# taz.de -- Datenbank zu toten Flüchtlingen: Immerhin gut gemeint
       
       > „Migrant Files“ ist eine datenjournalistische Seite, die die permanente
       > Flüchtlingskatastrophe visualisieren will. Dabei fällt sie hinter
       > bestehende Projekte zurück.
       
 (IMG) Bild: Der Brennpunkt Mittelmeer in der Visualisierung der „Migrant Files“.
       
       BERLIN taz | Am Anfang steht nur „a baby“, namenlos, 65 Einträge.
       Alphabetisch geht es weiter: „A child“, anonym, über 600 Einträge.
       Namenlose Frauen und Männer, hoch bis etwa 12.000. Erst danach haben die
       Toten auf der Liste der „[1][Migrant Files]“ Namen. 23.000 sollen es
       insgesamt sein, bei weitem nicht alle sind in der Online-Datenbank
       aufrufbar. Sie alle sind seit dem Jahr 2000 gestorben, während sie
       versuchten, nach Europa zu gelangen.
       
       Die Mehrzahl von ihnen ist ertrunken, Hunderte starben an Hunger oder
       Durst, an Kälte oder Unterkühlung, erstickten in LKWs oder beim Überqueren
       von Minenfeldern. Eine Gruppe von Journalisten präsentierte die Liste am
       Montag, viele europäische Medien berichteten über die erschütternde
       Statistik - auch, weil die von den Migrant Files genannte Zahl bisherige
       Schätzungen um mehrere Tausend übersteigt.
       
       Allerdings handelt es sich bei dem Datenbankprojekt um wenig mehr als einen
       verdünnten Neuaufguss der beiden schon bislang existierenden
       Dokumentationen der Toten an den EU-Grenzen: Die „List of Deaths“
       ([2][pdf]), in der die Amsterdamer NGO [3][United against Racism] seit 1993
       bislang Berichte über 17.306 Todesfälle an den EU-Außengrenzen zusammen
       getragen hat.
       
       Und die Datenbank des von dem italienischen Journalisten Gabriele del
       Grande gegründeten Blogs „[4][Fortress Europe]“, der auf Basis von
       Zeitungsberichten und Zeugenaussagen 19.000 Todesfälle seit 1988
       dokumentiert hat. Beide arbeiteten ehrenamtlich, und erfüllten eine
       Aufgabe, die staatliche Stellen und die EU verweigern: Die Toten der
       Festung Europa werden offiziell nirgends erfasst.
       
       Das Migrants Files-Projekt führte nun nach eigenen Angaben die Daten dieser
       beiden Projekte zusammen und ergänzt sie unter anderem um Daten der
       Universität von Helsinki und der EU-Kommission, gibt aber keine näheren
       Auskünfte, um welche Daten es sich dabei gehandelt hat. Die Mühe, einzelne
       Interviews mit Überlebenden zu machen, hat sich das Data-Mining-Projekt
       jedenfalls nicht gemacht – die Recherche lief rein digital. Studierende
       eines Data-Journalismus-Studiengangs an der Universität von Bologna waren
       mit dem „Fact Checking" von 250 Fällen beteiligt.
       
       ## Fehlerhafte Verarbeitung
       
       Das Ergebnis fällt deutlich hinter die Standards der Vorbilder zurück.
       Während sowohl bei United als auch bei Fortress Europe – soweit bekannt –
       Informationen zu den näheren Umständen des Todes und der genauen Herkunft
       der MigrantInnen zu finden sind, beschränken sich die Migrant Files auf den
       nackten Namen Todesort und -datum sowie einer Art grafische
       Querverweisblüte, die jedoch nicht anklickbar ist.
       
       Zudem wurden die existierenden Daten überaus nachlässig importiert. Etwa
       der Fall des Senegalese Mamadou Konte. Tatsächlich ist der am 22. April
       2007 gemeinsam mit 26 weitere Senegalesen vor Marokko ertrunken. Die
       Migrant Files verlegen seinen Tod in die süd-senegalesische Stadt Kolda, in
       der Konte aber nicht starb, sondern geboren wurde. Offensichtlich haben die
       Programmierer die Ursprungsdaten falsch eingelesen.
       
       Ähnlich bei dem Marokkaner Khalid Moufaghid, der im Juni 1995 im
       italienischen Murazzi totgeprügelt wurde - die Migrant Files verlegen
       seinen Tod ohne weitere Angaben auf ein „Event at Malaga on Aug 06, 2000“ –
       mit der Vokabel werden alle der gelisteten Todesfälle belegt. Solche Fehler
       finden sich in der optisch aufwendig programmierten Datenbank zuhauf.
       
       Substanziellere Daten sind gleichwohl in Sicht, wenn auch an anderem Ort:
       In den nächsten Monaten wird United die jährliche Aktualisierung seiner
       manuell zusammen getragenen Fälle veröffentlichen.
       
       2 Apr 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.detective.io/detective/the-migrants-files
 (DIR) [2] http://www.unitedagainstracism.org/pdfs/listofdeaths.pdf
 (DIR) [3] http://www.unitedagainstracism.org/
 (DIR) [4] http://fortresseurope.blogspot.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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