# taz.de -- Radio-Dokusoap „Kids – Berlin Kreuzberg“: Wütend, laut, nachdenklich
       
       > SWR und Deutschlandradio haben die Dokusoap „Kids“ produziert. Mit ihren
       > Genre-Genossen von RTL 2 hat sie zum Glück nichts gemein.
       
 (IMG) Bild: Berlin, U-Bahnhof Kottbusser Tor. „Ich stehe Kotti“, heißt eine Folge von „Kids“.
       
       Dokusoap. Welch Unwort. Formate dieser Art sind im Fernsehen inhaltlich
       ausgehöhlt, aber gnadenlos populär. Die Kombination aus niederen
       Produktionskosten und Prekariat live – Unwort zwei – verheißt erstaunlich
       hohe Quoten. Siehe RTL 2.
       
       Das Schema dahinter hat der Kabarettist Serdar Somuncu einst treffend
       erklärt: Entweder sei der Zuschauer froh, dass der eigene Haushalt
       inhaltlich kilometerweit von dem Gesehenen entfernt sei, oder er ist
       angetan, weil es eben genauso zugeht wie zu Hause. In beiden Fällen wird
       aber hingeschaut. Das Unfallprinzip. Gaffen geht immer.
       
       Dankenswerterweise kam das Radio bisher ohne solche Experimente aus – bis
       jetzt. Der SWR und Deutschlandradio Kultur haben sich nun entschlossen,
       sich auf das narrativ verminte Terrain zu wagen und legen eine
       „Radio-Doku-Soap“ auf. [1][Am Dienstag startet um 10.05 Uhr auf SWR 2 der
       Achtteiler „Kids – Berlin-Kreuzberg, 7 Mädchen, 365 Tage“.] 
       
       Autorin Katrin Moll, die mit dem Sendestart als Feature-Redakteurin beim
       Deutschlandradio Kultur einsteigt, hat Jamila, Adyan, Manuela, Dalia,
       Hanan, Sinem und Sinem ein Jahr lang mit dem Mikro begleitet. Der Alltag
       der pubertierenden Mädels im Vielvölkerbezirk Kreuzberg ist Hauptthema der
       25-minütigen Folgen. Klingt immer noch nach RTL2, ist es aber nicht. Und
       nicht nur, weil die üblichen Unfallbilder, und damit der raue visuelle
       Einbruch ins Intime, fehlen.
       
       ## „Manchmal muss man Knecht sein“
       
       Was die kleinen Kurzgeschichten der Mädchen interessant macht, ist ihre –
       die Produktion dominierende – ungefilterte Sprache. Sie markiert
       Lebenswirklichkeit und Identitätsfindung. Es sind Sätze, die klar und
       aufrecht im Ohr stehenbleiben: „Eigentlich ist es in Kreuzberg so, was die
       Jugendlichen zu Hause einstecken, geben die draußen aus.“ Punkt. Jeder
       wertende Kommentar ist überflüssig und Autorin Moll verzichtet auf
       analytisches Geschwätz.
       
       Ebenso präzise prallen Kulturmodelle aufeinander, was gerade die Mädchen,
       die türkische, kurdische, ägyptische und palästinensische Wurzeln haben, zu
       spüren bekommen: „Bei den Deutschen ist es so, wenn die sehen, dass die mit
       einem Jungen ist, dann passiert nichts. Bei uns ist es so: Kopp ab.“
       
       In dem Gesagten wird oft um den eigenen Standpunkt gekämpft, nicht selten
       wütend, nicht selten laut. Sinem sagt über ihre gleichnamige Freundin mit
       Nachdruck: „Sie tickt sehr korrekt. Manchmal muss man einfach ihr Knecht
       sein.“
       
       ## Fern von Klischees
       
       In der Schule, auf der Straße oder im Gespräch mit der Theaterpädagogin
       werden Wörter zerlegt, Präpositionen verschluckt, immer auch dem Wunsch
       folgend knackige Formulierungen zu finden – aus einer „Violine“ wird dafür
       gerne mal eine „Violette“.
       
       Hinter der aufgerauten Synthax liegt, trotz „krasser“ Phrasen aber eben
       doch viel Kindliches, viel Fragiles. Etwa die zurückhaltende Freude über
       den ersten Job, der Flyer verteilen für das Kreuzberger Spielhaus Hebbel am
       Ufer beinhaltet, macht dies deutlich. Zumal die „Deutschen“ dann doch „ganz
       nett“ sind.
       
       „Kids – Berlin-Kreuzberg, 7 Mädchen, 365 Tage“ lebt von seinem lebendigen
       Kauderwelsch, das eben nicht geltende Klischees verhärtet, sondern nüchtern
       das Ringen der Protagonistinnen um den eigenen Platz im Leben ausstellt.
       Betonung und Begriff dienen der Selbstbehauptung.
       
       Nicht jede kommt damit klar, kann damit etwas anfangen oder gar darauf
       eingehen. So sagt eine Lehrerin: „Dafür habe ich nicht studiert, um so zu
       sprechen.“ Bei der folgenden Interpretation des Gedichts „Berlin“ von
       Christian Morgenstern darf die Akademikerin dann allerdings feststellen,
       dass ihre SchülerInnen mit dessen Zeilen ziemlich viel anfangen können:
       „Was wüst am Tag, wird rätselvoll im Dunkel / wie Seelenburgen stehn sie
       mystisch da / die Häuserreihn, mit ihrem Lichtgefunkel / und Einheit ahnt,
       wer sonst nur Vielheit sah.“
       
       1 Apr 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.swr.de/unternehmen/presse/multimediale-pressemappen/kids-berlin-kreuzberg-7-maedchen-365-tage/-/id=7503020/did=12771612/nid=7503020/xaet5p/index.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Scheper
       
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