutz viele
       Regeln gebracht: Die Bauern müssen sich nach den Brutzeiten der Vögel
       richten. Die Anwohner dürfen nicht mehr überall Auto fahren. „Das wird zum
       Teil als Bevormundung empfunden“, sagt Isermann. Jetzt soll also noch ein
       Satz Regeln dazukommen.
       
       Der Vorstoß der Nachtschützer hat auch Ängste wachgerufen, die mit dem
       Zerfall der Infrastruktur verknüpft ist. Die Leute haben schon oft gehört,
       was sich für sie alles nicht mehr lohnt, Bahnstrecken, Bibliotheken, Kitas.
       „Nun wollen sie uns auch noch das Licht ausknipsen.“ So empfinden es
       manche. Kordula Isermann hat viel Zeit damit verbracht, Bedenken zu
       zerstreuen. Mit Erfolg. Der Sternenpark erstreckt sich über die gesamte
       Fläche des 1.315 Quadratkilometer großen Naturparks. Das ist etwa so viel
       wie Berlin und Köln zusammen. Isermann saß oft in den örtlichen Gremien, um
       den Gemeindevertretern die Ziele der Nachtschützer zu erklären. Acht von
       zehn Kommunen der Region haben der Beleuchtungsrichtlinie zugestimmt.
       
       ## „Unser Unique Selling Point“
       
       Der Abend legt sich wie ein dunkles Tuch über Seen, Felder, Auen. Im Garten
       des Restaurants „Strandgut“ in Hohennauen haben sich rund 30 Menschen
       versammelt. Alle sind gekommen, um die Auszeichnung „Sternenpark“ zu
       feiern. „Am Anfang dachte ich: Das sind wieder solche Spinner, die uns
       irgendwas aufschwatzen wollen“, sagt Jens Aasmann, SPD, Leiter des Amtes
       Rhinow. Nun sitzt er vor einem Teller Gulaschsuppe und malt sich aus,
       welches touristische Potenzial der Titel birgt. „Es ist eine wahnsinnige
       Chance“, sagt er, „unser Unique Selling Point.“
       
       Ausgerechnet die Strukturschwäche der Region ist plötzlich zu einem
       Versprechen geworden. Die dünne Besiedlung ist ja der Grund, warum es dort
       so düster ist. Aasmann hat gerade einen Artikel auf Spiegel Online gelesen,
       darin waren die besten Ziele für Sterngucker aufgelistet, darunter die
       Karoo-Wüste in Südafrika, der Mauna Kea auf Hawaii – und Gülpe,
       Westhavelland.
       
       Dann wird es Zeit für die Ansprachen; Andreas Hänel, der Astrophysiker,
       tritt vor die Menge. „Wir haben hier die Dunkelheit“, sagt er, „die müssen
       wir schützen.“ Hänel ist vor fünf Jahren auf Gülpe gestoßen. Sein
       Navigiergerät leitete ihn, das mit einer Software ausgestattet ist, mit der
       man die Dunkelheit messen kann. Hänel fuhr dahin, wo es immer finsterer
       wurde. Am Ende stand er in Gülpe; sein Sky Quality Meter zeigte den Wert
       21,75. So einen schwarzen Himmel hatte er noch nie gesehen.
       
       ## Neue Beleuchtungsrichtlinien
       
       Hänel hält kurz inne und macht ernste Augen. Es gibt da einen Punkt, den er
       noch ansprechen muss. Es geht um die neuen Straßenlaternen in Gülpe. „Wo
       die stehen, da ist es jetzt heller als an der Hauptstraße, an der ich
       wohne. Muss das sein?“
       
       Sieglinde Kraft, Ortsvorsteherin von Gülpe, zuckt etwas ratlos die
       Schultern; die neuen LED-Laternen sind ja gerade erst aufgestellt worden.
       Zum Nachjustieren hat die Kommune kein Geld. „Es gibt ja noch so viele
       andere Probleme“, sagt sie. Die Kopfweiden zum Beispiel müssen dringend
       geschnitten werden. Aber es ist nicht so, als stünde Kraft nicht hinter dem
       Sternenpark, im Gegenteil. Sie ist auf die Anwohner zugegangen, um ihnen zu
       erklären, wie sich die neuen Beleuchtungs-Richtlinien auswirken werden.
       „Die alten Leute belächeln das ein bisschen“, sagt sie. Gibt es überhaupt
       junge Leute, die da geblieben sind? „Ja“, sagt Kraft. „Den Matti.“
       
