# taz.de -- Russische Ukraine-Politik: Destabilisieren um jeden Preis
       
       > Der Kreml will die Ostukraine durch Föderalisierung an sich binden. Die
       > Mehrheit der Bevölkerung lehnt das ab – obwohl die russische Propaganda
       > sich Mühe gibt.
       
 (IMG) Bild: In der selbsternannten „souveränen Volksrepublik“: Pro-Russische Aktivisten vor der Regionalverwaltung in Donezk.
       
       BERLIN taz | Schon Tonfall und Mimik russischer TV-Moderatoren ist
       anzumerken, dass die Dinge in der Ukraine mehr oder minder zur
       Zufriedenheit Moskaus verlaufen. Und in den Gestus gespielter Empörung über
       das Chaos beim Nachbarn schleicht sich ein schadenfroher Unterton ein. Mit
       jedem Tag des Konflikts wächst Moskaus Siegesgewissheit, so dass ein
       mitfühlender User in den sozialen Netzen schon darüber klagte, dass es
       tragisch sei, mit ansehen zu müssen, wie „sich die Kleinrussen“ – abwertend
       für Ukrainer – „vergeblich abstrampelten“.
       
       Dazu passt, das Außenminister Sergei Lawrow am Montag in einem [1][Beitrag
       für den Guardian] erneut Moskaus Bereitschaft unterstrich, alles „für eine
       baldige Stabilisierung der Ukraine“ zu unternehmen – und dem Nachbarn im
       gleichen Atemzug bescheinigte, „trotz so vieler Hilfestellungen aus
       Russland“ die Lektion der staatlichen Souveränität in den vergangenen 20
       Jahren nicht gelernt zu haben.
       
       Zwischen den Zeilen wird die Ukraine zu einem „failed state“ – einem
       gescheiterten Staat. Russland hält an den bisherigen Forderungen fest,
       besteht auf einer Föderalisierung des Landes – und lehnt gleichzeitig die
       Anerkennung der Kiewer Übergangsregierung und die für Ende Mai angesetzten
       Neuwahlen ab.
       
       Russland bewegt sich keinen Schritt. Der Konflikt mit dem Westen ist da,
       der Weg in die Isolation eingeschlagen – da besteht keine Notwendigkeit
       mehr, guten Willen zu zeigen oder gar Kompromisse einzugehen. Ein Kalkül
       dürfte sein, dass die Ukraine über kurz oder lang der Verschleppung der
       inneren Spannungen von allein zum Opfer fallen könnte. Das würde russische
       Ressourcen sparen, Wladimir Putin als glänzenden Strategen auszeichnen –
       und hervorragend in das Konzept der neuen russischen Geschichtsschreibung
       passen.
       
       ## Herkunft der Aktivisten fraglich
       
       Derweil hieß es in Kiew, nach der Krim sei nun eine zweite Welle russischer
       Spezialoperation gegen die Ukraine im Gang. Am Dienstag räumten Truppen des
       ukrainischen Innenministeriums ein Verwaltungsgebäude in Charkiw, das
       prorussische Aktivisten am Wochenende besetzt hatten. Ob es sich bei diesen
       um russischsprachige Ukrainer handelt oder um Provokateure aus dem
       Mutterland, ist fraglich.
       
       Erst am Sonntag hatte eine Gruppe ortsfremder Revolutionsreisender die Oper
       in Charkiw besetzt, weil sie das Gebäude mit der Stadtverwaltung
       verwechselt hatte. Auch in Donezk wurde eine „souveräne Volksrepublik“
       ausgerufen, die dann umgehend Wladimir Putin um Hilfe bat. Es wäre
       verwunderlich, wenn hinter diesen Aktivisten, die sehr viele Ähnlichkeiten
       mit den städtischen Unterschichten aufweisen, nicht mächtige Drahtzieher
       stünden.
       
       Unterdessen dürfte eine Umfrage Moskau Kopfzerbrechen bereiten. Die
       Föderalisierung der Ukraine stößt selbst in den russischsprachigen Gebieten
       im Süden und Osten des Landes nur auf schwache Zustimmung. Laut einer
       Umfrage vom Montag befürworten 64 Prozent einen ukrainischen Einheitsstaat.
       Trotzdem spekuliert Moskau weiter darauf, den Osten der Ukraine an sich
       binden zu können. Dabei würde der autoritäre russische Zentralstaat einem
       neuen Vasallen selbst dann keine Sonderrechte einräumen, wenn dieser formal
       einem anderen Staatswesen angehören würde.
       
       Trotz massiver russischer TV-Propaganda könnte der russische „Befreier“
       nicht damit rechnen, mit offenen Armen in der Ostukraine empfangen zu
       werden. Obwohl Kremlchef Putin mehrfach versicherte, Truppen aus dem
       Grenzgebiet abzuziehen, scheint dies bislang nicht geschehen zu sein.
       Zwischen 35.000 und 40.000 Soldaten sollen nach wie vor dort stationiert
       sein. Der Anschluss der Krim wäre erst dann ein voller Erfolg, wenn der
       Südosten der Ukraine angeschlossen oder ein breiter Korridor eingerichtet
       würde. Das spricht nach Ansicht westlicher Militärbeobachter dafür, dass
       der militärische Druck noch längere Zeit aufrechterhalten bleiben wird.
       
       Auch wirtschaftlich sitzt Moskau am längeren Hebel. Letzte Woche erhöhte
       Russland den Gaspreis für 1.000 Kubikmeter auf 485,50 Dollar – 190 Dollar
       mehr als der Preis für Deutschland. Vorher vereinbarte Rabatte machte
       Gazprom rückgängig – verlangt 10,5 Milliarden Dollar Nachzahlungen.
       Vergünstigungen, die mit der Pacht Sewastopols für die Schwarzmeerflotte
       verbunden waren, hat die russische Regierung gekündigt. Da der Hafen nun zu
       Russland gehöre, verlangt der Kreml nun sogar eine Rückvergütung. Die Logik
       ist bestechend: erst wird annektiert, dann rückwirkend Pacht erhoben.
       
       Nach Deeskalation sieht das nicht aus. Eher nach Zynismus und Bösartigkeit.
       
       8 Apr 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/apr/07/sergei-lavrov-russia-stabilise-ukraine-west
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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