       Matthias Farbing läuft am Morgen mit einer Brötchentüte in der Hand durch
       Gülpe. Der Bäckerwagen ist gerade ins Dorf gekommen. Farbing, 23 Jahre alt,
       macht sich mit seinem Einkauf auf den Heimweg. Ihn freut es, dass der Ort
       Schlagzeilen wegen seines Nachthimmels macht. „Das ist mal was anderes“,
       sagt er. „Das macht einen stolz.“
       
       Ringsum liegen Backsteinhäuser verstreut, Kopfsteinpflaster,
       Spitzengardinen, Giebeldächer. In einem Gehege scharren die Hühner. Ein
       Hund bellt. Ein alter Säufer schlurft vorüber.
       
       ## „Ein ganz heißes Eisen“
       
       An einer Ecke erhebt sich ein großes, weiß getünchtes Haus; hier wohnen der
       Bäcker und seine Frau. Das Ehepaar steht nebenan in der Backstube. Fragt
       man nach dem Sternenpark, fährt der Bäcker hoch und ruft: „Ein ganz heißes
       Eisen!“ Was sie in Rage bringt, sind vor allem die Folgen, die das Projekt
       mit sich bringt. Nicht, dass es bislang Vorschriften für die Anwohner geben
       würde. „Aber meist ziehen solche Dinge ja welche nach sich“, brummt der
       Bäcker und walkt seinen Teig. Die zwei haben so ihre Erfahrungen gemacht.
       Früher, sagt die Bäckersfrau, haben sie oft in der Havel gebadet. Das geht
       nicht mehr, zumindest nicht an der Stelle hinter dem Dorf. „Wir hatten so
       schöne Badestrände“, sagt sie, „jetzt ist alles verwildert und
       zugewuchert.“ Werden sie künftig noch ihre Fahrradlampen anschalten dürfen?
       Muss der Bäcker bald bei Kerzenlicht backen? „Das weiß man ja nie“, sagt
       er, „bei so einer Sache.“
       
       Schräg gegenüber, in der„Kreativoase“, sitzen Ingolf und Jordis Hammer beim
       Frühstück. Sie sind vor etwa vier Jahren aus Gummersbach nach Gülpe gezogen
       und haben die alte Schmiede zur Pension mit Atelier umgebaut. „Es gibt
       Nächte hier, die sind völlig schwarz“, sagt sie. „Dann sieht man: Da ist
       irgendwas. Das funkelt richtig.“ Das Paar hat viel dafür getan, um Gülpe
       als Zielort für Sterngucker zu etablieren. Seit drei Jahren gibt es den
       Astrotreff, zu dem Besucher aus dem ganzen Bundesgebiet anreisen. „Man lebt
       auf, weil man bei etwas mitmachen darf, was es sonst in Deutschland noch
       nicht gibt“, sagt Hammer. Die beiden haben noch einiges vor. Neue
       Stellplätze für Wohnmobile sind geplant, Hütten, in denen Sterngucker ihre
       Teleskope einschließen können, und auch eine kleine Sternwarte in Gülpe,
       das kann sich Jordis Hammer gut vorstellen.
       
       Draußen liegen die Dorfstraßen still unter einem lichtblauen Himmel. Am
       Ortsrand schiebt ein alter Mann eine Mülltonne aus seiner Einfahrt. Ob es
       den Sternenpark nun gibt oder nicht – Siegfried Rabe, 80 Jahre, kümmert es
       nicht groß. Der pensionierte Lehrer, der in seiner ehemaligen Schule wohnt,
       deutet auf die Fassade des Klinkerbaus. Da steht L18 V16. Lukas 18, Vers
       16. „Lasset die Kinder zu mir kommen“, zitiert er. Aber die Kinder kommen
       schon lange nicht mehr. Als Rabe vor 60 Jahren nach Gülpe zog, lebten hier
       rund 400 Menschen. Heute sind es 160. Sicher, sagt er, der Sternhimmel ist
       schon etwas Besonderes. „Ich schaue manchmal, ob ich Sternbilder erkenne.
       Den Großen Wagen oder was so die bekannten sind.“ Vieles, was es früher in
       Gülpe gab, ist verschwunden. Die Sterne aber, die sind noch da.
       
       9 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriela Keller
       
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